Sonntag, 22. Juli 2018

Marketcraft


Buchbesprechung

Steven K. Vogel: Marketcraft – How Governments Make Markets Work, Oxford University Press, 2018


Märkte brauchen Regeln, nicht nur um die Menschen und die Umwelt vor Kollateralschäden zu schützen, sondern auch um effektiv zu funktionieren. Unsere tatsächlichen Entscheidungen hängen daher nicht davon ab, ob Märkte reguliert werden sollten, sondern davon, wie sie reguliert werden sollten.

Märkte der realen Welt sind Institutionen, die menschliche Interaktionen formen. Das ist die Maxime des Autors, der es vorzieht, dafür das Wort „crafting“ (d.h. anfertigen, gestalten) zu benutzen, da damit künstlerisches Schaffen hervorgehoben werden kann, was für die Marktsteuerung erforderlich ist.

Das Buch untersucht dementsprechend, warum Märkte als Institutionen betrachtet werden müssen (als komplexe Kombinationen von Gesetzen, Praktiken und Normen), mit der Zielsetzung, um die jüngsten Entwicklungen in fortgeschrittenen Volkswirtschaften wie den USA und Japan zu verstehen.

Während einige Wissenschaftler betonen, dass moderne Märkte effektive Governance benötigen, sprechen viele Politiker, Journalisten und Experten in fortgeschrittenen Volkswirtschaften davon, als gäbe es so etwas wie einen „freien Markt“, der ohne Governance gedeiht. 

Der Punkt ist, dass die Debatte dadurch in einen Rahmen gerückt wird, wo es praktisch nur noch um die Dichotomie „Staat versus Markt“ geht. Was damit kontra-faktisch nebeneinander gestellt wird, ist klar: „staatliche Intervention“ versus „Markt-Freiheit“.

Das ist natürlich irreführend. Denn es gibt nicht so etwas wie einen freien oder perfekten Markt. Märkte müssen geschaffen werden. Marktreform ist in erster Linie ein konstruktives Unternehmen, nicht ein zerstörendes. Und es gibt nicht eine einzige Marktlösung für eine wirtschaftspolitische Herausforderung. 

In der Tat verlangt mehr Wettbewerb gewöhnlich mehr Regulierung. Marktreform bedeutet in der Praxis 1) wachsende Regulierung, die die Konkurrenz verbessert wie z.B. Anti-Trust Regeln und 2) den Abbau von Regulierung, die sie verhindert wie z.B. Preis-Restriktionen und Hindernisse zum Markteintritt.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass staatliche Regelungen (governmental regulation) erhebliche Kosten verursachen; es kann Märkte einschränken, und übermässige bürokratische Auflagen sind in der Tat ein reales Problem. 

Der Autor behauptet deshalb nicht, dass Regulierung immer von Vorteil ist oder etwas mehr davon besser ist. Er legt dem Leser einfach nahe, dass staatliche Regulierung angesichts der realen-Markt-Governance (mit all ihren Ungerechtigkeiten, Verzerrungen und Kosten) in Ermangelung dieser Regulierung gewertet werden soll.

Eine bessere Analyse bietet nämlich der Ausgangspunkt für eine bessere Markt-Governance, und dies wäre im Sinne von sowohl Progressiven als auch Marktliberalen.

Wenn Märkte weder natürlich noch neutral sind, dann ist es für Progressive nicht schwer, das Argument zu widerlegen, dass die Marktergebnisse den Marktwert widerspiegeln. Die echte Alternative zu staatlichen Massnahmen ist nämlich nicht der perfekte Markt, sondern ein Markt, der mit Ineffizienz, Betrug und Ungleichheiten in Sachen Macht und Ressourcen des Privatsektors geladen ist. 

Der Punkt ist, dass Market Governance verbessert werden kann, um eine grössere wirtschaftliche Gleichheit zu erreichen, und zwar nicht durch Umverteilung, sondern durch Marktsteuerung (Market Governance), die die Chancengleichheit verbessert.

Wenn wir anstelle von „privatization, liberalization und deregulation“ von „market transition, market development und market reform“ reden, sieht die ganze Angelegenheit anders aus. 

Das Buch zeigt, wie die Sprache und die Umrahmung von „freien Märkten“ wissenschaftliche Analysen und politische Vorschriften unterminieren.

Denn das Ideal des freien Marktes kann die wirtschaftliche Analyse auf subtile Weise verzerren, selbst wenn sie als eine Annahme und nicht als eine Beschreibung der Realität betrachtet wird. Es impliziert nämlich, dass unvollkommene Märkte das zu erklärende Rätsel sind und die perfekten Märkte die natürliche Ordnung verkörpern. Und dies bedeutet im Grunde genommen eine Forschungsagenda mit Schlagseite; Wissenschaftler würden voreingenommen versuchen, vielmehr die Kollusion zu erklären als die Konkurrenz. Das heisst, dass sie versuchen würden, die Abweichungen vom Marktverhalten zu erklären statt das Marktverhalten selbst.

Fazit: Wir können Governance gestalten, um die Märkte zu stärken und sie auf das Gemeinwohl (public good) auszurichten. Es geht also weniger um die Beschränkung von Restriktionen als um die Verbesserung der Market Governance. Ein kompakt geschriebenes, wertvolles Buch, das die Institution Markt aus progressiver Sicht rational und überzeugend veranschaulicht. Unbedingt lesenswert.



Prof. Steven K. Vogel: Marketcraft, Oxford University Press, 2018



2 Kommentare:

Johannes hat gesagt…

Leider fehlt mir bei dieser Betrachtungsweise die Definition von Märkten. Denn diese "Märkte" gibt es nach meiner Ansicht nicht. Das bestimmte wirtschaftliche Zusammenhänge in einen Rechtsrahmen gesetzt werden müssen, ist wohl selbstverständlich.

Acemaxx-Analytics hat gesagt…

Dieses Buch konzentriert sich auf reale Märkte, nicht auf perfekte Märkte. Daher definiert es Märkte einfach als Arenen, in denen Käufer und Verkäufer zusammenkommen, um Waren und/oder Dienstleistungen auszutauschen (Seite: 11)