Es ist zwar der Schnee von gestern. Aber die Behauptung, dass die Zinsen „künstlich“ niedrig sind, taucht in den Mainstream-Medien ab und zu wieder auf.
Das ist eine Zombie-Idee: Die Zinsen sind nicht künstlich niedrig.
Die alte Leier, dass die Zinsen künstlich niedrig gehalten werden, und damit die Sparer und konservative Investoren bestrafen, ist bei allem Respekt ein Unsinn.
Die niedrigen Zinsen sind ein Ergebnis der GFC von 2008-2009, nicht die Ursache. Tatsache ist, dass die Staatsverschuldung erst nach dem Ausbruch der GFC und der Rezession, die dadurch ausgelöst wurde, gestiegen ist, und zwar infolge der Rettung der Banken durch die öffentliche Hand.
Es war die fiskalische Austeritätspolitik, die die Regierungen zum kompromisslosen Sparen gezwungen hat, koste es, was es wolle.
Und das Ergebnis spricht Bände: Lohnzurückhaltung, Unterbeschäftigung, höhere Armut, schlechtere Infrastruktur und ein niedrigerer Lebensstandard.
Der kombinierte Effekt: niedrigere Zinssätze.
US Haushaltsdefizit, Graph: Morgan Stanley, June 02, 2020
Die Mitglieder der Eurozone wurden angewiesen, die Inlandsnachfrage zu dämpfen, um das ideologische Ziel eines ausgeglichenen Haushalts (inmitten einer schweren Krise) zu erreichen, die nicht vom öffentlichen Sektor, sondern vom privaten Sektor ausgelöst worden war (durch übermäßige Verschuldung).
Gleichzeitig hat der Abbau der Haushaltsdefizite das Angebot an Staatsanleihen nach unten gedrückt, die den privaten Anlegern zur Verfügung gestanden hätte.
Inflation in den Industrieländern, gemessen an BIP-Deflator, Graph: Morgan Stanley, June 02, 2020
Dennoch setzen sich manche Mainstream-Ökonomen heute noch tendenziell für die Austerität ein, um einen Anstieg der Verschuldung zu verhindern.
Chetan Ahya von Morgan Stanley argumentiert jedoch, dass dies kontraproduktiv ist, da in diesem Szenario ein schwächeres nominales BIP-Wachstum ohnehin nur dazu führen wird, dass die Schuldenquote (debt-to-GDP ratio) steigt.
Der Einsatz der Fiskalpolitik zur Stützung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in einer Zeit mit schwacher privater Nachfrage wird deshalb seiner Ansicht nach entscheidend sein, um zu unterbinden, dass die Inflation und die Inflationserwartungen weiter sinken.
EZB „Mitarbeiter makroökonomische Prognosen“, Graph: EZB, June 04, 2020
Amüsant ist vor diesem Hintergrund, zu beobachten, dass diejenigen, die sich für die Austerität (fiscal austerity) einsetzen und gleichzeitig über zu niedrige Zinsen beklagen, sich im Kreis drehen. Dadurch, dass sie den Einsatz der Fiskalpolitik zur Ankurbelung der Wirtschaft ablehnen, tragen sie dazu bei, dass das Zinsniveau auf einem niedrigen Niveau verharrt und die Inflationserwartungen weiter fallen.
Die EZB unterbietet das eigene Inflationsziel, Graph: BloombergTV, June 05, 2020
Die EZB hat am Donnerstag das PEPP um 600 Mrd. EUR auf einen neuen Gesamtbetrag von 1‘350 Mrd. EUR (€1.35 Trillion) erhöht, um die Wirtschaft der Eurozone bis mindestens Juni 2021 zu unterstützen.
Die Angst vor einer Deflation rechtfertigte laut dem politischen Entscheidungsträger Pablo Hernandez de Cos die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, ihr Notkauf-Programm für Anleihen zu verstärken, Graph: Bloomberg, June 05, 2020
"Die deflationären Risiken haben zugenommen, und dies ist einer der Gründe, warum die Europäische Zentralbank die von ihr ergriffenen Maßnahmen ergreift, um sicherzustellen, dass kein Risiko eintritt", sagte das Mitglied des EZB-Rates und der Leiter der Bank of Spain in einem Interview mit Bloomberg News in Madrid.
Es ist offensichtlich, dass das einzige proaktiv agierende Institut der Eurozone damit die Zahlungsfähigkeit der EUR-Länder sichert.
Während private Unternehmen sich am Profit orientieren, müssen sich staatliche Institutionen auf das Gemeinwohl konzentrieren. Es ist daher angemessen, dass die Zentralbanken heute rund um die Welt zusätzliche Staatsausgaben direkt finanzieren.
Der IWF fasst das ganze Geschehen elegant zusammen: Die Fiskalpolitik kommt heute zum Einsatz, um Menschenleben zu retten und den Lebensunterhalt zu schützen.
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