Buchbesprechung
Marcel Fratzscher: The Germany Illusion – Between Economic Euphoria and Despair, Oxford University Press, June 2018
Deutschland geht es gut. Es hätte aber besser gehen können, wenn das Land nicht unter zwei Illusionen gelitten hätte.
Marcel Fratzscher stellt uns in seinem neuen Buch die Trugbilder analytisch und ausführlich vor.
Die erste Imagination ist die Wahrnehmung, dass Deutschlands Wirtschaftspolitik makellos ist und die Zukunft des Landes dank dem erfolgreichen Export-Sektor und der flexiblen Wirtschaft glänzend erscheint.
Die zweite Fantasie bezieht sich auf den in Deutschland weit verbreiteten Glauben, dass das, was für Europa gut ist, schlecht für Deutschland ist.
Im ersten Teil behandelt der Autor die wirtschaftliche Story Deutschlands vom Zustand des „kranken Manns Europas“ bis zum selbst zugeordneten Titel des „economic superstar“.
Im zweiten Teil geht es um etwas dämpfende Schilderung der Rolle, die Berlin während der europäischen Krise gespielt hat.
Die Beschäftigung ist zwar stark gestiegen. Aber auch die Anzahl der Teilzeitjobs hat zugenommen, während die Arbeitsstunden im Durchschnitt zurückgefallen sind. Der Rückgang der Lohnstückkosten hat zwar die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschland verbessert. Aber die Entwicklung ging zu Lasten der Binnennachfrage. Denn Lohnzurückhaltung bedeutet niedrigeres Einkommen, niedriger Verbrauch und weniger Investitionen. Und damit weniger Wirtschaftswachstum und weniger Wohlstand.
Doch die Achillesferse der deutschen Wirtschaft ist die massive Lücke in öffentlichen und privaten Investitionen. Und das ist der besonders lesenswerte Abschnitt des Buches.
Die Idee der Schuldenbremse („debt brake“) ist historisch im ordo-liberalen Wirtschaftskonzept des Landes begründet. Laut Autor ist sie zwar nützlich, aber sie trägt auch dazu bei, dass Investitionen schwach bleiben. Daher soll sie von einer Investitionsregel ergänzt werden, um den öffentlichen Wohlstand zu schützen.
Weitere Brennpunkte sind wirtschaftliche und soziale Ungleichheit und die Herausforderung durch die Flüchtlingskrise.
Die offene Wirtschaft ist zwar eine Stärke, aber auch die deutsche Wirtschaft brauche strukturelle Reformen, so der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) als Fazit.
Etwas nonchalant geht Fratzscher, Professor für Makroökonomie an der Humbolt-Universität in Berlin auf die Thematik „Deutschland als Exportweltmeister“ ein.
Das Export-Volumen in dieser Höhe (Leistungsbilanz-Überschuss 2016: 8% des BIP) sei zwar ungewöhnlich hoch, aber das Problem seien nicht die Ausfuhren, sondern die Einfuhren, die zu niedrig sind.
Deutschlands Unternehmen sind wettbewerbsfähig, nicht weil sie die Löhne drücken, sondern weil sie höchst innovativ und produktiv sind, so der Autor weiter.
Das „wage-dumping“ betreffe hauptsächlich den „non-tradable“ Sektor, also Unternehmen, die nicht unmittelbar im internationalen Wettbewerb stehen.
Der Autor scheut sich nicht, ganz dick aufzutragen, dass der Anstieg der deutschen Ausfuhren für die Wirtschaft im Euro-Raum vorteilhaft sei und die Nachbarländer vom deutschen Export-Erfolg profitieren.
Hier sind aber Zweifel angebracht. Es ist eine Binsenwahrheit, dass Wettbewerbsfähigkeit ein relatives Konzept ist, d.h. dass die Einnahmen des einen die Ausgaben des anderen sind. Und dass die Qualität i.d.R. im Preis enthalten ist, leuchtet auch unmittelbar ein. Dazu braucht es keine relativierende Erzählung.
Es ist beispielsweise Italien gelungen, die Handelsbilanz in Richtung Überschuss zu bewegen. Aber die Antriebskräfte waren die Euro-Schwäche und Rezession, nicht die gigantischen Exporte der deutschen Industrie.
Die bilaterale Leistungsbilanz Italiens gegenüber Deutschland bleibt heute noch defizitär, wegen der regelwidrig niedrigen Lohnstückkostenentwicklung in Deutschland. Da Italien aufgrund der restriktiven Maastricht-Kriterien fiskalpolitisch die Hände gebunden sind, ist der Weg zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit via Austerität und Lohnsenkungen fragwürdig.
Schliesslich können nicht alle Länder gleichzeitig einen Überschuss erwirtschaften. Der Autor vertritt aber die Ansicht, dass der hohe Überschuss der deutschen Wirtschaft im Aussenhandel in erster Linie ein Problem für Deutschland ist. Na ja. Weil der Leistungsbilanz-Überschuss auf der deutschen Wirtschaft laste und damit die Wohlfahrt der Bürger beeinträchtige. Vor diesem Hintergrund liest sich dieser Abschnitt des Buches zum Teil wie eine Seelenmassage.
Das ist sicherlich ein informatives, sprachlich gut verständlich geschriebenes Buch und eine wohlgesinnte Zusammenfassung der Parameter der deutschen Wirtschaft.
Doch der Grundtenor, der sich hinter der figurativ akademischen Anerkennung der wesentlichen Schwächen und Verwundbarkeiten der deutschen Wirtschaft versteckt, bleibt standhaft neoklassisch: „France needs to accept the idea of more market discipline“ (ouch!).
Wir dürfen nicht vergessen, dass der Wettbewerb unter Nationen mit dem sinnvollen Wettbewerb unter Unternehmen nichts zu tun hat. Die Welt als Ganzes kann ihre Konkurrenzfähigkeit nicht verbessern.
Und wenn ein Land insbesondere in einer Währungsunion durch eine bewusste Politik der Lohnzurückhaltung seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert, werden andere Länder in die Verschuldung getrieben. Es ist dann nicht intellektuell redlich, die Schuldner-Länder zu Schuldigen zu erklären und strukturelle Reformen nahezulegen.
PS: Greg Mankiw hat neulich in seinem Blog darauf hingewiesen, dass es sich nicht gehört, zu schreiben, dass die Handelsbilanz eines Landes sich verbessert hat. Die Journalisten sollten stattdessen davon reden, dass die Handelsbilanz sich in Richtung Überschuss bewegt. Denn die Aussage „Handelsbilanz sei verbessert“ verleihe der Ansicht Glaubwürdigkeit, wie wenn Handelsüberschüsse immer gut und die Handelsdefizite immer schlecht wären. Das ist natürlich nicht wahr, so der an der Harvard University lehrende Wirtschaftsprofessor.
"The Germany Illusion "– Marcel Fratzscher Oxford University Press 2018
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