Eine der wichtigsten faktischen Gegebenheiten aus
dem bisherigen Verlauf der Krise ist ohne Zweifel die empirische Beobachtung,
dass die Lohnmoderation die Arbeitslosigkeit nicht senkt. Ganz im Gegenteil:
Fallen die Löhne, steigt die Arbeitslosigkeit.
Je länger die Nachfrageschwäche anhält, desto
schwerer wird die Last auf dem Potentialwachstum der Wirtschaft. Während die
Produktionskapazität abnimmt, verlassen arbeitslose Menschen die Erwerbsbevölkerung.
Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise (GFC)
sind mehr als acht Jahre vergangen. Das BIP ist in allen fortgeschrittenen
Volkswirtschaften immer noch weit von dem Vor-Krise-Trend. Und keine aktuelle
Prognose deutet darauf hin, dass die Lücke jemals geschlossen würde, wie Antonio Fatas und Larry Summers in einem lesenswerten Artikel in voxeu bemerken.
Mit Bezug auf den 1999-2007 Trend liegt das europäische
BIP heute etwa 15% niedriger. Nach IWF-Schätzungen dürfte die Eurozone sogar
noch bis zum Jahr 2021 ca. 15% unter dem potentiellen BIP-Niveau verweilen.
Fatas und Summers unterstreichen vor diesem
Hintergrund, dass in der Forschung seit den 1980er Jahren die Ansicht etabliert
hat, dass Schwankungen hartnäckig sind und möglicherweise dauerhafte
Auswirkungen auf das BIP-Niveau entfalten.
Eurozone BIP und Potenzial-BIP, Graph: Antonio Fatas and Larry Summers
in: voxeu
Der Ausgangspunkt war aus wirtschaftlicher Sicht,
dass die Technologie-Schocks grundlegend als eine treibende Kraft hinter den
Konjunkturzyklen stecken. Die Wirtschaftsmodelle, die diese Schlussfolgerung
verwenden, betrachten aber das Wachstum als exogen und unabhängig von
Schwankungen, wobei nur Technologie-Schocks als dauerhaft angenommen werden,
während Nachfrage-Schocks als vorübergehend gelten.
Fatas und Summers hingegen stellen die Frage, ob
es möglich ist, dass die zyklischen (Nachfrage) Schocks dauerhafte Effekte
durch Hysterese-Effekte auslösen können. Die Autoren bejahen die Frage, ohne zu
zögern, weil die konjunkturelle Arbeitslosigkeit in eine langfristige
Arbeitslosigkeit münden kann.
In der Tat, wenn wir das Wachstum als endogenes
Phänomen betrachten, liegt es nahe, anzunehmen, dass sich aus jeder Krise
Hysterese ergeben kann. Eine logische Hypothese ist, dass die Kräfte, die das
Wachstum antreiben, während Rezessionen nachlassen. Und eine solche Hypothese wird durch die Beweise untermauert,
dass Investitionen in Sachkapital, F&E und die Einführung von neuen
Technologien dazu neigen, zyklisch zu sein.
Wenn dies so offensichtlich ist, warum schliesst
die herrschende Volkswirtschaftslehre Hysterese-Effekte in ihre Modelle nicht
ein?
Das Mainstream-Wirtschaftsmodell von Schwankungen
behandelt nämlich langfristiges Wachstum als exogen und sieht nur Technologie-Schocks
als verantwortlich für die Trendveränderungen an. Per Definition wird also die
Möglichkeit von Hysterese ausgeschlossen.
Es mag analytisch eine Herausforderung sein,
Wachstum als endogen im Zusammenhang mit Schwankungen zu betrachten. Aber es
gibt empirische Beweise, dass Hysterese-Effekte häufig vorkommen und gross
sind, legen Fatas und Summers weiter dar und halten fest, dass die politischen
Entscheidungsträger die Möglichkeit einer Hysterese endlich ernsthaft
berücksichtigen sollten.
Die Einbeziehung der Möglichkeit einer Hysterese
in die politischen Entscheidungen kann im Wesentlichen auf die Art und Weise
Einfluss nehmen, wie wir über die Rolle der Geld- und Fiskalpolitik nachdenken.
Denn das verhängnisvolle Festhalten am Kurs der
Haushaltskonsolidierung hat in der Eurozone so tiefe Spuren (wirtschaftlich und
sozial) hinterlassen, dass es nicht schwer ist, einzusehen, dass die auf die
herrschende Lehre zurückzuführende Austeritätspolitik (fiscal austerity) in einer Depression mehr als fragwürdig ist.
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