Die jüngsten Wirtschaftsdaten und Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum im Euro-Raum nachlässt.
Dabei ist das reale BIP in 19 aufeinanderfolgenden Quartalen angestiegen. Die Inflationsentwicklung ist jedoch verhalten geblieben.
Der EZB-Rat hat drei Kriterien, (Konvergenz, Vertrauen und Widerstandsfähigkeit) die erfüllt sein müssen, um sicherzustellen, dass die Inflation sich nachhaltig auf dem Weg in Richtung des Zielwertes der EZB etabliert.
Erst dann will die EZB den Ankauf von Anleihen (APP: asset purchase programme) im offenen Markt einstellen. Das heisst, dass sie die sog. Normalisierung der Geldpolitik erst dann in Angriff nehmen kann.
Vor diesem Hintergrund hat Peter Praet, Mitglied des EZB-Direktoriums neulich in einem Referat in Washington in den USA gesagt, dass ein umfangreicher geldpolitischer Impuls immer noch notwendig sei, damit sich der Inflationsdruck weiter ausbreitet und mittelfristig die Inflationsentwicklung (headline inflation) unterstützt.
Bemerkenswert ist die Betonung durch den Chefvolkswirt der EZB, dass Preisstabilität eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für ein nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum in Europa ist.
Es hat sich im Vorfeld der Krise gezeigt, dass makroökonomische Ungleichgewichte inmitten von Preisstabilität zunehmen können. Und dass anhaltende Verluste an Wettbewerbsfähigkeit zu makroökonomischen Ungleichgewichten führen können, die schmerzhafte Anpassungen erzwingen.
Inflation im Euroraum und der Trend, Graph: Peter Praet, ECB, Apr 16, 2018
Dazu zählen der Anstieg der Arbeitslosigkeit, eine rasche Erosion der fiskalpolitischen Position und eine Anzahl von Widrigkeiten im Banken-Sektor. Die Konsequenz: eine wesentliche Kontraktion der Nachfrage im Inland und Schrumpfung des BIP.
Die Anpassung aber war v.a. für Länder mit Leistungsbilanzdefizit besonders schmerzhaft wie z.B. für Spanien, Portugal, Irland und Griechenland.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Korrektur der makroökonomischen Ungleichgewichte im Euro-Raum besonders asymmetrisch von statten geht. Der Beitrag der Länder mit Leistungsbilanzüberschuss war dazu, um es milde auszudrücken, gering. Das Wachstum in den Ländern mit Überschuss, einschliesslich Deutschland wurde noch exportorientierter, wie Peter Praet unterstreicht.
Inlandsnachfrage und BIP: Deutschland versus Frankreich, Graph: Peter Praet, ECB, Apr 16, 2018
Berlins Antwort auf den Beitritt zum Euro war Lohnzurückhaltung und begleitende Arbeitsmarktreformen (sprich: Sozialabbau). Die Lohnstückkosten (*) in Deutschland sind von 1999 bis 2008 (bis zum Ausbruch der Great Recession) praktisch unverändert geblieben, was für die starke Export-Performance verantwortlich ist, so Praet weiter.
Das heisst im Klartext, dass die Lohnstückkosten nicht gestiegen sind.
Die Wirtschaftspolitik (wage moderation, export-orientation, austerity), die Berlin seither verfolgt, erklärt im Wesentlichen, warum Deutschland die Great Recession beinahe ohne unversehrt überstanden hat. Der Export-Anteil entspricht rund 50% dem BIP des Landes, wobei die ganze Entwicklung zu Lasten der Binnennachfrage gegangen ist, bekräftigt Praet im gleichen Atemzug unumwunden.
Frankreich hingegen hat sich mit dem Beitritt zum Euro an die „golden wage rule“ gehalten. Das heisst, dass die Löhne in Höhe der Produktivität des Landes plus die Zielinflationsrate (rund 2%) der EZB gestiegen sind.
Lohnstückkosten (unit labor costs): Deutschland versus Frankreich, Graph: Peter Praet, ECB, Apr 16, 2018
Da aber die Lohnstückkosten in Deutschland über denselben Zeitraum kaum gestiegen sind, hat sich eine wesentliche Lücke in Wettbewerbsfähigkeit unter Euro-Länder im Euroraum aufgebaut, was die Krise laut Praet verschärft hat.
Infolgedessen gibt es zwischen Frankreich und Deutschland in einigen makroökonomischen Dimensionen eine auffallende Divergenz. Das Verhältnis der Inlandsnachfrage zum BIP in Deutschland gehört heute in den Industrieländern zu den niedrigsten, während sie in Frankreich zu den höchsten gehört.
Finanzierungssalden der Wirtschaftssektoren in Deutschland (Germany's sectoral balances), das heisst „Ersparnisse minus Investitionen“ im Verhältnis zum BIP, Graph: Peter Praet, ECB, Apr 16, 2018
Private Haushalte, Unternehmen und der Staat sind alle im Überschuss (netto-Sparen), nur das Ausland hat ein Defizit (netto-Verschulden).
Fazit: Das in den Mainstream-Medien öfters vorgetragene „France-Bashing“ ist absurd. Und welche Politik (neo-mercantilist export surplus approach) für die Lücke in Wettbewerbsfähigkeit in der Europäischen Währungsunion verantwortlich ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung.
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