Freitag, 17. März 2017

The Limits of the Market

Buchbesprechung

Paul De Grauwe: The Limits of the Market – The Pendulum between Government and Market, Oxford University Press, 2017.

Märkte sind nicht grundsätzlich besser oder schlechter als Staaten. Worauf es ankommt, ist der Wohlstand der Menschen. 

Markt und Staat sind vielmehr Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen. Wie aber die Mischung aussehen soll, ist die schwierige Frage, mit der sich Paul De Grauwe in einem neuen Buch befasst.

Es ist ein mühsamer, manchmal zerstörerischer Prozess, der ständig in Bewegung ist. Der Wendepunkt in diesen Pendelschwankungen fiel bisher mit störenden Ereignissen zusammen, die die Grenzen von Markt und Staat testen, beschreibt der an der London School of Economics, LSE lehrende Wirtschaftsprofessor aus Belgien von Anfang an.

Kein Wunder, dass Aufstieg und Fall des Kapitalismus in der Geschichte öfters immer ein beliebtes Forschungsthema war. 

Karl Marx, Friedrich Engels, Joseph Schumpeter, Rosa Luxemburg, Vladimir Lenin und Karl Polanyi haben alle dazu eine eigene Theorie entwickelt, die De Grauwe allerdings als „linear theories“ bezeichnet. Er selbst verwendet die „cyclical theory“, um das ökonomische Pendel („great economic pendelum“) zu erforschen.

Bemerkenswert vor diesem Hintergrund sind De Grauwes Ausführungen zum Thema Euro. Ganz konkret: Wenn ein Land der Europäischen Währungsunion (EWU) beitritt, übernimmt es den Euro und verzichtet auf die eigene Landeswährung.

Die Gemeinschaftswährung wird von einer gemeinsamen Notenbank, nämlich der EZB gehandhabt. Und das hat Konsequenzen für die Mitglieder der EWU.

Veranschaulicht wird die ganze Entwicklung am besten am Beispiel von Spanien (mit Euro) und Grossbritannien (mit Pfund). 

Kommt es zu einem negativen ökonomischen Schock, wie z.B. im Jahr 2010 im Euroraum, steigt das spanische Haushaltsdefizit. Aber auch die Staatsverschuldung des Landes nimmt zu. 

Die beunruhigten Investoren wundern sich, ob die spanische Regierung genügend Liquidität hat, um die Schulden zu bedienen. Und sie stossen prompt spanische Staatsanleihen ab. 

Der Verkauf von Staatspapieren löst zwei Effekte aus: Der erste ist, dass die Verzinsung der spanischen Staatsanleihen steigt, was dazu führt, dass die Kreditaufnahme der spanischen Regierung sich verteuert, um das Defizit zu decken. 

Der zweite ist, dass die Investoren, die die Spaniens Staatsanleihen verkaufen, dafür Euros bekommen. Den Verkaufserlös legen sie wieder an, und zwar in deutsche Staatsanleihen, die sie als sicher und liquide empfinden. 

Das bedeutet, dass Euros Spanien verlassen und ab in Richtung Deutschland wandern. Im Ergebnis kommt der spanische Geldmarkt zum Erliegen. Die spanische Regierung sieht sich dann einer Liquiditätskrise gegenüber, die theoretisch zu einem Zahlungsausfall (default) führen kann.

Was wir hier nun beobachten ist, eine sich selbsterfüllende Prophezeiung. Wären die Investoren nicht in Panik geraten, wäre die Liquiditätskrise nicht passiert. Der soeben beschriebene Prozess der sich selbsterfüllenden Prophezeiung wäre andererseits in Grossbritannien nicht möglich.

Auch Grossbritannien hat 2010 einen ähnlichen Schock wie Spanien verkraften müssen: eine schwere Rezession und Banking-Krise haben zu einem grossen Haushaltsdefizit und zu einem Anstieg der Staatsverschuldung geführt. 

Auch in diesem Fall steigt die Verzinsung der britischen Staatsanleihen. Der zweite Effekt aber bleibt aus, weil die Investoren davon ausgehen, dass die britische Regierung sich in der eigenen Währung verschuldet und deshalb mehr davon in den Markt pumpen kann. 

Während also Spanien unter einer Liquiditätskrise leidet und mit Insolvenz-Risiko konfrontiert wird, bleibt Grossbritannien davon verschont. 

Der Punkt ist, dass nationale Regierungen in der EWU für Bewegungen, die von Angst und Panik auf den Finanzmärkten angetrieben werden, anfällig sind. Die Furcht wird weiter gefüttert, wenn ein Land von einer Rezession betroffen ist.

Marktbewegungen können die Regierungen in eine Liquiditätskrise drängen, die sie zwingt, Ausgaben radikal zu senken. Und die Ausgabenkürzungen finden zum falschen Zeitpunkt statt, während es der Wirtschaft schlecht geht. Steigt die Arbeitslosigkeit, wenden sich die Menschen gegen die Marktordnung. In diesem Sinne stellt die Eurozone laut De Grauwe eine Gefahr für den freien Markt dar.

Da die Regierungen von der eigenen Zentralbank keine Unterstützung erwarten können, müssen sie das Diktat der Finanzmärkte akzeptieren, was nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten muss, wenn die Märkte immer Recht hätten. 

Das ist aber nicht der Fall. Denn die Märkte werden oft durch kollektive Prozesse des Optimismus und der Euphorie abwechselnd mit Pessimismus und Panik angetrieben. Und das ist sicherlich kein guter Leitfaden für eine angemessene makroökonomische Politik.

De Grauwe hält als Fazit fest, dass der Euro eine Währung ohne ein Land ist. Viele Länder lehnen daher ein System ab, in welchem wichtige Entscheidungen von anonymen und unzuverlässigen Märkten und nicht-gewählten Beamten getroffen werden.

Die Eurozone hat zu einem grossen Wandel in Macht der nationalen Staaten im Vergleich zu den Finanzmärkten geführt. Das ist laut De Grauwe eine gefährliche Tendenz, weil es im Lauf der Zeit den sozialen Konsens hinsichtlich der Vorteile eines Marktsystems untergräbt.

Eindrucksvoll lesenswert.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Danke für den Hinweis auf das Buch. Eine deutsche Übersetzung täte not!