Sonntag, 3. Juni 2018

Italiens stagnierende Wirtschaft und Finanzierungssalden der Sektoren


Der Fall Italien zeigt, dass die makroökonomische Politik (*) der EU-Behörden nicht funktioniert. 

Es war Brüssels wirtschaftspolitische Agenda („Sparen: gut, Schulden: schlecht“) in enger Kooperation mit Berlin, die die italienische Misere ausgelöst hat. 

Die italienische Wirtschaft hat eine sechs Jahre andauernde Rezession durchlaufen.

Was wurde Rom dabei verordnet, um die Wirtschaft ins Gleichgewicht zu bringen? Strukturreformen (vorwiegend Massnahmen auf der Angebotsseite).

Das bedeutet „interne Abwertung“: Gürtel enger schnallen, v.a. Lohnkürzungen und Sozialabbau.

Italien hat damit tatsächlich eine Reihe Reformen durchgeführt, im Pensionssystem und auf dem Arbeitsmarkt.

Es ist aber unumstritten, dass die interne Abwertung die Wirtschaftsschwäche intensiviert und Arbeitslosigkeit erhöht hat. Siehe die erste Abbildung im vorhergegangenen Blog-Eintrag.

Folglich wundert es nicht, dass populistische Parteien die Oberhand gewinnen. Denn das Volk leidet zweifelsohne.

Und um es noch einmal zu unterstreichen: Mitschuld tragen die Länder im Norden Europas.

Denn sie schreiben Italien apodiktisch vor, weiterhin am restriktiven Fiskalkurs festzuhalten. Die Sparpolitik verursacht aber Nachfrageschwäche.

Wie man an der folgenden Abbildung deutlich erkennen kann, sind die Finanzierungssalden der Sektoren der italienischen Wirtschaft (private Haushalte, Unternehmen und Staat) alle im Plus. Das heisst, dass sie weniger ausgeben als sie einnehmen. Nur das Ausland ist im Minus (capital account; inverse of current account).


Finanzierungssalden der italienischen Wirtschaft (sectoral balances: saving minus investment) im Verhältnis zum BIP, Graph: Makroskop, June 1, 2018


Ganz wichtig: Im europäischen System ruht die Last des Anpassungsprozesses einzig auf Schultern der Defizit-Länder. Die Gläubiger-Länder wollen dazu nichts beitragen, nach dem Motto, wer Schulden hat, ist selber schuld.


5 year CDS spreads for Italy, Graph: Adam Samson, FT, May 29, 2018 

Kein Wunder, dass Paolo Savona, der abgewiesene Kandidat für das Finanzministerium gesagt hat, dass Italien in einem Käfig gefangen ist, den Deutschland gebaut hat. 

Gäbe es einen gemeinsamen Haushalt, würde man die Wirtschaft für die gesamte Eurozone stabilisieren können. Der Haushalt hätte Geld transferiert, um symmetrische Auswirkungen sicherzustellen, sagt Paul de Grauwe in einem aktuellen Interview mit Finanz und Wirtschaft aus Zürich. 

Die Strukturreformen, die Rom hat über sich ergehen lassen, reichen aber nicht aus, die Konjunktur zum Laufen zu bringen. Denn was fürs Wachstum notwendig sind, keine Sparmassnahmen, sondern Investitionen.


Der Verlauf des italienischen BIP, Graph: WSJ, May 30, 2018 

Die Fiscal Austerity trägt dazu bei, dass Italiens Wirtschaft weiter stagniert. Das BIP pro Kopf ist so niedrig wie 1999. Wenn aber Italien nicht wachsen kann, steigt der Schuldenstand.

Die EU-Regeln eines ausgeglichenen Haushalts sind so ätzend, dass die EU-Länder sich selbst davon halten, Investitionen mit Schulden zu finanzieren. Kein Privatunternehmen würde sich so eine dumme Regel geben, bekräftigt Prof. De Grauwe im Interview.


Der Rendite-Abstand der Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit zwischen Italien und Deutschland, Graph: John Authers, FT, June 1, 2018 


Wenn Unternehmen bei Nullzinsen nicht investieren, sondern sparen, während auch private Haushalte sich mit Ausgaben zurückhalten, also niemand Geld ausgibt, führt kein Weg daran vorbei, dass der öffentliche Sektor sich ein Herz fasst, und die Wirtschaft stimuliert. Und das geht nur über den Kredit, das heisst, Schulden.

Wer das nicht einsieht, hat ein Problem mit der makroökonomischen Logik, und ist ideologisch verbohrt.


Der Rendite-Abstand der Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit zwischen Italien, Spanien und Deutschland, Graph: Graph: WSJ, May 30, 2018 



(*) Die Fiscal Austerity ist ein böser Zwilling des Marktfundamentalismus und die „Schwarze Null“ ist ein hässlicher Cousin der Haushaltskonsolidierung, koste es was es wolle.


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