Montag, 29. Juli 2019

Kurzarbeit in der Industrie und Unterbeschäftigung in Deutschland


Die EZB hat vergangene Woche bekräftigt, wegen der anhaltenden Schwäche der Konjunktur in Europa die Geldpolitik weiter zu lockern.

Der Ausblick wird „schlechter und schlechter“ („worse and worse“), sagte Mario Draghi nach der EZB-Sitzung in Frankfurt.

Geplant sind allem Anschein nach erneute Anleihekäufe und eine Zinssenkung durch die EZB. 

Der sog. Einlagensatz liegt gegenwärtig bei minus 0,40%. Der EZB-Rat hat gleichzeitig unterstrichen, dass die Zinspolitik allein nicht ausreichen würde, das Inflationsziel (knapp 2%) zu erreichen.

Bemerkenswert ist, dass Berlin trotzdem ein Ende der jahrelangen Krisenpolitik fordert, während die industrielle Schwäche deutsche Unternehmen veranlasst, Mitarbeitern „Kurzarbeit“ (short-time work) aufzuerlegen, um „grössere Schwierigkeiten zu vermeiden“. 

Wie FT darauf hindeutet, kann es sich dabei um die Vorboten von Problemen auf dem deutschen Arbeitsmarkt handeln.

Die US-China Handelsspannungen, die Befürchtungen eines non-deal Brexit und die Abkühlung des chinesischen Automobilmarktes belasten die exportorientierte deutsche Wirtschaft massiv.

Der Rückgang der Fertigungsaufträge in Deutschland scheint damit die gesamte Eurozone zu überschatten. Mit anderen Worten beginnt die deutsche industrielle Schwäche nun, ihre Spuren in der Arbeitsmarktpraxis des Landes zu hinterlassen.


David G. Blanchflower: Not Working – Where Have All the Good Jobs Gone? June 2019, Princeton University Press


Immer mehr Unternehmen versuchen, die Lohnkosten zu senken, indem sie die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter reduzieren. Im verarbeitenden Gewerbe, bei den Herstellern von schweren Fahrzeugen, wie Zügen, Flugzeugen und Verteidigungsgütern, haben 30% der Unternehmen auf Kurzarbeit zurückgegriffen. 

Im Durchschnitt haben 3,8% der Hersteller die Arbeitszeit verkürzt. Das Münchener Ifo-Institut erwartet, dass die Zahl in den nächsten drei Monaten auf 8,5% steigen wird.

Laut IHS Markits Germany Business Outlook sind die Einstellungsabsichten im gesamten deutschen Privatsektor die niedrigsten seit 2013 und zum ersten Mal seit acht Jahren niedriger als der Euro-Durchschnitt. 

Die Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe signalisieren zum ersten Mal seit 2014 ihre Absicht, Personal abzubauen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden drei Monaten in eine Rezession gerät, ist in den letzten Wochen gestiegen (36,6%), zeigt der IMK-Konjunkturindikator an.

Es lässt sich vor diesem Hintergrund zusammenfassen, dass die Arbeitslosenquote als Messwert für das Geschehen auf dem Arbeitsmarkt eindeutig zu kurz greift. 

Bei rund 3,1% sollte der Arbeitsmarkt brummen und anständige Arbeitsplätze sollten in Hülle und Fülle vorhanden sein, was aber nicht der Fall ist.

Wenn so wenige Menschen nach Arbeit suchen, wie es eine niedrige Arbeitslosenquote andeutet, sollten Unternehmen Arbeitnehmer aus anderen Unternehmen anwerben, dadurch, dass sie ihnen höhere Löhne anbieten.

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz sagt aber in einem Gespräch mit dem Bloomberg TV, dass die deutsche Regierung keine Stimulus-Absichten hege. Es gehe der deutschen Wirtschaft gut. Doch es ist eine Tatsache, dass die Kurzarbeit zunimmt.

Es ist im Hinblick auf die Gestaltung der wirtschaftspolitischen Massnahmen wichtig, wahrzunehmen, dass die offizielle Arbeitslosenquote an Aussagekraft verliert. Es gilt, das Augenmerk auf die Unterbeschäftigungsquote zu richten; sie gibt einen besseren Hinweis auf die Arbeitsmarktschwäche (labor markt slack).

Die Unterbeschäftigung in Deutschland liegt heute bei 6.8% (Juni 2019).

Die Unterbeschäftigung ist die neue Arbeitslosigkeit. 

Danny Blanchflower hat neulich ein unbedingt lesenswertes Buch zum Thema vorgelegt. Der Wirtschaftsprofessor am Dartmouth College sagt, dass wir den niedrigen Arbeitslosenzahlen als Beweis dafür, dass es dem Arbeitsmarkt gut geht, nicht vertrauen können.

Das Buch handelt von Menschen, die keine Vollzeitbeschäftigung zu einem angemessenen Preis finden (unterbeschäftigt) und wie ihre Notlage zu einer weit verbreiteten Verzweiflung, einer sich verschlimmernden Drogenepidemie und dem ungebremsten Anstieg des Rechtspopulismus beiträgt. 

Ein Mangel an gut bezahlten Arbeitsplätzen hat immer Konsequenzen. Gut bezahlte Jobs machen Menschen glücklich und zufrieden; sie sorgen sich weniger. Arbeitslosigkeit verschlechtert die psychische Gesundheit.

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