Mittwoch, 26. Juli 2017

IWF erblickt Lücke in Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum

Die Lücke in Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum ist ein offenes Geheimnis. Nun deutet der Internationale Währungsfonds (IWF) darauf hin.

Im Länderbericht (EA 2017 Art IV Consultation), der am Dienstag vorgelegt wurde, betont der IWF, dass die Lücke sich v.a. nach der EUR-Einführung ausgeweitet hat.

Die Begründung: Die Löhne sind in manchen Ländern schneller gewachsen als die Produktivität. 

Damit sind auch ein Anstieg des Handelsbilanzdefizits und die Verschuldung in den betroffenen Ländern einhergegangen.

Das bedeutet im Grunde genommen, dass manche Länder im Euroraum über ihre Verhältnisse gelebt haben, z.B. Griechenland, Portugal und Spanien.

Was das aber zugleich impliziert, dass manche Länder unter ihren Verhältnissen gelebt haben, z.B. Deutschland, wo die Löhne deutlich geringer gewachsen sind als die Produktivität.

Warum ist das wichtig? Es ist insofern wichtig als wir mit einer Währungsunion zu tun haben. 

Denn in einer Währungsunion wird die Geldpolitik in die Hand einer Zentralbank (EZB) gelegt, welche die geldpolitischen Entscheidungen für alle trifft.

Die Mitgliedsländer einigen sich im Gegenzug, eine gemeinsam festgelegte Inflationsrate anzustreben, die für alle gilt. Das ist im Euroraum rund 2 Prozent.



Der unterschiedliche Verlauf der Arbeitskosten im Euroraum, Graph: IMF in EA 2017 Art IV Consultation, July 25, 2017.


Da die Mitgliedsländer über eine gemeinsame Währung (Euro) verfügen, ist eine einseitige Währungsabwertung nicht möglich, um damit die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Allerdings kann sich ein Land mit Lohnzurückhaltung einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, während die anderen Länder sich an die Regeln halten. 


Der effektive Wechselkurs im Euroraum, Graph: IMF in EA 2017 Art IV Consultation, July 25, 2017.


Die Charts, die der IWF-Bericht präsentiert, führen den unterschiedlichen Verlauf der Lohnstückkosten deutlich vor Augen: Während die Arbeitskosten in Deutschland gleich nach der Einführung der Gemeinschaftswährung wesentlich gefallen sind, sind sie in den anderen Ländern gestiegen.

Deutschland hat nämlich das Lohnwachstum tatkräftig unterhalb des eigenen Produktivitätsniveaus gehalten. So wurde der Rest des Euroraums regelrecht abgehängt.  


Der Anstieg der Unterbeschäftigung im Euroraum, Graph: IMF in EA 2017 Art IV Consultation, July 25, 2017.


Und während der Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz anstieg, wurde das Defizit in der Handelsbilanz der anderen Länder immer grösser. Einige Länder wie z.B. Griechenland, Portugal und Spanien haben darauf mit dem Abbau der Arbeitsplätze reagiert, um Kosten zu sparen, und damit die eigene Wettbewerbsfähigkeit wieder anzukurbeln.

Berlin hat damit nicht nur Güter in den Rest des Euroraums exportiert, sondern auch Arbeitslosigkeit und Deflation.


Netto-Exporte versus Lohnstückkosten: Deutschland versus Frankreich, Graph, Michael Paetz in Makroskop, July 25, 2017.


Der IWF sagt nun dazu, dass diese Länder mehr tun müssen, um die „Vor-Krisen-Erosion der Wettbewerbsfähigkeit vollständig zu verbessern“: sie sollen v.a. auf den Stellenabbau verzichten und eher die Produktivität verbessern, und zwar durch mehr Investitionen.

Doch die EU-Behörden halten wider besseren Wissens am Kurs der Austerität (fiscal austerity) fest. Wie sollen Ausgaben erhöht werden, wenn im Allgemeinen eine Gürtel-enger-schnallen-Politik für den Euroraum angepriesen wird, was ja im schwer angeschlagenen Umfeld der europäischen Wirtschaft völlig abwegig ist. 

Die EZB unterstreicht nicht ohne Stolz, dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Gleichzeitig steigt aber die Unterbeschäftigung, während die Löhne weiterhin stagnieren, wie Yves Mersch in einem Referat („The ECB’s monetary policy stance“) am Dienstag erklärt hat.

Eine Abhilfe könnte jedoch so geschaffen werden, dass die Löhne in Deutschland in den nächsten Jahren im Vergleich zum Rest des Euroraumes kräftig steigen, was der IWF-Bericht leider vergisst, zu erwähnen.


PS: Im Übrigen: Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit sind nicht zu verwechseln. Wer produktiver wird, wird nicht notwendigerweise auch wettbewerbsfähiger. 

Wettbewerbsfähigkeit ist ein relatives Konzept. Die europäische Währungsunion (EWU) verlangt nur, dass alle das gemeinsam festgelegte Inflationsziel einhalten, nicht dass alle die gleiche Produktivität aufweisen.

Alle Länder können im Euroraum produktiver werden, aber alle zusammen können nicht wettbewerbsfähiger werden. Produktivität ist ein absolutes Konzept.

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