Donnerstag, 11. April 2019

Nullzinsen und Angst vor „Japanisierung“ Europas


Die Angst vor der „Japanisierung“ Europas geht um, so lauten die Schlagzeilen in den jüngsten Tagen.

Die Protagonisten sind die Mainstream-Medien.

Was soll aber an Japans Wirtschaft so schlimm sein?

Die japanische Wirtschaft verharre „seit Jahrzehnten in einer deflationären Situation, geprägt von geringem Wachstum, und ultraniedrigen Zinsen“, wird erzählt.

Als Gründe werden die Spätfolgen einer geplatzten riesigen Immobilienblase in den 1980er Jahren angeführt. Nun, das mag stimmen.

Parallelen in Europa werden aber v.a. wegen der „chronischen Nullzinsphase“ gezogen, mit angeblich „verheerenden Folgen für alle Sparer“.

Damit wird weiter Angst geschürt: „Eine Japanisierung des Euroraums würde also bedeuten, dass wir nicht nur weitere Jahre mit Nullzinsen leben müssten, sondern Jahrzehnte“.


Japan: Arbeitslosigkeit (weisse Kurve) versus Inflation (blaue Kurve), Graph: Bloomberg, Apr 10, 2019


Die japanische Arbeitslosigkeit ist seit fast zehn Jahren stetig zurückgegangen und liegt jetzt bei 2,3%. Trotzdem ist die Inflation kaum gestiegen. Die Teuerungsrate kommt nicht vom Fleck.

Die Arbeitslosenquote im Euroraum ist dagegen immer noch über dem Vorkrisenniveau und liegt mit 7,8% viel höher. Und die europäische Wirtschaft ist weniger stabil. 

Auch die anhaltend hohe Unterbeschäftigung (2017: 18%) in Europa darf in diesem Kontext nicht aus den Augen verloren werden. 

Vor diesem Hintergrund ist man jedoch geradezu zu verlockt, um zu sagen, dass Japanisierung vielleicht Europa guttun würde.

Der Punkt ist eigentlich, dass die Performance des Arbeitsmarktes (auf beiden Seiten des Atlantiks) schlimmer ist als die der Preisstabilität. Darum sollte es in der Debatte gehen.


Wirtschaftswachstum in Europa, Graph: FT, Apr 10, 2019


Ausserdem: Wenn von Zinsen die Rede ist, kommt man an der Dynamik von Ersparnissen und Investitionen nicht vorbei. Wenn nicht investiert wird, fallen die Zinsen. 

Warum werden aber Investitionen zurückgestellt? 

Weil die europäischen Entscheidungsträger von ausgeglichenen Haushalten besessen sind. Trotz des weiterhin angeschlagenen Umfelds der Wirtschaft halten sie an ideologisch geprägten Konzepten fest, wie z.B. an der Schuldenbremse und/oder „Schwarzen Null“-Politik. 

Kurzum trägt Europas Wirtschaftspolitik den Namen „fiscal austerity“.

Es gilt daher, vorerst festzuhalten, dass die Austerität zuerst da war. Und dann kamen die Niedrigzinsen dazu:

Fehlt die Nachfrage, bleiben die nominalen Zinsen nahe Null-Grenze liegen. Und die Inflation steigt nicht, weil die Löhne stagnieren. Wenn Verbraucher angesichts des schwachen Lohnwachstums die Ausgaben zurückhalten, sehen Unternehmen keinen Anreiz, Investitionen zu erhöhen, weil sie mit sinkenden Absätzen rechnen. 

Und wenn die Politiker obendrauf auch die öffentliche Hand zum Sparen verdonnern, ist es schwer, mit einem Anstieg der Zinsen zu rechnen. Denn damit schnallen praktisch alle Sektoren der Wirtschaft die Gürtel enger, ausser Ausland. Die dummen Ausländer sollen ja unsere Güter kaufen, und zwar auf Pump.


Die Nachfrage nach Kredit im Euroraum, Graph: FT, Apr 10, 2019


Der Mitte 2015 begonnene Anstieg der Kreditnachfrage ist aber im Euroraum inzwischen zum Erliegen gekommen, berichtet FT aus London mit Bezugnahme auf die am Dienstag veröffentlichten Daten der EZB.

Fazit: Das einzig an Export orientierte Wirtschaftskonzept, welches von Anfang an kein Vorbild für den Rest der Eurozone dargestellt hat, ist damit zum Ende gekommen. 

Wenn untersagt wird, durch höhere Staatsausgaben die Wirtschaft zu stabilisieren und die Beschäftigung zu stützen, während der Privatsektor spart, bleiben Millionen von Menschen auf der Strecke. Und die Zinsen verharren auf ungewöhnlich niedrigem Niveau.


Finanzierungssalden der deutschen Wirtschaftssektoren, Graph: Heiner Flassbeck in: Makroskop, Apr 11, 2019

In einer Wirtschaft, wo selbst private Unternehmen zum Netto-Sparer werden, muss der Staat in die Bresche springen, um die Nachfragelücke zu schliessen. Sonst droht die Gefahr von mangelnder Nachfrage, Stagnation, Deflation und Hysterese-Effekt. Das Argument, dass der Staat, der über sein eigenes Geld verfügt, nicht Pleite gehen kann, ist zwar richtig, aber in diesem Zusammenhang irrelevant.





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