Macht es Sinn, Löhne zu kürzen,
wenn es in der Wirtschaft gerade an Jobs mangelt?
Eine wichtige Frage. Denn wir
stellen uns i.d.R. vor, dass die Menschen von einer Ware mehr kaufen, wenn der
Preis der Ware sinkt. Angesichts der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung und der
anhaltenden Massenarbeitslosigkeit in Europa gibt es Stimmen, wonach die
Arbeitslosigkeit sinken würde, falls die Löhne sinken würden.
Die Beziehung zwischen Löhnen und
Beschäftigung ist aber nicht so einfach wie viele Menschen denken mögen. Denn der
Arbeitsmarkt funktioniert nicht wie der Kartoffelmarkt. Angebot und Nachfrage sind nicht voneinander unabhängig.
Es kann schon vorkommen, dass
Arbeitskräfte in einer bestimmten Industrie Lohnkürzungen hinnehmen, um ihre
Arbeitsplätze nicht zu verlieren. Denn durch die Lohnkürzung wird die Arbeit,
die sie liefern und die Waren, die sie herstellen, im Vergleich zur Konkurrenz
billiger.
Wenn aber das allgemeine Niveau
der Löhne in der gesamten Wirtschaft fällt, ergeben sich keine relative
Vorteile im Wettbewerb. Wenn es überhaupt einen positiven Effekt auf die
Beschäftigung gibt, dann via Zinsen. Denn niedrige Löhne bedeuten, niedrige
Inflation. Die Zentralbank kann dann die Zinsen senken, um die Wirtschaft wieder
zu stimulieren, was die Investitionen ankurbeln und die Beschäftigung erhöhen
würde.
In einer Depression hingegen können
die Zinsen nicht gesenkt werden, weil sie bereits nahe null liegen (zero lower bound). Sinkende Löhne können
daher nicht zu mehr Beschäftigung führen.
Rendite der Staatsanleihen mit 10
Jahren Laufzeit in USD, EUR und CHF, Graph:
ZKB
Zudem gibt es heute einen
weiteren Grund: Schulden-Überhang. Kreditnehmer sind in einer schwer
angeschlagenen Wirtschaft bemüht, Schulden abzubauen (deleveraging). Während Schuldner die Ausgaben senken, um Schulden
zurückzuzahlen, sehen Kreditgeber keinen Anlass, Ausgaben zu erhöhen.
Das ist eine Situation, die Irving Fisher 1933 als
Schulden-Deflation (debt deflation)
beschrieben hat. Die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben sind derart
niedergeschlagen, dass daraus möglicherweise eine Depression hervorgeht.
Die Frage ist also, was in einem
solchen Marktumfeld passiert, wenn die Löhne fallen? Preise und Einkommen
fallen auch. Aber die Schulden bleiben unverändert. Obendrauf steigt sogar die
reale Last der bestehenden Schulden, was den niederdrückenden Effekt der
Schulden auf die Ausgaben noch mehr verstärkt.
Das bedeutet, dass man der
Wirtschaft einen Bärendienst erweisen würde, wenn man in einer Depression versuchen
sollte, die Arbeitsmärkte „flexibler“ zu gestalten. Den ganzen Ablauf nennt man
übrigens paradox of flexibility. In einer Wirtschaft, die in einer Liquiditätsfalle
steckt, Lohnflexibilität
anzustreben, lastet auf der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und verschlimmert
die Situation in der bereits angeschlagenen Wirtschaft.
Depressionen sind im Grunde
genommen durch Paradoxa gekennzeichnet: Ein zweites Paradoxon ist Sparparadoxon
(thrift of paradox): Wenn in
schlechten Zeiten alle sparen, sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Die
geringere Nachfrage nach Waren führt zu geringerem Verbrauch. Und es geht allen
schlechter. Die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse sinken sogar am Schluss wegen
der fehlenden Investitionen. Und das Wirtschaftswachstum verringert sich. Denn
die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen.
Wenn der Privatsektor auf Sparen
setzt, gibt es einen Spieler in der Wirtschaft, die die Ersparnisse aufnimmt
(sich verschuldet, z.B. durch die Ausgabe von Anleihen) und ausgibt
(investiert). Das ist der Staat: Der Anstieg der Ausgaben der öffentlichen Hand erhöht Einkommen. Ein
Teil des Einkommens wird gespart. Das heisst, dass, bevor gespart werden kann,
zunächst investiert werden muss.
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