Mittwoch, 18. Januar 2017

Italien unter Austerität-Druck

Die EU macht Druck. Brüssel fordert von Italien zusätzliche Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, wie FT aus London berichtet.

Zur Erinnerung: Die EU-Behörden haben im vergangenen Jahr Portugal und Spanien angehalten, den Haushalt auszugleichen.

Nun kommt Italien dran. In einem am Dienstag verschickten Schreiben an die italienischen Behörden verlangt Brüssel von der drittgrössten Wirtschaft in der Eurozone, Massnahmen zu ergreifen, um das Haushaltsdefizit um 3,4 Mrd. EUR zu kürzen.

Das projizierte Haushaltsdefizit der italienischen Regierung ist zuletzt auf 2,3% gestiegen. Auch wenn dies deutlich unter dem von den EU-Vorschriften festgelegten Schwellenwert von 3% liegt, betrachtet Brüssel Italien Staatsverschuldung im Allgemeinen als zu hoch.

Rom führt den Fehlbetrag auf die durch die Erdbeben ausgelösten Kosten und die „Migrantenkrise“ zurück.

Warum Brüssel Haushaltsdefizite nicht im Verhältnis zu Ersparnissen des privaten Sektors bewertet, ist rätselhaft. Denn die Frage, ob das betreffende Defizit im Budget zu hoch ist, kann nur im Zusammenhang mit den Ersparnissen des Privatsektors beantwortet werden.


Die Rendite der italienischen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit, Graph: FT


Wenn das Haushaltsdefizit sich auf 3% des BIP beläuft und die Ersparnisse im Privatsektor 9% des BIP ausmachen, dann ist es schwer vermeidbar, dass die Wirtschaft in eine deflationäre Spirale gerät, es sei denn, die Differenz kann durch Exporte ausgeglichen werden.

Kein Wunder, dass Italien 2016 das erste Jahr seit 1959 mit einer Negativ-Inflation abgeschlossen hat.


Italien hat 2016 zum ersten Mal seit 1959 das ganze Jahr eine negative Inflation verbucht, Graph: fastFT

Wenn aber der Privatsektor mehr als 9% im Verhältnis zum BIP im Jahr spart, dann kann sich die Wirtschaft nicht erholen. Notwendig ist deficit spending. Das heisst im Grunde genommen, dass der Staat ein höheres Haushaltsdefizit vorweisen muss.

Das Problem in der gesamten Eurozone ist aber, dass Brüssel wegen der Maastricht-Verträge die Euro-Zwangsjacke trotz der besonders schweren Krise weiter enger zusammenzieht.


Italien und Wirtschaftswachstum, Graph: Morgan Stanley

Mit anderen Worten hängt der Fiscal Compact wie ein Damoklesschwert über der Eurozone. Wenn der Privatsektor (Haushalte, Unternehmen und Finanzinstitute) mehr spart als das Haushaltsdefizit im Vergleich zur Wirtschaftsleistung, dann ist Fiscal Stimulus die einzige Abhilfe, die funktioniert.

Fakt ist, dass der Staat viel zu wenig Mittel aufnimmt, um die Wirtschaft zu stabilisieren und den Nachfrageausfall wegen des anhaltenden Schuldenabbau-Prozesses (deleveraging) im Privatsektor zu kompensieren.

Italien hat zwar keine Immobilienmarkt-Krise wie Irland, Portugal und Spanien erlebt. Aber die Probleme im Banken-Sektor (*) spielen heute offenbar eine grosse Rolle, sodass das Land aus der Balance-Sheet-Recession nicht heraus kommt.

Wenn alle Sektoren gleichzeitig die Gürtel enger schnallen, und Brüssel noch mehr Haushaltskonsolidierung fordert, dann wird die Situation nur noch verschlimmert, weil auch die unkonventionelle Geldpolitik nicht mehr viel bewegen kann. 

Es ist vor diesem Hintergrund verständlich, dass Mario Draghi, EZB-Präsident um Mithilfe der Fiskalpolitik bittet.


Kapitalbedarf der italienischen Banken, Graph: Morgan Stanley



(*) 

Italien hat rund 20 Mrd. EUR für die Rettung der Monte dei Paschi die Siena, die drittgrösste Bank des Landes beigesteuert.




3 Kommentare:

Rob hat gesagt…

"Wenn aber der Privatsektor mehr als 9% im Verhältnis zum BIP im Jahr spart, dann kann sich die Wirtschaft nicht erholen. Notwendig ist deficit spending."

Vorweg: prima Beitrag. Aber: Dieser Satz klingt wie TINA. Und das stimmt natürlich nicht! Denn eine andere Lösung ist durchaus denkbar: "Notwendig ist eine Verringerung der Sparquote". Viele Bürger würden das begrüßen - ich meine natürlich die Reduzierung der Schulden; nicht die Reduzierung der monetären Ersparnisse.

Das Problem das ich sehe ist bloß: Es gibt Verdrängungseffekte. Die großen Sparer (u.a., die acht Personen,die von Oxfam heute genannt werden) sparen ungemein viel (auch nach Abzug der Sachvermögenswerte). Und so gibt es viele Milliardäre und Millionäre, die durch ihre Ersparnisse alle kleinen Sparer zum Verzweifeln bringen. Schließlich sind letztere nicht für die Null- und Minuszinsen verantwortlich. Aber erstere.

Anonym hat gesagt…

Der Inhalt des Artikels ist vollkommen richtig. Da aber in Deutschland eine völlig andere Situation besteht - fiskale Anreize sind nicht nur unnötig, sondern absolut kontraproduktiv - zeigt das, dass die Idee des EURO absolut politikinduziert und wirtschaftlich unsinnig ist. Mit dem EURO versuchen wir, Probleme zu lösen, die wir ohne den EURO nicht hätten.

Anonym hat gesagt…

"Italien unter Austerität-Druck"

Italien hat bekanntlich den Fiskalpakt 2012 unterschrieben.
Ich würde allen die von europäischen Konjunkturprogrammen, Stimuli u.ä. reden die Lektüre der Verträge dringend empfehlen!

Zitat von Wikipedia:

"Der Europäische Fiskalpakt (englisch European Fiscal Compact, französisch Pacte budgétaire européen) bezeichnet Inhalte und Maßnahmen aus dem „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ (SKS-Vertrag), welcher auf dem Vertrag von Maastricht, bzw. auf jenen EU-Konvergenzkriterien basiert (60 % Verschuldungsobergrenze in Relation zum jeweiligen BIP und 3 % jährliches Haushaltsdefizit in Relation zum jeweiligen BIP). Wesentliche Neuerung beim „SKS-Vertrag“ betrifft nun (zusätzlich zu den „Maastricht-Kriterien“) die Möglichkeit der finanziellen Sanktionierbarkeit bei Nichteinhaltung.
….

Teilnehmende Länder, deren strukturelles Defizit (jährliche Neuverschuldung abzüglich konjunkturellem Defizit) 0,5 % des jeweiligen BIP oder deren Gesamtschuldenquote 60 % des BIP überschreitet, haben ihre Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme mit Maßnahmen zum Abbau der Verschuldung der EU-Kommission und dem Europäischen Rat vorzulegen und von diesen genehmigen zu lassen.


Der Vertrag wurde am 2. März 2012 von 25 EU-Mitgliedern, mit Ausnahme von Großbritannien und Tschechien, ratifiziert. Kroatien, welches im Jahr 2013 der EU beitrat, unterzeichnete den Fiskalpakt nicht. Er gilt für die derzeit 19 Staaten des Euro-Währungsraumes vollumfänglich und mit Einschränkungen für die weiteren unterzeichnenden Staaten der EU. Die Zustimmung zum „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ ist Grundbedingung, um als bedürftiger Staatshaushalt Darlehen aus dem ESM beziehen zu können."

"Vertragsinhalt
Der allgemeine Staatshaushalt muss ausgeglichen sein oder einen Überschuss aufweisen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a). Das gilt bereits dann als erreicht, wenn der konjunkturbereinigte jährliche Saldo ohne Anrechnung einmaliger und befristeter Maßnahmen (Art. 3 Abs. 3 Buchst. a) in seinem länderspezifischen mittelfristigen Ziel (gemäß dem geänderten Stabilitäts- und Wachstumspakt) nicht höher als 0,5 % des nominalen BIP ist (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b); er kann bis zu 1,0 % des BIP betragen, wenn der Schuldenstand erheblich unter 60 % des BIP liegt (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und d SKSV).

Die neue Regelung muss in der nationalen Verfassung (oder auf gleichwertigem Niveau) verankert werden (Art. 3 Abs. 2 SKSV). Sie muss zudem einen automatischen Korrekturmechanismus beinhalten, der im Falle einer Abweichung ausgelöst wird. Alle unterzeichnenden Staaten erkennen die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs, der die Umsetzung dieser Regel auf nationaler Ebene überprüft, an (Art. 8 SKSV).