Buchbesprechung
James Kwak: Economism – Bad Economics and the Rise of Inequality, Pantheon Books, New York, 2017.
Der Arbeitsmarkt funktioniert nicht wie der Kartoffelmarkt, weil am Arbeitsmarkt Angebot und Nachfrage nicht unabhängig voneinander sind.
Das Gleichgewicht bei der Preisbildung lässt sich daher nicht einfach mit der Zeichnung der Nachfrage- und Angebotskurve aus dem Lehrbuch herstellen.
Es ist deshalb eine Illusion zu glauben, dass die Beschäftigung steigen würde, wenn die Löhne fielen. Dieselbe Analogie gilt auch für andere Bereiche des ökonomischen Lebens, wie James Kwak in seinem neulich erschienenen Buch „Economism“ erläutert.
Das Phänomen, das wettbewerbsorientierte Marktmodell, das in der Volkswirtschaftslehre (Economics 101) ganz am Anfang gelehrt wird, eins zu eins mit eigenartigen Interpretationen radikal auf die Welt anzuwenden, nennt der an der University of Connecticut School of Law lehrende Wirtschaftsprofessor „Economism“.
Economism ist so tonangebend, dass die gesamte zeitgenössische Kultur des politischen und des intellektuellen Lebens davon geprägt bzw. geplagt wird. Angesichts der wachsenden Ungleichheit droht sogar mit der Zeit das soziale Gefüge zu zerbrechen.
Die Hauptaussage dieses lesenswerten Buches ist, dass Economism heute in der Gesellschaft so unverhältnismässig einflussreich geworden ist, dass Millionen von Menschen auf der Strecke bleiben.
Wer ist aber für die völlig verfehlte Politik, die sich auf „Economics 101“ beruft und in Form von „Economism“ verbreitet, verantwortlich? Welche Kräfte stehen dahinter? Was sind die Motive?
Der Autor unterstreicht mit Nachdruck, die Ansicht nicht zu teilen, dass die „neoklassische Schule“ für den Aufstieg des neoliberalen Kapitalismus und die Zunahme der Ungleichheit in den fortentwickelten Ländern verantwortlich ist.
Seiner Meinung nach ist das Problem auf geringe Kenntnisse über die Art und Weise, wie die Wirtschaft in der Wirklichkeit funktioniert, zurückführen.
Das Problem sei, dass die Menschen, die Wirtschaft studieren, im Allgemeinen denken, dass wettbewerbsfähige Märkte optimale Ergebnisse liefern würden.
Zu wenig Wissen sei prädestiniert dazu, das Geschehen aufzubauschen. Es verführe die Menschen, oberflächlich zu handeln. Wenn man über die Wirtschaft mehr wüsste, erführe man, dass die Welt mehr ist als nur das Angebot und die Nachfrage, der Preise und die Menge, so Kwak.
Mit einem solchen Chart wollen uns die Verfechter des „Economism“ weissmachen, dass Mindestlöhne die Beschäftigung senken, Graph: James Kwak in: „Economism“, 2017
Im dritten Kapitel seines Buches beschreibt er den langen Marsch des Economism als eine ursprüngliche (Protest-)Bewegung gegen den New Deal.
New Deal steht als Oberbegriff für die Wirtschafts- und Sozialreformen, die in den USA zwischen den Jahren 1933 und 1939 unter US-Präsident Franklin Delano Roosevelt (FDR) als Antwort auf die Great Depression durchgesetzt wurden.
Der „Ökonomismus“, der von selbst-ernannten Experten, eifrigen Lobbyisten, ahnungslosen Politikern und unwissenden Fachgelehrten ausgetragen wird, wirkt durch die Verfälschung die gültigen Grundsätze und Werkzeuge der VWL-Einführung in der Tat dogmatisch.
Protagonisten sind, wie der Autor schildert, rechtsorientierte Think Tanks (z.B. FEE: Foundation for Economic Education, AEI: American Enterprise Institute), rechtskonservative Stiftungen (The Heritage Foundation) und konservative Institutionen (The Cato Institute), die sich v.a. auf Ludwig von Mises („The Road to Serfdom“, 1944), Friedrich Hayeks („The Constitution of Liberty“, 1960) und Milton Friedmans („Capitalism and Freedom“, 1962) Werke berufen.
Dazu kommen zahlreiche TV- und Rundfunk-Sendungen (z.B. Rush Limbaugh), die hemmungslos versuchen, den neoliberalen Irrweg gangbar zu machen.
Die Story von Hayeks Siegeszug ist daher die Story des Economism. Die grösste Errungenschaft ist dabei, eine politische Ideologie als einen leichten und einfach zu bedienenden, angeblich neutralen Rahmen zu verpacken und zu vermarkten.
Die ausdrückliche Ideologie ist heute als Marktfundamentalismus bzw. Neoliberalismus bekannt. Nutzniesser der Fetischisierung der privaten Märkte sind ausschliesslich die Reichen und Unternehmen (die wiederum weitgehenden im Besitz der Reichen sind), nicht gewöhnliche Familien.
Wir leben nicht in der bestmöglichen Welt.
Das ist ein super-starkes, lesenswertes Buch, geeignet als Pflichtfach für die allgemeine Bildung, nicht nur für Ökonomen.
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