Mittwoch, 12. Juli 2017

Der Mythos des deutschen Beschäftigungswunders


Der IWF schreibt in seinem aktuellen Bericht („Article IV Consultation with Germany“ 2017), der am Freitag vorgelegt wurde, dass ein anhaltender Anstieg der Lohn- und Preisinflation in Deutschland erforderlich ist, um die (zu tiefe) Inflation im Euroraum (in Richtung des Zielwertes der EZB) anzuheben, und damit den Weg zur Normalisierung der Geldpolitik zu öffnen.

Das ist im Grunde genommen eine offene Widerlegung der Argumentation der militanten Anhänger der fiskalischen Austerität, die seit Wochen lauthals fordern, dass die EZB die lockere Geldpolitik aufgeben soll, um die europäische Wirtschaft voranzubringen.

Wichtig ist, im Vordergrund zu erkunden, wie es zu diesem deflationären Umfeld der Wirtschaft im Euroraum gekommen ist. Dazu zeigt der IWF die wichtigsten Anhaltspunkte (Ausgaben-Kürzungen, Lohnzurückhaltung, Nachfrageschwäche usw.) auf.

IWF’s Modellsimulationen deuten darauf hin, dass ein Scheitern des Anstiegs der deutschen Lohn- und Preisinflation nachteilig auf das Wirtschaftswachstum und den Wiederausgleich (rebalancing) in der europäischen Währungsunion (EWU) auswirken würde.

Niedrige Inflation und Inflationserwartungen in Deutschland würden zu einem Anstieg der Realzinsen führen. Und die schwache Lohndynamik würde eine Währungsabwertung mit sich bringen, was kurzfristig auf der Inlandsnachfrage lasten und die deutschen Handelspartner negativ betreffen würde.


Deutschland: Inflation und Lohnstückkosten, Graph: IMF in: Art IV Consultation Germany 2017


Am Schluss würden sich externe Ungleichgewichte verstärken und damit die Normalisierung der Geldpolitik hinauszögern. Die Verfasser des Berichtes legen daher Berlin nahe, öffentliche Investitionen in die Infrastruktur und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung sowie Nachsorgeprogramme zu erhöhen.


Deutschland: Warum höhere Löhne erforderlich sind, Graph: IMF in: Art IV Consultation Germany 2017

Zudem empfiehlt der IWF Deutschland aufgrund des verfügbaren fiskalischen Spielraums nicht nur die öffentlichen Investitionen auszubauen, sondern auch die Steuerbelastung der Arbeit zu senken.



Deutschland: Produktionslücke (output gap) und Inflationserwartungen, Graph: IWF in: Art. IV Consultation Germany 2017

Zum Stichwort steuerliche Belastung der Arbeit liefert Christian Odendahl in einer am Dienstag präsentierten Forschungsarbeit („The Hartz myth – A closer look at Germany’s labour market reforms“) ein paar bemerkenswerte Befunde:


Anteil der Geringverdienenden in Deutschland an der gesamten Beschäftigung, Graph: Christian Odendahl in: „The Hartz myth – A closer look at Germany’s labour market reforms“, July 11, 2017.


Mehr als ein Fünftel der westdeutschen Arbeitnehmer hat schlecht-bezahlte Jobs; mit einem Lohn, der zwei Drittel niedriger ist als der Median-Lohn, was zugleich ein Rückgang von 15% seit Mitte der 1990er Jahre bedeutet.

Oben darauf werden diese Arbeitnehmer konsequent mit Strafsätzen besteuert. Zum Vergleich: Der Steuersatz von 45%, der für Geringverdienende in Deutschland gilt, ist satte 13% höher als der OECD-Durchschnitt.


Die Verteilung der Stundenlöhne in Deutschland, Graph: Christian Odendahl in: „The Hartz myth – A closer look at Germany’s labour market reforms“, July 11, 2017.

Deutschlands Steuersätze für die Arbeitnehmer mit Niedriglohn gehören zu den höchsten in der Welt, wenn man das Ganze seit dem Jahr 2000 betrachtet.

Kein Wunder, dass es den deutschen Konsumenten so schlecht geht, bemerkt Matthew C. Klein in FTAlphaville dazu in einem lesenswerten Beitrag.

Das ist nicht nur schlecht für die deutschen Arbeitnehmer, sondern für die ganze Weltwirtschaft.


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