Freitag, 24. Oktober 2014

Löhne und Beschäftigung in Depressionen

Macht es Sinn, Löhne zu kürzen, wenn es in der Wirtschaft gerade an Jobs mangelt?

Eine wichtige Frage. Denn wir stellen uns i.d.R. vor, dass die Menschen von einer Ware mehr kaufen, wenn der Preis der Ware sinkt. Angesichts der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung und der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit in Europa gibt es Stimmen, wonach die Arbeitslosigkeit sinken würde, falls die Löhne sinken würden.

Die Beziehung zwischen Löhnen und Beschäftigung ist aber nicht so einfach wie viele Menschen denken mögen. Denn der Arbeitsmarkt funktioniert nicht wie der Kartoffelmarkt. Angebot und Nachfrage sind nicht voneinander unabhängig.

Es kann schon vorkommen, dass Arbeitskräfte in einer bestimmten Industrie Lohnkürzungen hinnehmen, um ihre Arbeitsplätze nicht zu verlieren. Denn durch die Lohnkürzung wird die Arbeit, die sie liefern und die Waren, die sie herstellen, im Vergleich zur Konkurrenz billiger.

Wenn aber das allgemeine Niveau der Löhne in der gesamten Wirtschaft fällt, ergeben sich keine relative Vorteile im Wettbewerb. Wenn es überhaupt einen positiven Effekt auf die Beschäftigung gibt, dann via Zinsen. Denn niedrige Löhne bedeuten, niedrige Inflation. Die Zentralbank kann dann die Zinsen senken, um die Wirtschaft wieder zu stimulieren, was die Investitionen ankurbeln und die Beschäftigung erhöhen würde.

In einer Depression hingegen können die Zinsen nicht gesenkt werden, weil sie bereits nahe null liegen (zero lower bound). Sinkende Löhne können daher nicht zu mehr Beschäftigung führen.


Rendite der Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit in USD, EUR und CHF, Graph: ZKB

Zudem gibt es heute einen weiteren Grund: Schulden-Überhang. Kreditnehmer sind in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft bemüht, Schulden abzubauen (deleveraging). Während Schuldner die Ausgaben senken, um Schulden zurückzuzahlen, sehen Kreditgeber keinen Anlass, Ausgaben zu erhöhen.

Das ist eine Situation, die Irving Fisher 1933 als Schulden-Deflation (debt deflation) beschrieben hat. Die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben sind derart niedergeschlagen, dass daraus möglicherweise eine Depression hervorgeht.

Die Frage ist also, was in einem solchen Marktumfeld passiert, wenn die Löhne fallen? Preise und Einkommen fallen auch. Aber die Schulden bleiben unverändert. Obendrauf steigt sogar die reale Last der bestehenden Schulden, was den niederdrückenden Effekt der Schulden auf die Ausgaben noch mehr verstärkt.

Das bedeutet, dass man der Wirtschaft einen Bärendienst erweisen würde, wenn man in einer Depression versuchen sollte, die Arbeitsmärkte „flexibler“ zu gestalten. Den ganzen Ablauf nennt man übrigens paradox of flexibility. In einer Wirtschaft, die in einer Liquiditätsfalle steckt, Lohnflexibilität anzustreben, lastet auf der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und verschlimmert die Situation in der bereits angeschlagenen Wirtschaft.

Depressionen sind im Grunde genommen durch Paradoxa gekennzeichnet: Ein zweites Paradoxon ist Sparparadoxon (thrift of paradox): Wenn in schlechten Zeiten alle sparen, sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Die geringere Nachfrage nach Waren führt zu geringerem Verbrauch. Und es geht allen schlechter. Die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse sinken sogar am Schluss wegen der fehlenden Investitionen. Und das Wirtschaftswachstum verringert sich. Denn die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen.

Wenn der Privatsektor auf Sparen setzt, gibt es einen Spieler in der Wirtschaft, die die Ersparnisse aufnimmt (sich verschuldet, z.B. durch die Ausgabe von Anleihen) und ausgibt (investiert). Das ist der Staat: Der Anstieg der Ausgaben der öffentlichen Hand erhöht Einkommen. Ein Teil des Einkommens wird gespart. Das heisst, dass, bevor gespart werden kann, zunächst investiert werden muss.



Keine Kommentare: