Sonntag, 13. November 2016

Prosperity for All

Buchbesprechung:

Roger E. A. Farmer: Prosperity for All. How to Prevent Financial Crisis, Oxford University Press, New York, London, 2017.


Wie die Great Depression (1930) ist auch die Great Recession (2008) ein transformatives Ereignis, das sowohl zu einem Paradigmenwechsel als auch zu einer grundlegenden Änderung der Wirtschaftspolitik führen wird, schreibt Roger Farmer in seinem neuen Buch.

Der an der UCLA lehrende Wirtschaftsprofessor bietet dazu eine neue Theorie, die seinen Ausführungen nach nicht nur die Depression, sondern auch die Stagflation mit berücksichtigt.

Im Gegensatz zu Keynes glaubt Farmer aber nicht, dass die Fiskalpolitik (mehr Staatsausgaben) die richtige Antwort darauf wäre. Sein Stichwort lautet Finanzpolitik („a new financial policy of asset market control“). Das heisst, dass die Zentralbank und das Finanzministerium gemeinsam in die Finanzmärkte systematisch eingreifen sollen, um die „Schwankungen der Preise von Vermögenswerten, die unser Leben entkräften“, zu verhindern.

Depressionen sind laut Farmer sich selbst erfüllende Prophezeiungen. Vor allem betont er, dass es so etwas wie den freien Markt nicht gibt. Die Pareto-Optimalität ist ein schwaches Konzept. Und der freie Handel führt im Allgemeinen nicht zu einem Pareto optimalen Ergebnis. Es gibt zwei Gründe, weshalb die Märkte fehlschlagen: (1) ein systemisches Versagen des Finanzmarktes und (2) ein systemisches Versagen des Arbeitsmarktes. 

Das ist der Ausgangspunkt, weshalb Farmer gestützt auf seine Erkenntnisse den „Lebensstandard aller Menschen verbessern“ will. Und er verfolgt dabei zwei Zielsetzungen: Erstens, makroökonomische Theorie zu reparieren und zweitens, das Finanzsystem in Ordnung zu bringen.

Das Problem mit dem Arbeitsmarkt hat mit nach unten starren Löhnen („sticky“) und Preisen nichts zu tun, es ist viel wesentlicher: Arbeitslosigkeit geschieht nicht, weil die Löhne und Preise sich nicht anpassen können, sondern, weil es keinen Preis für die Job-Suche gibt, argumentiert Farmer. 

Darum seien die Arbeitsmärkte nicht vollkommen. Ein anhaltender Wertverfall am Aktienmarkt gehe seinen Beobachtungen nach mit einem erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit einher. Der Zusammenhang zwischen Veränderungen am Aktienmarkt und den darauffolgenden Änderungen der Arbeitslosenquote sei jedoch nicht ursächlich. Darum ist es entscheidend, dass die öffentliche Hand sich aktiv um die Finanzstabilität kümmert, indem sie selbst mit Anlagen am Markt handelt (z.B. Kauf und Verkauf von ETFs), um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Bei der Vorstellung seiner Ausführungen bedient sich Farmer bereitwillig der Gegenüberstellung der neoklassischen Konzeption und des New-Keynesian Ansatzes. Und er macht ständig seinem Unmut Luft über die Annahmen, die den genannten Modellen zugrunde liegen. Auch das von Samuelson dargestellte Konzept der neoklassischen Synthese bekommt dabei sein Fett ab. Farmers Methode selbst ist aber durch und durch neoklassisch, mit einem streng monetaristischen Unterbau.

Sein Standpunkt lautet kurz, dass der private Verbrauch nicht vom Einkommen (income) abhängt, sondern von Wohlstand (wealth). Und Wohlstand ist nicht nur in der Theorie wichtig, sondern auch in der Praxis. 

Ein 10%iger Anstieg des realen Wertes am Aktienmarkt führe nach einem Quartal zu einem 3%-igen Rückgang der Arbeitslosenquote, so der Autor. Es kommt dabei v.a. auf die Glaubensvorstellungen (beliefs) an. Wenn wir uns reich fühlen, dann sind wir auch reich. Mit beliefs bekräftigt Farmer bei jeder Gelegenheit die Analogie von Keynes’ animal spirits.

Der Staat habe also die Pflicht, die Schwankungen an den Vermögensmärkten zu glätten. Farmers Vorschlag beinhaltet folglich die Einrichtung eines Staatsfonds (Sovereign Wealth Funds), der gesichert durch den Barwert der künftigen Steuereinnahmen die Finanzmärkte aktiv stabilisieren soll, um das Wachstum zu fördern, die Inflation stabil zu halten und die Vollbeschäftigung wiederherzustellen.

Der Autor liefert lesenswerte Einschätzungen zu vorherrschenden Wirtschaftsmodellen, die mehr oder weniger die Handlungsposition der modernen Notenbanken in den grössten Volkswirtschaften der Welt prägen. 

Aber auch neue Anregungen wie z.B. Steuerung des nominalen BIP (nom. GDP targeting) von Scott Sumner, das Konzept der negativen Nominal-Zinsen von Willem Buiter und das „Forward Guidance“-Konzept von Michael Woodford werden mit Kommentaren kurz und bündig angeschnitten.

Aber die im Buch präsentierte Idee überzeugt nicht, warum ein staatlich geschaffenes Sondervermögen quasi als verlängerter Arm der Notenbank durch aktives Trading im globalen Spekulationsgeschäft mit unberechenbaren Finanzprodukten im Fahrwasser der Hedge-Fonds dafür sorgen kann, dass Vollbeschäftigung herrscht. 

Farmers neue Theorie erinnert zudem an ein „kapitalgedecktes Vorsorgesystem“. Die Realisierung seines Konzeptes würde bedeuten, die Realwirtschaft vollkommen in die Hände der Finanzmärkte zu legen. Man denke nur an die immensen Verwaltungskosten und die „Sickerverluste“. 

Ausserdem dürfte das Vorgehen tendenziell dazu beitragen, dass die Ersparnisse in der Wirtschaft steigen. Der Realwirtschaft würden dadurch Haufen Gelder, die für die Nachfrage notwendig sind, entzogen. Da der Fonds nicht nur im Inland anlegt, sondern auch im Ausland, können darüber hinaus Währungsrisiken nicht ausgeschlossen, aber auch nicht abgesichert werden, weil sonst die Nachfrage nach der Landeswährung der absichernden Notenbank erhöht würde. Und die Geldpolitik würde, falls keine Gegenmassnahmen getroffen werden, im Allgemeinen restriktiver.

Bemerkenswert ist, dass Farmer auf die Löhne per se nicht besonders viel Wert legt. Er definiert die gesamtwirtschaftliche Nachfrage als vom Wohlstand (wealth) abhängig. Und der Wohlstand, der von Glaubensvorstellungen (beliefs) abhänge, umfasse Häuser, Fabriken, Maschinen und die Fertigkeiten von Menschen. Eine Aussage, die ich dabei nicht verstehe, ist, dass der „Wohlstand im Aktienmarkt kapitalisiert“ sei.

Die Fertigkeiten von Menschen bedeuten ferner ein Wert, und zwar in Form von Lohnzahlungen. Häuser, Fabriken und Maschinen weisen auch einen Wert auf, in Form von Erträgen und Mietzinsen, was Vermögen bedeute. Und der Wert hänge wiederum von Einkommen und Zinsen ab. 

Das bedeutet aber, dass das Wachstum doch von Löhnen und Investitionen getragen wird. Doch der Autor beharrt darauf, auch den Arbeitsmarkt von der Realwirtschaft zu trennen und dem Finanzmarkt anzuvertrauen.

Ein Schwenk in die Realität zeigt aber, dass die untere und mittlere Sicht über kaum Vermögen verfügt und daher von den Boom-Phasen den Aktien- und Immobilienmärkten in den vergangenen Jahren überhaupt nicht mitbekommen hat.

Robert Reichs Feststellung in einem diese Woche erschienenen Artikel in The Guardian ist goldrichtig, dass das, was in Amerika gerade geschehen ist, nicht als ein „Sieg für Hass über Anstand“ gesehen werden sollte. Weil es bei genauerem Hinsehen um eine Ablehnung der amerikanischen Machtstruktur geht, wie die Verbindungen, die viele Amerikaner sehen, zwischen Wohlstand (wealth) und Macht, stagnierenden oder sinkenden Löhnen, steigenden CEO-Salären und der Untergrabung der Demokratie durch Big Money. Die Leittragenden haben in den vergangenen 30 Jahren kein reales Einkommenswachstum erlebt. Die Menschen brauchen einen Job zum Broterwerb. Die Ära der Great Moderation ging an ihnen einfach vorbei.

Es ist ein informatives Buch, das die Schwachstellen der herrschenden Mainstream-Modelle aus einem neoklassischen Winkel beleuchtet und für einen Paradigmenwechsel plädiert.





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