Markus Brunnermeier stellt die unterschiedlichen Weltanschauungen zwischen Deutschland und Frankreich in den Mittelpunkt seines jüngst veröffentlichten, lesenswerten Buches, um dazu beizutragen, die wirtschaftspolitischen Positionen der beiden Gründungsstaaten des europäischen Projektes besser zu verstehen und die Reaktionen auf die anhaltende Krise möglichst rasch auf Vordermann zu bringen.
Thomas Piketty nimmt am Montag in seinem Blog die bevorstehenden Wahlen in Deutschland (im Herbst) und Frankreich (im Frühjahr) zum Anlass, um die „angebliche wirtschaftliche Asymmetrie“ zwischen den beiden Ländern (Deutschland wohlhabend und Frankreich im Abstieg) zu ergründen.
Der französische Ökonom unterstreicht mit Nachdruck die Tatsache, dass die Produktivität der deutschen und der französischen Volkswirtschaften, gemessen am BIP pro geleistete Arbeitsstunde, nahezu identisch ist.
Darüber hinaus sei die Produktivität auf höchster Weltebene, was zeige, dass das europäische Sozialmodell eine glänzende Zukunft habe, ungeachtet dessen, was die „Brexiter“ und „Trumper“ denken mögen, so der Wirtschaftsprofessor an der Paris School of Economics.
Als Fazit hält der Autor des insbesondere in den USA viel Aufmerksamkeit erweckten Buches („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) fest, dass Deutschland und Frankreich ähnliche Produktivität an den Tag legen, aber sie auf sehr unterschiedliche Art und Weise verwenden:
Produktivität in Deutschland und Frankreich im Vergleich (gemessen am BIP pro geleistete Arbeitsstunde), Graph: Thomas Piketty
Wenn Frankreich 100 Einheiten Waren und Dienstleistungen herstellt, verbraucht es 101 Einheiten und investiert 102 Einheiten im Inland. Wenn Deutschland 100 Einheiten produziert, konsumiert und investiert es nur 92 Einheiten.
Die Lücke mag zwar schmal erscheinen. Aber wenn sie jedes Jahr vorkommt, führt sie zu finanziellen und sozialen Ungleichgewichten von beträchtlicher Grösse, was heute Europa zu untergraben droht, argumentiert Piketty weiter.
Konsum und Investitionen im Binnenmarkt im Verhältnis zum BIP: Deutschland versus Frankreich, Graph: Thomas Piketty
Dass Frankreich-Bashing ein Schwindel ist, hat Heiner Flassbeck in den vergangenen Jahren in mehreren Vorträgen und Anlässen makroökonomisch überzeugend nachgewiesen. Hier sind nur einige von zahlreichen Abbildungen, die der Herausgeber des lesenswerten Blogs Makroskop im Verlauf der Jahre präsentiert hat.
Produktivität pro Stunde im Vergleich: Frankreich vs. Deutschland, Graph: Heiner Flassbeck, Apr 29, 2016 in Saarbrücken
Piketty schreibt zudem, dass die deutschen Regierungen nach der Wiedervereinigung grosse Angst davor hatten, Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. So haben sie eine Nullrunde bei den Löhnen verordnet, um die Produktivität wieder anzuheben. Aber sie gingen allem Anschein nach zu weit. Denn es entstand daraus mit der Zeit ein Überschuss im Aussenhandel, der in einem Ausmass ohne Zweifel nicht vorgesehen war.
Reallöhne pro Stunde und Produktivität im Vergleich: Deutschland und Frankreich, Graph: Heiner Flassbeck & Costas Lapavitsas, Apr 2013 in: „Die systemische Krise des Euro – wahre Ursachen und effektive Therapien“
Der Überschuss ist heute, allgemein gültig, überhöht. Die Lösung liegt laut Piketty darin, die Löhne zu erhöhen, den Verbrauch und die Investitionen in Infrastruktur und das Bildungssystem in Deutschland voranzutreiben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen