Social Europe hat am Montag zum zwanzigsten Jahrestag der EUR-Einführung ein neues e-Book („Still time to save the euro“) vorgestellt.
Das elektronische Buch, das von Hansjörg Herr, Jan Priewe and Andrew Watt herausgegeben wurde, konzentriert sich auf die vier grössten Volkswirtschaften im Euroraum: Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass mit dem nachlassenden wirtschaftlichen Aufschwung ungelöste Probleme wieder in den Vordergrund treten. Nicht nur Italiens Performance wird kritisch betrachtet, sondern auch der enorme Leistungsbilanz-Überschuss Deutschlands.
Die Einkommensungleichheit nimmt zu. Der wirtschaftliche, soziale und politische Zusammenhalt innerhalb und zwischen den Ländern ist gefährdet, lautet ein Fazit im Buch.
Verschiedene Autoren liefern dazu insgesamt 15 Beiträge. Darunter Peter Bofinger. Der an der Universität Würzburg VWL lehrende Wirtschaftsprofessor geht dabei nüchtern und analytisch auf das fast vor genau einem Jahr in Berlin vorgelegten Reformpapier der prominenten Ökonomen aus Deutschland und Frankreich zur Reform der EWU ein.
Die Verfasser des Papiers vertreten die Ansicht, dass die Europäische Währungsunion (EWU) mit mehr Marktdisziplin und mehr Risikoteilung krisenfest gestaltet werden kann.
Finanzierungssalden der Sektoren der deutschen Wirtschaft, Graph: Jörg Bibow in: e-Book Social Europe “Still time to save the euro“, Jan 2019
Bofinger erläutert sachlich, warum „das spezifische Insolvenz-Risiko“ der Mitgliedschaft in der EWU durch eine gemeinsame Risikoteilung nicht abgedeckt werden kann. Bei einer Stärkung der Marktdisziplin könnte dieses Risiko sogar erhöht werden.
Bislang gibt es wenig Hinweise darauf, dass die Finanzmärkte in der EWU eine stabilisierende Rolle spielen könnten, argumentiert Bofinger.
Zum Klartext: Mit dem von neoliberal orientierten Ökonomen Tag ein, Tag aus vorgetragene Schlagwort „Marktdisziplin“ ist die „Sanktionsfunktion des Marktes“ gemeint.
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass die EWU sich seit 2008 in einer anhaltenden Krise befindet. Obwohl die Krise von dem Privatsektor ausging, wurde sie geflissentlich als „Staatsschuldenkrise“ umgedeutet.
Spanien und Irland hatten am Vorabend der Krise einen Haushaltsüberschuss. Doch gingen die europäischen Entscheidungsträger dazu über, eine allgemeine fiskalische Austerität (fiscal austerity) für die gesamte EWU zu fordern.
Haushaltssaldo der ausgewählten EU-Länder im Vergleich zum Haushaltssaldo in Japan, Grossbritannien und den USA, Graph: Peter Bofinger in: e-Book Social Europe “Still time to save the euro“, Jan 2019
Das Problem lag aber an den undisziplinierten Finanzmärkten. Zur Erinnerung: Die Banken wurden am Schluss von den Staaten mit riesigen Beträgen, die zum grössten Teil aus dem Geld der Steuerzahler stammen, gerettet. Sollen die Finanzmärkte jetzt dazu berufen werden, über die Fiskaldisziplin zu wachen?
Bofinger wirft rhetorisch die Frage auf, ob „Marktdisziplin“ ein angemessenes Konzept für die Organisation des europäischen Währungsgebietes ist.
Im Zusammenhang mit dem Banken-Sektor kann es seine Vorzüge haben, so das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland.
Im Kontext der EWU bedeutet dies jedoch, dass den Märkten eine disziplinierende Rolle gegenüber den Staaten zugewiesen wird. Das traditionelle Verhältnis zwischen Staat und Märkten wird dadurch auf den Kopf gestellt.
Marktdisziplin verlangt danach, dass Staaten unter der Kontrolle der Märkte stehen sollen. Dieses Konzept ist daher laut Bofinger besonders fragwürdig, da die Finanzmärkte von mächtigen Spielern wie Goldman Sachs oder Blackrock dominiert werden.
Fazit: Der grösste Teil der Probleme im Euroraum sind heute nicht auf die Unzulänglichkeiten in Sachen Fiskal-Disziplin in den einzelnen EU-Staaten, sondern auf das massive Marktversagen (Stichwort: mit Leverage wild spekulierende Finanzinstitute) zurückzuführen.
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