Ein Leser fragt, warum ich „den naiven Glauben“
pflege, dass die Wirtschaft im Euro-Raum wachsen muss. Brauchen wir wirklich
Wirtschaftswachstum, um Wohlstand zu ermöglichen? Die Antwort ist ganz klar: Ja.
Denn Wirtschaftswachstum bedeutet in erster Linie
mehr Beschäftigung. Und es kommt heute im schwer angeschlagenen Umfeld der
europäischen Wirtschaft besonders auf den Zusammenhang zwischen Wachstum und
Beschäftigung an.
Interessant ist, dass die Washington Post gerade am Sonntag einen lesenswerten Artikel von Larry Summers veröffentlicht hat. Der
ehemalige US-Finanzminister schreibt dort, dass es kaum ein Zufall sein kann,
dass die Jahrzehnte des maximalen Wachstums (1960er und 1990er Jahren) auch das
schnellste Beschäftigungswachstum und den schnellsten Anstieg des
Lebensstandards der Mittelschicht markieren.
Das Wachstum stellt die nötigen Mittel für
erhöhte Einnahmen des Bundes bereit und fördert damit den Schutz der
lebenswichtigen Sozialprogramme (wie z.B.
Social Security und Medicare in
den USA), hebt der an der Harvard
University lehrende Wirtschaftsprofessor hervor.
Und Wachstum schafft v.a. Spielraum für
Initiativen wie z.B. Lohnsubventionen (in den USA: EITC, Erweiterung von Steuergutschriften).
Wachstum erleichtert zudem die Gestaltung der
Geldpolitik. Auf diese Weise werden verzweifelte Aktionen, die die
Finanzstabilität in Zukunft gefährden könnten, vermieden. Mehr Wachstum
reduziert auch die Kriminalität und fördert Projekte für den Umweltschutz und nährt
den öffentlichen Optimismus, was der nächsten Generation zugute kommt.
Verlangsamung des realen Pro-Kopf-BIP-Wachstums
in den hoch entwickelten Volkswirtschaften, USA, Euro-Raum und Japan im
Vergleich, Graph: NYTimes
(annualisierte
10-Jahres-Durchschnitt-Wachstumsraten)
Wenn das Wachstum steigt und die Zinsen sich
normalisieren und die Löhne der Mittelschicht schneller als die Inflation
steigen, dann fällt die Schuldenlast. Und die Kaufkraft der Verbraucher
verbessert sich.
Wichtig ist vor diesem Hintergrund, in Erinnerung
zu rufen, dass die Mehrzahl der Arbeitsplätze in industrialisierten Volkswirtschaften
vom Privatsektor geschaffen wird.
Während die Kapitalkosten heute nahe Null liegen,
der Aktienmarkt sich auf Rekordjagd befindet, und Unternehmen
Rekord-Gewinnmargen verbuchen, brauchen wir Unternehmen mit noch niedrigeren
Unternehmenssteuersätzen und/oder Abbau der Regulierung nicht zu schmieren,
argumentiert Summers weiter.
Die Wirtschaftspolitik muss sich seiner Ansicht
nach daran orientieren, dass es auf beiden Seiten des Atlantiks seit Jahren an
Nachfrage mangelt und es daher entscheidend ist, mit Erhöhung der öffentlichen
Investitionen die Nachfrage anzukurbeln, die Kaufkraft der Verbraucher zu
verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern.
Heiner Flassbeck: „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“, Graph: Westend Verlag
Wichtig ist zudem, zu bekräftigen, dass es keinen
Zielkonflikt zwischen dem Wachstum und dem Umweltschutz gibt. Man muss mehr
Wachstum und Beschäftigung haben, um noch mehr Umweltschutz durchsetzen zu
können, wie Heiner Flassbeck in
seinem lesenswerten Buch („Das Ende der
Massenarbeitslosigkeit“) darlegt.
Das Wirtschaftswachstum ist ausserdem die einzige
Möglichkeit, die Laster der Alterung in engen Grenzen zu halten.
„Wenn die Produktivität und die Realeinkommen in
den nächsten 20 Jahren weiter steigen, kann man die Lastern der Alterung gut
schultern, weil sie sozusagen aus einem grösseren Kuchen bedient werden können.
Einen grösseren Kuchen wird es aber nur geben, wenn alle verfügbaren Bäcker (um
im Bild zu bleiben) tatsächlich mitbacken können und nicht arbeitslos aussen
vor bleiben, was wiederum Wachstum schon heute voraussetzt“, so Flassbeck.
Da die öffentliche Hand in Schweden nach dem Ausbruch der Finanzkrise von 2008 interveniert
hat, um möglichst viele Arbeitsplätze vor dem Abbau zu schützen, ist das
Einkommen um „nur“ 20% gefallen, wie eine neulich vorgelegte Forschungsarbeit
von McKinsey Global Institute nachdrücklich bemerkt.
Einkommen in fortentwickelten Volkswirtschaften (fallend und/oder stagnierend), Graph: McKinsey Global Institute
Während das Wirtschaftswachstum sich in den USA
in den letzten Jahrzehnten verlangsamt hat, neigt das Wachstum auch in den
meisten anderen entwickelten Volkswirtschaften zur Schwäche.
Die Regierungen treffen unterschiedliche
wirtschaftspolitische Massnahmen einschliesslich Steuer- und Sozialpolitik,
wobei eine Linie zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor gezogen
wird. Das legt nahe, dass es nur ein wenig Wechselbeziehung zwischen der Grösse
des Staates und dem Wachstum gibt, argumentiert Jared Bernstein am Montag in einem Kommentar bei Washington Post.
Wenn Sie also den konservativen Standardspruch
hören, dass die Steuern und Staatsausgaben Arbeitsplätze vernichten, dann seien
Sie gewarnt: Es handelt sich nicht um eine empirische Evidenz, sondern um eine
ideologische Behauptung, betont Bernstein.
Das reale Pro-Kopf BIP versus Steuereinnahmen des
Staates als Anteil am BIP, Graph:
Jared Bernstein
Die Behauptung, dass die steigende Steuerlast das
Wirtschaftswachstum abwürge, würde, wenn sie zuträfe, eine negative Neigung in
der oben abgebildeten Kurve beinhalten. Doch die Neigung der Kurve ist
eindeutig positiv.
Es gibt heute offensichtlich einen dringenden
Bedarf für öffentliche Investitionen in vielen Bereichen. Die Rendite der
inflationsgeschützten US-Treasury Bonds beträgt nur noch 0,13%. Im Euro-Raum
beläuft sich die Rendite der deutschen inflationsindexierten Bundesanleihen -0,99%.
Mehr Staatsausgaben würden die Wirtschaft in Fahrt
bringen, und das Wachstum würde mehr Steuereinnahmen in die Kasse der
öffentlichen Hand spülen, wie Paul
Krugman in seiner Kolumne am Montag in NYTimes beschreibt. In dieser
Analyse sei die mögliche Rolle der öffentlichen Investitionen für die Schaffung
von Arbeitsplätzen nicht einmal berücksichtigt, so der am Graduierten Zentrum
der City University New York (CUNY)
forschende Wirtschaftsprofessor als Fazit.
Wenn die Wirtschaftspolitik für eine gute
Konjunktur sorgt, dann gibt es Wachstum und Arbeitsplätze. Nötig ist daher eine
angemessene Koordination von Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik.
3 Kommentare:
Das ist ein toller Artikel - Danke!
"Wenn die Wirtschaftspolitik für eine gute Konjunktur sorgt, dann gibt es Wachstum und Arbeitsplätze. Nötig ist daher eine angemessene Koordination von Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik."
Das ist richtig, aber wer oder was soll der Koordinator sein? Mmn kann das nur ein "starker und kluger Vater-Staat" sein, der sich einer pragmatischen Teorie(oder Wirtschaftslogik) bedient. Eine Art von "Ordnungspolitik" ist absolut notwendig. Freier Markt wird nur das Chaos fortführen. Solchen starken Staat will aber offensichtlich keiner ernsthaft, weil alle insgeheim an die regulatorische Wirkung des Marktes glauben.
Alle sind sich einig, daß wir Nachfragemangel haben.
Nachfragemangel entsteht z.B. bei Arbeitslosigkeit. Logische Folge: Arbeitslosigkeit muß reduziert werden - da endet aber die Logik - seit den 70-er Jahren haben wir Massenarbeitslosigkeit, die scheinbar "Systemimmanent" ist.
Dazu eine Frage für 10 Punkte: wann in der Geschichte wurde die Massenarbeitslosigkeit wirksam bekämpft? - Durch New Deal? - nein. Antwort bei dem "Kreditmechaniker" W. Lautenbach
Wie wird die (gesammtwirtschaftliche) Nachfrage stimuliert?
(meine) Logik sagt, Investitionen die auf Basis von Krediten in die Realwirtschaft finanziert werden, schaffen mehr Einkommen und dadurch wird Nachfrage erhöht. Saldenmechanik ist immer richtig, zeigt aber das Ergebnis der Wirtschaftsaktivität ex post - so zu sagen wie der Pathologe, der alles weist, kommt aber immer zu spät
wie der Pathologe, der alles weist, kommt aber immer zu spät
wie der Pathologe, der alles weiss, kommt aber immer zu spät
"Ein Leser fragt, warum ich „den naiven Glauben“ pflege, dass die Wirtschaft im Euro-Raum wachsen muss."
Diese Formulierung finde ich etwas unglücklich - Sie unterstellen, daß ich ein Wachstumsgegner sei. Meine Absicht war aber zu zeigen daß im Gegenteil: Wachstum absolut notwendig ist um die Probleme zu lösen. Wie die Wege die dahin führen sollen aussehen macht den Unterschied.
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