Mittwoch, 13. Dezember 2017

Warum der Markt mehr öffentliche Ausgaben braucht


Während die Debatte anhält, ob die Abflachung der Renditekurve (yield curve) in den USA als Zeichen dafür gewertet kann, dass die Marktteilnehmer eine Rezession erwarten, gibt es in Sachen „sichere Anlagen“ einen anderen Aspekt, der dabei nicht in Vergessenheit geraten darf.

Die Staatsanleihen, wie z.B. die US-Treasury Bonds und German Bunds gelten weltweit als sichere Anlagen, die im Allgemeinen dazu beitragen, dass die Wirtschaft besser funktioniert. 

Die sicheren ausstehenden Staatspapiere bieten verschiedene Vorteile: Erstens sorgen sie dafür, dass die Investoren die Risiken besser verwalten (risk management). Zweitens werden Transaktionen damit einfacher gehandhabt. Und drittens wird das störende Gerangel darum, was mit Cash geschehen soll, vermieden.

Es ist aber nicht in Stein gemeisselt, dass nur der öffentliche Sektor sichere Anlage bereitstellt. Auch der private Sektor erzeugt (dank financial engineering) sichere Vermögenswerte.

In den Jahren vor der Finanzkrise von 2008 hat beispielsweise die Wall Street behauptet, dass sie völlig neue Klassen von sicheren Anlagen geschaffen hat. 

Zur Erinnerung: Es hat sich dabei um Produkte gehandelt, die auf Subprime Hypotheken und anderen Quellen beruhen, zumeist geschmückt mit dem besten Rating von „AAA“. 


Finanzierungssaldo der Sektoren der US-Wirtschaft, Graph: The Minskys in: How the government deficit helps the economy, Sept 2, 2016.


Es ist verständlich, wenn man v.a. die fatalen Nachwirkungen in den Märkten danach mitberücksichtigt, dass die Anleger nach dem Platzen der epischen Blase nun in den sicheren Hafen der Staatsanleihen aus grössten Volkswirtschaften der Welt zurückkehren. 

Seither flehen die Anleihe-Investoren die Staaten buchstäblich an, mehr sichere Papiere bereitzustellen, wie Paul Krugman es einst zum Ausdruck gebracht hat. 

Die Entscheidungsträger auf beiden Seiten des Atlantiks sind aber trotzdem dazu übergegangen, die Staatsausgaben (fiscal austerity) zu kürzen und damit öffentliche Investitionen (Haushaltskonsolidierung) zurückzustellen.

Warum? Die Panik vor der öffentlichen Verschuldung. Die Besessenheit von Defizit-Abbau.

Roger E.A. Farmer hat vor rund zwei Jahren festgehalten, dass Staatsverschuldung an sich keine schlechte Sache ist. 

Der an der University of Warwick forschende Wirtschaftsprofessor bemerkt nun in seinem Blog, dass die Schulden des öffentlichen Sektors auf alle Fälle nicht null betragen sollten.

Der emeritus distinguished Professor of Economics an der UCLA betont mit allem Nachdruck, dass es eine gute Idee sei, dass der öffentliche Sektor Kredit aufnimmt. Die öffentliche Hand mache nämlich nicht nur Schulden, sondern verfüge auch über öffentliche Anlagegüter.

„Wenn wir von unseren Kindern und Enkelkindern Geld leihen, sind wir alle, einschliesslich aller zukünftigen Generationen, bessergestellt.“

Die Schulden, die von einem privaten Haushalt angehäuft werden, um einen extravaganten Lebensstil zu finanzieren, gelten weithin als Verhaltensanomalie, was durch soziale Normen missbilligt wird. Die gleichen Normen gelten aber nicht für die Staaten, so Farmer.


Der neutrale Zinssatz (Schätzung) für die USA, Graph: PictetWM, Genf

Der reale Gleichgewichtszins liegt nahe null. Der niedrige neutrale Zinssatz ist ein Hauptgrund für das langsame Tempo der geldpolitischen Straffung durch die Fed, was darauf hindeutet, dass der Kurs der US-Notenbank wahrscheinlich flach bleibt.

Farmer unterstreicht m.a.W. den Unterschied zwischen dem gesamtwirtschaftlichen und dem einzelwirtschaftlichen Verhalten: governments are not like households

„Wenn ein privater Haushalt von einer Bank Kredit aufnimmt, muss er das geliehene Geld irgendwann eventuell zurückzahlen. Wenn der Staat sich von der Öffentlichkeit Geld leiht, muss er es nie zurückzahlen. Es ist ein Mythos, dass öffentliche Verschuldung durch öffentliche Überschüsse getilgt werde. In der Realität schrumpft das Verhältnis der ausstehenden Schulden zum BIP, wenn die Wirtschaft schneller wächst als der Zinssatz, zudem der Staat sich verschuldet.“


Wie viele Zinserhöhungen durch die Fed im nächsten Jahr zu rechnen? Graph: Bloomberg Markets, Dec 12, 2017.

Seit 9 Monaten zum ersten Mal rechnen Marktteilnehmer mit nur zwei Zinserhöhungen durch die Fed im Jahr 2018, während die Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses der Fed (FOMC) mit 3 Zinserhöhungen 2018 rechnet.


Auch Narayana Kocherlakota hat vor zwei Jahren in einem Referat als Fed Minneapolis Präsident ähnliche Argumente vorgetragen, dass „wir mehr Staatsanleihen brauchen, nicht weniger“.

Die Besessenheit von Schuldenabbau war auch in Grossbritannien katastrophal, bemerkt Larry Elliott in seiner aktuellen Kolumne in The Guardian diese Woche. 

Robert Skidelsky hat in der Debatte im Oberhaus vor rund zwei Wochen gesagt, dass die britische Regierung seit 2010 damit beschäftigt sei, das Haushaltsdefizit zu kürzen und den Anteil der Staatsverschuldung am BIP zu reduzieren.

Der Regierung bleibe daher kaum Geld zurück, ihre neue Industriestrategie zu finanzieren. Konzentriert darauf, den Zähler (Defizit) abzubauen, vergisst London die schädlichen Auswirkungen auf den Nenner (Wachstum) mitzurechnen. (*)

Fazit: Die Ideologie siegt über Evidenz, leider. Was traurig ist, dass die Anhänger der Politik des ausgeglichenen Haushalts („schwarze Null“) Investitionen in dem Moment kürzen, wo es am nötigsten ist.  Und sie verkaufen ihren Ansatz als „fiskalpolitisch verantwortlich“, während Millionen von Menschen auf der Strecke bleiben.



(*) „Nenner-Effekt“: Die Schuldenstandquote (debt to GDP) ist ein Bruch. Auf dem Zähler stehen die Schulden und auf dem Nenner wird die Wirtschaftsleistung (gemessen am BIP) angegeben.






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