Sonntag, 24. Juni 2018

Necessary Evil


Buchbesprechung

David Kinley: Necessary Evil – How to Fix Finance by Saving Human Rights, Oxford University Press, New York, June 2018

Die Global Financial Crisis (GFC) hat u.a. aufgezeigt, wie entscheidend die Form und die Funktion des Finanzsystems für die Erfüllung unserer meisten Grundrechte ist, was z.B. den Zugang zum Wohnen, zur Bildung, zur Gesundheit, aber auch die Arbeitsplatzsicherheit und die Sozialhilfe betrifft. 

Für Millionen von Menschen, die am wenigsten dafür tun können, weshalb und wie die Krise entstanden ist, hat sie fatale Auswirkungen ausgelöst. Unzählige Menschen haben nicht nur den Job, sondern auch das Eigenheim verloren. Und die Fiscal Austerity hat dazu geführt, dass die Lebensstandards scharf gesunken sind. (*)

Die Macht und die Wucht der Durchdringung des globalen Finanzsystems über alle möglichen Formen der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interaktion ist der Gegenstand dieses neulich vorgelegten Buches von David Kinley

Eine aufgeschlossene, klare und analytische Beleuchtung der Rolle der Menschenrechte im Umfeld der immerwährenden selbstzerstörerischen Widrigkeiten der Finanzmärkte auf das Wohlbefinden einfacher Menschen.

Der Autor ist Rechtsprofessor (Human Rights Law) an der University of Sydney. Sein wesentliches Anliegen ist, durch detaillierte Beschreibung der Geschichte der Beziehungen zwischen dem Finanzwesen und den Menschenrechten darauf hinzuweisen, dass der Finanzsektor nicht ein Ziel, sondern ein Mittel ist, um weit verbreitetes Wohlergehen der Menschen zu fördern.

Es geht v.a. um den Beitrag, den das Finanzsystem (als Diener der ökonomischen und politischen Prozesse) zur Prosperität aller Menschen in der Gesellschaft leisten kann und soll. Und Menschenrechte (**) können in dieser Hinsicht helfen, nicht indem sie Standards fürs Wachstum oder die wirtschaftliche Produktivität festlegen, sondern indem sie Standards für die Lebensqualität setzen, die den Einzelpersonen zugutekommen.

Es gibt jedoch zwei Hindernisse: 1) „Selbstverliebtheit“ der Finanzwelt, die Menschenrechte als „Externalitäten“ betrachtet und deshalb für irrelevant hält und 2) „Einzigartigkeit“ der Finanzwelt, die angesichts der Macht, der Grössenordnung und der Vorherrschaft des Sektors irgendwie als gegeben gilt.

Der Autor betont immer wieder, dass die Wahrung und die Förderung der Menschenrechte (***) eines der wichtigsten Ziele für das Finanzwesen seien. Daher sind alle Verfechter der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit aufgerufen, die gegenwärtigen Bemühungen um die Reform der Finanzwelt („notwendiges Übel“, Buchtitel) mitzutragen, damit das Finanzsystem die Legitimität bzw. die „soziale Lizenz“ dafür bekommt, der Menschheit zu dienen, statt den Meister zu spielen.

Zur Erinnerung: Es gibt keinen „trickle-down“-Effekt. Das Steuersystem begünstigt überwiegend Reiche über Arme, Kapital über Einkommen und Grossunternehmen über Kleinunternehmen. Financiers haben den Gesellschaftsvertrag (social contract) mittlerweile so umgeformt, dass das Finanzmonster ausser Kontrolle geraten ist, so der Autor. Regulatorische Interventionen sind deswegen wünschenswert und notwendig, um, wie Kinley weiter darlegt, Veränderungen in kultureller und mentaler Hinsicht herbeizuführen.

Der Autor nennt es eine „behutsame Hoffnung“, dass sich die Herrschaft des Rechtes („rule of law“) am Ende durchsetzt. Denn Finanzwesen und Menschenrechte können nicht ohne einander überleben.

Ein leidenschaftlich geschriebenes, sorgfältig recherchiertes und sicherlich ein einzigartiges Buch, das sich redlich bemüht, einen Denkanstoss zu geben, ohne anmassend zu wirken, damit das Finanzwesen endlich einsieht, die Wahrung und Pflege der Menschenrechte nicht vor Augen zu verlieren, nicht nur, weil es nützlich und wünschenswert ist, sondern auch gemeinnützig. 




(*) Arbeitsplätze sind der wichtigste Faktor für den Lebensstandard weltweit, unterstreicht die Weltbank im „World Development Report“ (2013) 

(**) Prof. Robert Shiller sieht z.B. die Menschenrechte als „Hindernis“ im Finanzwesen, weil sie „zu absolut“ und „nicht-flexibel“ seien. Es bereichert die Tiefe des Buches, dass Prof. Kinley kein Blatt vor den Mund nimmt und Ross und Reiter nennt.

(***) Der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR), kurz UN-Sozialpakt ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag und legt fest, dass Staaten sich für das Maximale von ihren „verfügbaren Ressourcen“ engagieren müssen, um die Rechte für die Nahrung, Gesundheit, Wohnen, Ausbildung und Arbeitsbedingungen zu realisieren.

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