Das Blatt hat sich an den Finanzmärkten schnell gewendet. Die sich anfänglich abzeichnende Aufregung wegen der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA hat sich kurzerhand gelegt. Der Auslöser war sicherlich der vom designierten US-Präsidenten mit Nachdruck hervorgehoben Fiscal Stimulus in Form von Infrastrukturinvestitionen in Höhe von rund 1’000 Mrd. USD.
Allein das Versprechen, die Staatsausgaben zu erhöhen, um in den Ausbau und Modernisierung der Infrastruktur zu investieren, hat Inflationserwartungen steigen lassen. Die Renditen sind v.a. am langen Ende der Ertragskurve stark angestiegen.
Auch die Laufzeitprämien (term-premium), die in den vergangenen Jahren auffallend negativ waren, wieder in den positiven Bereich zurückgekehrt.
In der Eurozone hingegen halten die politischen Entscheidungsträger immer noch am Einsatz der Geldpolitik fest und machen keine Anstalten, Fiskalpolitik zu Hilfe zu holen.
Inzwischen werden aber immer mehr Stimmen aus der EZB laut, die fordern, dass auch die Fiskalpolitik sich daran beteiligen soll, die Wirtschaft anzukurbeln wie z.B. Vítor Constâncio. Der EZB Vize-Präsident hat am Dienstag die Notwendigkeit unterstrichen, mit dem Einsatz der Fiskalpolitik der „niedrigen Wachstumsfalle“ entgegenzuwirken.
Wachstumserwartungen im Euro-Raum, Graph: Peter Praet, ECB in: „Long-run saving and monetary policy“, Nov 14, 2016
Am selben Tag, ein paar Stunden später hat auch Peter Praet, der Chefvolkswirt der EZB in einem lesenswerten Referat („Long-run saving and monetary policy“) in Brüssels gesagt, dass die Fiskalpolitik bei der Förderung der Nachfrage eine grössere Rolle spielen kann.
Praet hat darauf hingewiesen, dass die öffentlichen Investitionen in Europa als Anteil am BIP seit Jahren fallen. Es sei wichtig, dass die Behörden sich mit Fiskalpolitik an wachstumsfreundlicheren Massnahmen orientieren.
Wirtschaftswachstum im Euro-Raum, Graph: Peter Praet, ECB in: „Long-run saving and monetary policy“, Nov 14, 2016
In der Eurozone besteht gleichzeitig die akute Gefahr, dass die anhaltende Wirtschaftsschwäche aufgrund der Austerität einen Hysterese-Effekt auslöst.
Es gibt eine Anzahl von Kanälen, durch die der Hysterese-Effekt wirkt, wie Praet hervorhebt. Lange Arbeitslosigkeit bedeutet Beeinträchtigung des Arbeitsvermögens (human capital), der wirtschaftlich verwertbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen. Aber auch soziale Isolation der Arbeitslosen ist beunruhigend, was v.a. die Beteiligung an der Erwerbsbevölkerung betrifft. Darüber hinaus kann die hohe Jugendarbeitslosigkeit nach und nach gewisse Vernarbungen am Arbeitsmarkt verursachen, wie Praet beschreibt.
Auch die Bereitschaft der Unternehmen, zu investieren, ist der Gefahr ausgesetzt, mit der Zeit ramponiert zu werden, wenn sich die wirtschaftliche Erholung angesichts der Nachfrageschwäche in die Länge zieht. Dadurch werden nicht nur Investitionen zurückgehalten, sondern auch das verfügbare Kapital für die künftige Produktion reduziert. Das niedrigere Wirtschaftswachstum in Zukunft mündet dann irgendwann in niedrigeren natürlichen Zinsen.
Auch Mario Draghi hatte im April davor vor dem Hysterese-Effekt gewarnt. Die EZB findet aber kein Gehör bei Brüssel oder Berlin.
Potenzialwachstum im Euro-Raum, Graph: Peter Praet, ECB in: „Long-run saving and monetary policy“, Nov 14, 2016
Je mehr Menschen beschäftigt sind, desto mehr wird zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Je weniger Menschen auf die Sozialhilfe angewiesen sind, desto besser ist des Leben in einem Land. Die EU-Behörden scheinen aber zu glauben, dass die Arbeitslosigkeit freiwillig ist und versuchen, die Beschäftigung mit Lohnsenkungen (internal devaluation) zu stützen. Welch eine fatale Dogmatik!
Wenn die Menschen, die auf der Strecke bleiben, von populistischen Bewegungen vereinnahmt werden, kann man sich dann nicht mehr wundern. Das politische Versagen, das die neoliberale Agenda ausgelöst hat, gefährdet in Europa auch die Demokratie.
Inflation im Euro-Raum, Graph: Peter Praet, ECB in: „Long-run saving and monetary policy“, Nov 14, 2016
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