Mittwoch, 26. Juni 2019

Wie niedrige Zinsen und Fiskalpolitik interagieren


Die Inflationserwartungen bilden sich auf beiden Seiten des Atlantiks zurück. 

Das ist ein neues Phänomen, das v.a. im Nachspiel der GFC (Global Financial Crisis 2008-2009) augenfällig wurde.

Was sagt aber der Rückgang der Inflationserwartungen über die makroökonomische Politik aus?

Seit rund 15 Jahren geben die privaten Haushalte gemäss Umfragen (zur Ermittlung der Inflationserwartungen) in den USA (*) an, dass sie mit einer Schrumpfung ihres Einkommenswachstums rechnen.

Kein Wunder, dass sie sich mit Ausgaben zurückhalten.

Ein geringeres Produktivitätswachstum wird häufig als Grund dafür herangezogen, sich mit einem geringeren Lohnwachstum zufrieden zu geben.

Aber warum sind bisherige Produktivitätsgewinne nicht an die Arbeitnehmer zurückgeflossen?

Skanda Amarnath bietet dazu ein paar sehenswerte Abbildungen in seinem Blog


Inflationserwartungen in den USA (blaue Kurve) und im Euroraum (weisse Kurve), gemessen an 5y5y Inflation Swap Forward Rates, und Oil Futures (Brent, linke Skala), Graph: BloombergTV, June 25, 2019


Es ist schwer, sich vorzustellen, wie die Nachfrage ohne Lohnwachstum (= Produktivität + Zielinflationsrate der Zentralbank) wiederbelebt werden kann, wenn die EU-Behörden weiterhin am Sparkurs festhalten, während Unternehmen in grossen Volkswirtschaften Europas unterdessen netto-Sparer geworden sind.

Die Besessenheit von Defiziten und Sozialausgaben, die die europäischen Entscheidungsträger an den Tag legen, war leider weit davon entfernt, eine vernünftige makroökonomische Politik im Euroraum zu ermöglichen. 

Das ist auch der Grund dafür, warum die hohe Arbeitslosigkeit viel länger als nötig angehalten hat und die hohe Unterbeschäftigung immer noch ungeheuer schmerzhaft ist. 



US Inflationserwartungen, die auf Umfrage basieren, Graph: Neel Kashkari, Fed Minneapolis, June 21, 2019 


Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Republik Österreich gestern angekündigt hat, Überlegungen anzustellen, je nach Nachfrage eine zweite Staatsanleihe mit 100 Jahren Laufzeit („century bond“) auszugeben.

Zur Erinnerung: Österreich hat im September 2017 eine 100-jährige Staatsanleihe (20 Sept 2117) mit einem Kupon von 2,1% für 3,5 Mrd. EUR verkauft. Wer die Anleihe gekauft hat, kann sich heute über einen Ertrag von rund 60% freuen.


Die Märkte erwarten Zinssenkungen auf beiden Seiten des Atlantiks, Graph: BloombergTV, June 26, 2019 

Solange die nominalen Zinsen am sog. „effective lower bound“ liegen, und die Regierungen sogar dafür bezahlt werden, Schulden aufzunehmen, ist es angebracht, die Chance zu ergreifen, um reale Ressourcen zu kaufen und damit die Vollbeschäftigung zu fördern.

Eine wichtige Lehre aus den vergangenen 10 Jahren ist nämlich, dass die Fiskalpolitik am „effective lower bound“ viel effektiver ist als sonst. 

Fiskalpolitik kann eingesetzt werden, um wirtschaftliche Aktivität zusätzlich anzukurbeln. Die Opportunitätskosten von Fiscal Stimulus sind heute viel günstiger als sonst unter „normalen“ Bedingungen, wenn das Umfeld der Wirtschaft nicht schwer angeschlagen ist.

Warum schränken aber die Fiskalregeln der EU den Einsatz von Fiskal Stimulus ein, wenn es gerade darauf ankommt? 

Stimulus kann sogar die Staatsschuldenquote (debt-to-GDP ratio) senken. Zumal es heute keinen Druck vom „Markt“ gibt; siehe den steigenden Wert der mit Negativ-Rendite gehandelten Staatsanleihen an.

EU‘s Fiskalpolitik belastet die europäische Wirtschaft. Der effective lower bound ist schwer zu entkommen. Der Einsatz der Fiskalpolitik wäre dabei hilfreich.




(*) Die psychologische Stimmungslage im Euroraum dürfte ziemlich ähnlich sein. Da die Abwertung der Gemeinschaftswährung durch die Regierungen nicht möglich ist und v.a. Südeuropa von Brüssel und Berlin zur Lösung der ökonomischen Probleme zu internal devaluation (sprich: Lohnsenkungen) gezwungen wird, ist das Verbraucher-Sentiment auf dem EU-Level ohne Zweifel angeschlagen. 



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