Donnerstag, 11. August 2022

Nach der Pandemie ist der Welt nicht zum Feiern zumute

After the Pandemic Inflation: A Winter of Dire Poverty?


Aus Sicht der Anleihemärkte scheint Rezession bereits eine beschlossene Sache zu sein.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die lang-anhaltende inverse UST-Renditekurve in den USA die zunehmende Markterwartung eines bevorstehenden konjunkturellen Rückgangs reflektiert: Die 2-jährige Rendite notiert mit 3,201% deutlich höher als die 10-jährige Rendite mit 2,757%

Der Spread der Renditekurve der US-Staatsanleihen (UST) ist inzwischen (intraday) auf rund -50 Basispunkte (d.h. 0.50%) geschrumpft, was die Befürchtung der Anleger unterstreicht, dass die Fed die Zinsen zu weit und schnell genug anheben wird, um längerfristig eine starke Wachstumsverlangsamung auszulösen.

Eine Rezession scheint in der Tat vorprogrammiert, unabhängig davon, ob die technische und/oder analytische Definition vorliegt.



US-Banken beginnen mit Straffung der Kreditrichtlinien, Graph: Morgan Stanley, Aug 08, 2022.

Es ist ferner ebenso überzeugend, dass die gegenwärtige Bärenmarkt-Rallye unterdessen zu einer atemberaubenden Rotation geführt hat:

Seit den Tiefstständen Mitte Juni hat der Russell 1000 Growth Index mit einem Plus von fast 19 % mehr als doppelt so stark zugelegt wie der Russell 1000 Value Index mit einem Plus von 9 %. 

Dies deutet laut Lisa Shalett, CIO, Morgan Stanley darauf hin, dass sich die Anleger mehr Sorgen um die Rezession als um die Inflation machen. 

Die Instinkte («animal spirits») der Anleger folgen dem traditionellen Schema, wonach eine Straffung der Geldpolitik zu einem langsameren Wachstum, höherer Arbeitslosigkeit und weniger Konsum führt.

Und ein sinkendes Realeinkommen bedeutet tatsächlich einen Rückgang des Verbrauchs, es sei denn, die Verbraucher sparen weniger oder nehmen mehr Kredite auf.



Das weltweite Wachstum der Chipverkäufe hat sich seit sechs Monaten in Folge verlangsamt - Halbleiter sind Schlüsselkomponenten in einer Welt, die zunehmend auf digitale Produkte und Dienstleistungen angewiesen ist, Graph: Bloomberg, Aug 08, 2022. 


Die US-Wirtschaftsdaten vom vergangenen Freitag zeigen zwar, dass die Arbeitslosigkeit so niedrig war wie seit über 50 Jahren nicht mehr. Aber das reale Einkommenswachstum ist erschreckend schlecht, und die Verbraucherkredite sind dramatisch gestiegen, wie Paul Donovan, UBS unterstreicht. bit.ly/3d6bXmW

Das Negative daran ist, dass ein Anstieg der Anzahl der neugeschaffenen Stellen in Juli (528'000) auf eine Zunahme des Arbeitsangebots zurückzuführen ist. Die Menschen brauchen angesichts der höheren Lebenshaltungskosten Geld. 

Covid-19 ist die Hauptursache für das heutige wirtschaftliche Chaos. Das gilt insbesondere für den Arbeitsmarkt. Und die Auswirkungen des Corona-Virus sind nicht auf die Gesundheit des Einzelnen beschränkt.

Wirksame Wege, um Arbeitnehmer zurückzubringen sind höhere Löhne, mehr Sozialleistungen, berechenbare Arbeitszeiten, Sicherheit am Arbeitsplatz und grundlegender Respekt.

Der ehemalige Premierminister Gordon Brown weist vor diesem Hintergrund auf die Krise der Lebenshaltungskosten im Vereinigten Königreich hin; mehr als 4 Mio. Haushalte sind auf dem besten Weg, ein Viertel ihres netto Einkommens für Energie auszugeben. 



Mehr als die Hälfte der britischen Haushalte dürften per Januar 2023 10% ihres netto Einkommens für Energie-Kosten ausgeben, Graph: The Guardian, Aug 08, 2022


Doch es ist bemerkenswert, dass ein prominenter Teil der Very Serious People (VSP) den US-Arbeitsmarkt für überhitzt hält. Das heisst, dass die Notenbank die Unternehmen dazu veranlassen soll, Arbeitskräfte zu entlassen, um das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu bremsen.



«US-Arbeitsmarkt ist überhitzt», Graph: St. Galler Kantonalbank, Aug 08, 2022.


Olivier Blanchard beispielsweise schreibt auf Twitter, dass der aktuelle US-Beschäftigungsbericht die ohnehin schon großen Bedenken verstärke, und die Inflation hoch bleiben dürfte und wir eine tiefe Rezession brauchen, um sie zu überwinden.

Auch Jason Furman sieht den Arbeitsmarkt als "unangenehm heiß" an, und bemerkt, dass das schnelle Lohnwachstum ihm "Sorgen" mache.

Die Beschreibung des Arbeitsmarkts als «überhitzt» ist aber irreführend. Zumal die Inflation gegenwärtig nicht Nachfrage-getrieben ist. Ein großer Teil der Inflation ist offensichtlich angebotsbedingt. Die Idee, die dahintersteht, beruht auf dem Konzept NAIRU, welches längst überholt ist und weder theoretisch noch empirisch standhält.


US-Aktien: Gewinnrevisionen signalisieren negative wirtschaftliche Überraschungen, Graph: Morgan Stanley, Aug 08, 2022


Ein starker Arbeitsmarkt verschafft uns Zeit, um andere Probleme wie Versorgungsketten, Produktionsengpässe (z. B. in Raffinerien) und die Rückverlagerung der Nachfrage auf Dienstleistungen zu bewältigen, wie Claudia Sahm zu Recht betont.

Und «last but not least”: Unterbeschäftigung ist die neue Arbeitslosigkeit.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Doppelfunktion des Lohnes nicht zu vergessen: Der Lohn ist oft der wichtigste Kostenfaktor für die Unternehmen, andererseits bestimmt er die Nachfrage. Denn die Menschen sind auf ihr Einkommen angewiesen, um zu konsumieren. Und sie verschaffen damit wiederum den Unternehmen Einnahmen.


Die Unterbeschäftigung in der Euro Zone ist zwar von rund 18% auf rund 14% zurückgefallen. Aber sie ist immer noch ein grosses Problem, Graph: ING Economics, July 20, 2022.


Eduardo Porter trifft in seiner Kolumne bei Bloomberg den Nagel auf den Kopf:


Das Problem ist, dass die neue Normalität uns in eine Version des Lochs zurückbringen wird, in dem wir uns befunden haben: ein Morast aus schrumpfenden Arbeitsplätzen und geringen Investitionen, stagnierenden Löhnen und zügelloser Ungleichheit, der den Wohlstand jahrelang blockiert hat.


Die entscheidende wirtschaftliche Frage - woher kommt das Wachstum? - wird daher noch schwieriger werden, wenn Energie weiterhin teuer bleibt.

Ist es der Welt nicht gegönnt, nach der Pandemie wieder etwas Luft zu schnappen?

Es gibt eine Alternative: selektive Preisobergrenzen in Kombination mit Investitionen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft, schreiben Meg Jacobs und Isabella Weber in einem Meinungsartikel bei Washington Post.

Die erneuten Zinserhöhungen der Fed bergen nämlich die Gefahr einer Rezession und stellen in unserer stark polarisierten Gesellschaft eine ernsthafte politische Gefahr dar. Eine Rezession würde diejenigen weiter treffen, die am meisten unter der Covid-19-Pandemie und der Inflation gelitten haben. 



Die gängigste Version der UST Ertragskurve (2y10y) die «inverseste» seit dem Jahr 2000, und die 3m10y Kurve (yield curve) steht jetzt kurz vor der Inversion, Graph: John Authers, Bloomberg, Aug 10, 2022.

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