Jedes Mal, wenn neue offizielle Daten über Beschäftigung und Löhne vorgelegt werden, suchen Ökonomen nach Anzeichen dafür, ob die Wirtschaft Vollbeschäftigung erreicht hat.
Das ist der Punkt, wo die Arbeitslosigkeit so niedrig ist, dass Inflation ausgelöst werden kann.
Die Arbeitslosigkeit ist jedoch bei der jüngsten Erholung der amerikanischen Wirtschaft weiter und schneller gesunken, als von vielen Prognostikern erwartet wurde, ohne dass Anzeichen von Preisdruck zu spüren wären, wie Matthew Boesler in einem Beitrag bei Bloomberg beschreibt.
Die Erwartung ist, dass niedrige Arbeitslosigkeit zu einem Wettbewerb der Arbeitgeber um Arbeitnehmer führt, die die Löhne anheben. Und die Unternehmen erhöhen dann die Preise, um die gestiegenen Kosten auszugleichen. Dadurch steigt das Risiko einer sog. Lohnpreisspirale.
Doch die Inflation ist nicht gestiegen, obwohl die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren unter das Niveau gefallen ist, das die Mehrzahl der geldpolitischen Entscheidungsträger, einschliesslich derjenigen der US-Notenbank für Vollbeschäftigung halten.
Die Trends im Mindestlohn in den USA: Die Abbildung zeigt, dass der Mindestlohn heute 24 USD betragen würde, wenn er (wie bis 1968) im Einklang mit der Produktivität ansteigen würde, Graph: Dean Baker, Jan 21, 2020
Die offiziellen Daten zur Erfassung des allgemeinen Lohnwachstums deuten darauf hin, dass die Dynamik nachlässt.
Im Jahr 2018 legten die durchschnittlichen Stundenlöhne um 3,3% zu. Im Jahr 2019 jedoch sind sie trotz einer niedrigeren Arbeitslosenquote nur um 2,9% gestiegen.
Ein neues Papier im Journal of Epidemiology & Community Health stellt fest, dass Mindestlöhne nicht nur das Einkommen erhöhen, sondern auch die psychische Gesundheit der Arbeitnehmer verbessern können, Graph: The Economist, Jan 20, 2020
Die Autoren schätzen, dass eine Erhöhung des Mindestlohns um 1 USD mit einem Rückgang der Selbstmordrate um 3,5% bei Erwachsenen im Alter von 18 bis 64 Jahren mit einer High-School-Ausbildung oder weniger verbunden ist. Das hört sich vielleicht klein an, aber die Zahlen summieren sich.
Es kann daher festgehalten werden, dass die Inflation aufgrund des niedrigen Lohnwachstums niedrig bleiben dürfte.
In den USA stiegen die Löhne früher im Einklang mit der Produktivität, aber heute nicht mehr, schreibt Jeff Spross, während er sich in einem lesenswerten Artikel im The Week des Themas Lohnungleichheit und Stagnation der Volkswirtschaft annimmt.
Dazu passend bemerkt Dean Baker im CEPR Blog: Wenn der US-Mindestlohn im Gleichschritt mit dem Produktivitätswachstum seit 1968 steigen würde, wären es heute mehr als 24 USD pro Stunde.
Bis 1968 hielt der amerikanische Mindestlohn nicht nur mit der Inflation Schritt, er stieg im Gleichschritt mit dem Produktivitätswachstum. Die Logik ist einfach: Wir gehen davon aus, dass die Löhne im Allgemeinen im Gleichschritt mit dem Produktivitätswachstum steigen werden, erklärt Baker weiter.
Wenn der Mindestlohn im Gleichschritt mit der Inflation steigt, stellen wir effektiv sicher, dass die Mindestlohnempfänger im Laufe der Zeit die gleiche Menge an Waren und Dienstleistungen kaufen können, um sie vor höheren Preisen zu schützen.
Steigt der Mindestlohn jedoch mit der Produktivität, bedeutet dies, da die Arbeitnehmer im Durchschnitt pro Stunde mehr Waren und Dienstleistungen produzieren können, dass die Mindestlohnempfänger im Laufe der Zeit mehr Waren und Dienstleistungen kaufen können.
Es gibt aber eindeutig Grenzen dafür, wie weit und wie schnell wir mit dem Mindestlohn gehen können, unterstreicht Baker.
Es ist durchaus vernünftig, ein Ziel zu haben, bei dem der Mindestlohn dahin zurückkehrt, wo er wäre, wenn er das Produktivitätswachstum in den letzten 50 Jahren verfolgt hätten.
Aber wir werden viele der institutionellen Veränderungen, die in diesem Zeitraum vorgenommen wurden, rückgängig machen müssen. Weiter dazu ist es empfehlenswert, das Buch „Rigged“ (kostenlos) von Baker zu lesen.
Vergessen wir zudem nicht, dass die hohe Ungleichheit auf beiden Seiten des Atlantiks das Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen ist.
Der gefährlichste wirtschaftliche Mythos von allen ist, wie Paul Krugman in einem Gespräch mit Prospect am Dienstag kurz und bündig zusammenfasst, die Idee, einen Staat wie einen privaten Haushalt zu betrachten, so dass das Einkommen die Ausgaben nie übersteigt und die Verschuldung nur eine Belastung für die Zukunft darstellt.
Das ist ein Trugschluss: Die Realität ist, dass das Geld innerhalb der Wirtschaft in einem Kreis fliesst und dass das alles verändert.
Ohne eine vernünftige Lohnpolitik bleibt die Inflation gedämpft und die Zinsen können steigen. Das ist eine Tatsache.
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