Montag, 26. Dezember 2016

The Euro and The Battle of Ideas


Buchbesprechung

Markus K. Brunnermeier, Harold James and Jean-Pierre Landau, Princeton University Press, Princeton and Oxford, 2016.

Makroökonomen können sich heute nicht einmal auf die Bedeutung verschiedener Erklärungsansätze über die Hauptursache der globalen Rezession einigen. 

Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich kein leichtes Unternehmen, zu dritt (ein Deutscher, ein Brite und ein Franzose) ein Buch darüber zu schreiben, ob die EWU überleben kann oder nicht und worauf der Fehlschlag zurückzuführen ist. 

Die Autoren halten aber von Anfang an freimütig fest, dass es innerhalb Europas keine schlüssige Wirtschaftsphilosophie gibt, wie es insbesondere während der Krise deutlich zum Vorschein gekommen ist. 

Der Verlauf der Begebenheiten in der Eurozone werden insofern aufgrund von zwei unterschiedlichen Weltanschauungen, die aufeinanderprallen, durchleuchtet: Frankreich versus Deutschland.

Während die französische Philosophie alle Möglichkeiten einer flexiblen Handhabung der Krisenbekämpfung ins Zentrum stellt, bevorzugt das deutsche Weltbild eine auf Regeln basierende Philosophie.

Während der französische Ansatz darin besteht, den Fokus darauf zu legen, wie die gegenwärtige Krise bewältigt werden kann, läuft der deutsche Ansatz darauf hinaus, künftige Krisen zu vermeiden.

Während die deutsche Politik sagt, dass alle vor der eigenen Tür kehren sollen, hebt die französische Lebensanschauung „fraternity“ hervor.

Brunnermeier, James und Landau schildern die gespannten Verhältnisse (zwischen den „verschiedenen Möglichkeiten des ökonomischen Denkens“) ausführlich und deuten darauf hin, wie sich daraus allmählich eine zweifache Machtverschiebung ergeben hat:

Der Entscheidungsfindungsprozess hat sich erstens weg von den EU-Institutionen in Brüssel ab in Richtung der Hauptstädte der Mitgliedstaaten verlagert. Zweitens hat eine Kräfteverschiebung unter den Hauptstädten stattgefunden, und zwar zugunsten von Berlin und Paris. Und am Schluss hat Berlin die Macht an sich gezogen. Das heisst, dass Berlin heute alleine die Fäden in der Eurozone zieht. Deutschland dominiert m.a.W. die Vorgänge in der EU.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die europäische Wirtschaft seit sieben Jahren stagniert. Eine zentrale Frage, die im Verlauf der europäischen Krise intensiv diskutiert wurde, ist, ob die Kapitalströme in der EWU die Ungleichgewichte in den Leistungs- und Handelsbilanzen verursacht und damit die Finanzinstabilität ausgelöst haben. 

Die (neoklassisch geprägte) These lautet nämlich, dass die Kapitalströme aus dem Norden in Südeuropa einen Boom im Immobiliensektor entfacht und anhaltende Widrigkeiten mit sich gebracht haben. Die Löhne in den südeuropäischen Ländern seien folglich stärker als im Norden gestiegen, so das Narrativ.

Die Autoren nehmen aber kein Blatt vor den Mund, wenn sie die Frage angehen, ob die grenzüberschreitende Kapitalströme tatsächlich für die systemische Krise in Europa verantwortlich sind. Die Antwort lautet klar: Nein.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Länder im Norden und im Süden der Eurozone ist auseinandergelaufen, weil der Norden das gemeinsam vereinbarte Inflationsziel von 2% dauerhaft unterlaufen hat. Und das hat im Wesentlichen mit Divergenzen in den einzelnen Inflationsraten und dem Lohnwachstum zu tun: Die Lohnstückkosten im Süden sind gegenüber dem Kern der Eurozone markant angestiegen. Im Norden sind sie erheblich gesunken. So hat insbesondere Deutschland Marktanteile gewonnen und die Leistungsbilanzungleichgewichte haben sich vergrössert.



Ghost of Maastricht “Rhine Divide”, Graph: Prof. Markus Brunnermeier 

Die Autoren wissen, dass niemand (in einer Währungsunion) über seine Verhältnisse leben kann, wenn nicht ein anderer unter seinen Verhältnissen lebt: It takes two to tango. Wenn die Löhne nun im Süden fallen, müssen sie im Norden steigen. Wenn die Inflation an der Peripherie sinkt, muss sie im Kern steigen.

Die Diagnose „Staatsschuldenkrise“ im Süden ist also falsch. Es war nicht der Fiskalpakt, sondern die EZB, die mit Liquiditätsspritzen in Höhe von mehreren Milliarden EUR für die Entspannung gesorgt hat.

Und es ist deshalb kein Zufall, dass die Autoren der EZB ein spezielles, langes Kapitel im Buch widmen. Allerdings wird dabei Jean-Claude Trichet, dem Vorgänger von Mario Draghi als EZB-Präsident über Gebühr Respekt gezollt, was angesichts der Tatsache, dass Trichet im Jahr 2011 (April und Juli) die Zinsen in der Eurozone wider besseren Wissens zweimal erhöht und die Situation verschärft hat, nicht angebracht ist.



Ghost of Maastricht “Rhine Divide”, Graph: Prof. Markus Brunnermeier

Die Autoren legen am Schluss nahe, dass die Gesellschaft, unabhängig von den Besonderheiten der letztendlich vereinbarten optimalen Politikregeln, am Ende wissen muss, wie Extrem-Ereignisse, mit denen stark fremdfinanzierte Sektoren oder Einzelpersonen konfrontiert werden können, „abgesichert“ werden sollen.

Die Frage, wieviel Tail Risk eine Gesellschaft als gegeben annehmen sollte, sei von Europa bisher nicht beantwortet worden, was im Grunde genommen eine politische Frage ist, die von der zugrundeliegenden wirtschaftlichen Philosophie des Landes abhängt.

Das Ziel ist dabei, Vorhersehbarkeit zu schaffen, was m.a.W. die Grundlage unterstreicht, worauf die moderne Welt gebaut wurde. Das ist aber Fehlanzeige in der Eurozone, so die Autoren.

Die europäische Gemeinschaft brauche deshalb eine (politische und soziologische) Diskussion darüber, inwieweit sie bereit ist, für ihre Mitglieder ein Tail Risk zu übernehmen. Zur Erinnerung: Europa würde durch Reaktionen auf neue Herausforderungen gebaut, sagte Jean Monet einst.

Fazit: Mit angebotsseitigen Massnahmen („Strukturpolitik“) lässt sich die Nachfrageschwäche in der Eurozone nicht lösen. Da die Ungleichgewichte nur über mehrere Jahre hinweg beseitigt werden können, braucht es die öffentliche Hand, die mit Investitionen in die Bresche springt. Diese Schlussfolgerung ist im Buch zumindest zwischen den Zeilen zu lesen. 

Während die wirtschaftlichen und soziologischen Auseinandersetzungen in Europa über die Fragen, wie die Probleme (hohe Arbeitslosigkeit, wachsende Ungleichheit, Klimawandel usw.) angepackt werden sollen, anhalten, ist an einen Grundsatz aus der Präambel der Verfassung der Schweiz, einem neutralen Land inmitten europäischer Turbulenzen zu erinnern:

Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen“. Europäer sehen aber vor lauter Bäume den Wald nicht. Es ist sicherlich eines der besten Bücher, die im Jahr 2016 über die europäische Krise geschrieben wurden. Ein wichtiges Buch.


Ghost of Maastricht “Rhine Divide”, Graph: Prof. Markus Brunnermeier 

1 Kommentar:

Rob hat gesagt…

Die Beschreibung des Maastricht "Rhine Divide" erinnert an das Kulturmodell von Fons Trompenaars, hier insbesondere sein Merkmalsgegensatz "universalistich" (stark regelorientiert, wie etwa Deutschland, Niederlande) bzw. "partikularistisch" (stark beziehungsorientiert, wie etwa Spanien, Italien, Griechenland).

Eine inhaltlich sinnvolle Zusammenfassung seiner sieben Kulturdimensionen finde ich leider nur in englisch: https://www.mindtools.com/pages/article/seven-dimensions.htm
(mit Beispielen von Staaten die Kulturcharakteristika zugewiesen werden)

Lesenswert ist aber auch dieses hier, insbesondere wie hier der Gegensatz universalistisch/partikularistisch beschrieben ist, passt gut zum aktuellen Thema:
http://www.ibim.de/ikult/3-3.htm

Gerade der Aspekt der Bedeutung eines Regelwerkes (fix/flexibel) wird gemäß Trompenaars auch innerhalb Europas sehr verschieden gelebt. Und gerade in der Eurokrise tritt dies leider deutlich hervor.
Das Drama dabei: weil man sich gemeinhin nicht mit den spezifischen Kulturunterschieden ausinandersetzt (bzw. nicht wahrhaben will), haben die Deutschen absolut kein Verständnis für nicht-rigide Auslegung von Regeln, und umgekehrt.