Freitag, 11. Mai 2018

Europas Wirtschaft und Flaute am Arbeitsmarkt


Eine wirtschaftliche Flaute schliesst sich mit dem Konzept der Produktionslücke (output gap) zusammen, schreibt die EZB in dem am Donnerstag veröffentlichten Economic Bulletin (No. 3).

Die Produktionslücke ist definiert als die Differenz zwischen den Werten des realen BIP (beobachtbar) und der potenziellen Produktion (nicht beobachtbar), die wiederum dem Trend des realen BIP entspricht.

Das heisst die Höhe der Produktion, die erreicht werden kann, ohne einen Inflationsdruck auszulösen.

Das Konzept ist aber nicht unumstritten. Die Inflationsentwicklung ist auch von anderen Faktoren als nur von der Produktionslücke beeinflusst (wie z.B. Kostenschocks, Inflationserwartungen, Preissetzungsmacht, monetäre Konditionen usw.).

Liegt das reale BIP unter dem so definierten Potenzial, ist die Produktionslücke negativ. Das heisst, dass es eine Flaute in der Wirtschaft gibt, und der Inflationsdruck (ceteris paribus) eher gedämpft ist.


Produktionslücke im Euroraum; Schätzungen durch die EU Kommission, den IWF und die OECD, Graph: ECB in Economic Bulletin, issue 3, May 10, 2018


Überschreitet hingegen das reale BIP die potenzielle Produktion (potential output), ist die Produktionslücke positiv. Und es ist wahrscheinlich, dass Inflationsdruck entsteht.

Es gilt jedoch sich zu vergegenwärtigen, dass die Produktionslücke als ein aggregiertes Konzept betrachtet wird, während in einigen Märkten, in Branchen oder Regionen eine Flaute bestehen kann, auch wenn die Produktionslücke geschlossen ist oder sich im positiven Bereich befindet, wie die EZB-Analyse betont.

Obwohl jüngste Schätzungen des Produktionspotenzials in der Eurozone darauf hindeuten, dass die Flaute abnimmt. Aber die Inflation und der Lohndruck bleiben verhalten.

Der breiter angelegte Messwert (*) der Arbeitsunterauslastung legt laut EZB nahe, dass die Flaute am Arbeitsmarkt wahrscheinlich grösser ist als die Arbeitslosenquote veranschaulicht.

Eine modellbasierte Schätzung deutet darauf hin, dass die Produktionslücke in der Eurozone inzwischen nahe Null liegt, aber Vorsicht: das Modell ist mit Unwägbarkeiten behaftet.

Eine boomende Wirtschaft ist nämlich nicht eine, die schnell wächst, sondern eine, wo das Niveau von Produktion und Beschäftigung über dem Niveau liegt, das mit der Zielinflation vereinbar ist, wie Simon Wren-Lewis in einem aktuellen Eintrag in seinem Blog bekräftigt.

Modelle in Sachen Produktionslücke sind daher nur Schätzungen dessen, was dieses Niveau ist. Die zugrunde liegende Inflation ist der ultimative Leitfaden. 


Flaute im Euroraums Arbeitsmarkt, Graph: ECB in Economic Bulletin, issue 3, May 10, 2018

Und die Kerninflation (0.7%) liegt derzeit im Euroraum deutlich unter dem Zielwert, weshalb wir im Jargon der Ökonomen davon reden, dass die Zinsen an ihrer effektiven Untergrenze (effective lower bound) sind.

Und das bedeutet, dass eine expansive Fiskalpolitik notwendig ist, weil die Geldpolitik an der Nullzinsgrenze (zero lower bound) an Zugkraft verliert. 

Die Fiskalpolitik in der gesamten Eurozone ist aber zu restriktiv. Denn nicht nur Deutschland schnallt die Gürtel enger, sondern der gesamte Euroraum, und zwar so restriktiv wie vor der Zeit der Krise.





(*) Der breiter angelegte Messwert umfasst v.a. die Unterbeschäftigung, z.B. die Teilzeitbeschäftigte (part-time workers), die eine Arbeit suchen, aber nicht zur Verfügung stehen. Und solche, die zwar zur Verfügung stehen, aber keine Arbeit suchen (die sog. „entmutigten“ Arbeitnehmer).





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