Samstag, 23. Oktober 2010

Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts

Buchbesprechung:


Heiner Flassbeck: Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts, Westend Verlag, Frankfurt, 2010.

Nachdem Ausbruch der Finanzkrise hat die Politik weltweit energisch eingegriffen. Der Staat agierte als Retter in der Not. Doch bis zu diesem Zeitpunkt herrschte ein fester Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes vor. „Der Staat ist Problem, der Markt ist Lösung“, lautete der volkswirtschaftlich falsche Slogan, der von Mainstream-Medien und -Ökonomen verbreitet wurde. Wenn zu viele zu hoch verschuldet sind und zur gleichen Zeit versuchen, ihre (Wett-)Schulden abzubauen, reissen sie das System in die Tiefe. Um die Wirtschaft zu stabilieren, hat der Staat intervenieren müssen. Nur durch massive Zinssenkungen durch die Notenbanken und die Kreditaufnahme des Staates war es möglich, die Abwärtsspirale zu stoppen. Nun wollen aber unwissende Politiker und schlechte Berater wieder auf Sparen umschwenken, als wäre die ganze Übung für die Katze. Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik hat sich in den letzten 25 Jahren als nicht lernfähig erwiesen, hält Heiner Flassbeck fest.

Dennoch ist festzustellen, dass ein dramatisches Umdenken über die Wirtschaftspolitik im Gange ist. Je länger die Krise nämlich anhält, umso häufiger wird hierzulande die Frage gestellt, woher die Kraft für eine Erholung der (deutschen) Wirtschaft kommen soll. In diesem Zusammenhang taucht eine noch wichtigere Frage auf: Wie war das Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er Jahren möglich? Kann es in Deutschland wieder einen nicht vom Export getragenen Aufschwung geben? „Es war eigentlich kein Wirtschaftswunder, sondern ein Lohn- und Kaufkraftwunder“, argumentiert Flassbeck. In den 10 Jahren zwischen 1950 und 1960 stiegen die Reallöhne in Deutschland im Durchschnitt jedes Jahr um mehr als 7% an. Von 1960 bis 1970 legten sie um fast 7% zu. Von da an ging’s bergab, erklärt der Direktor bei UNCTAD, zuständig für die Division Globalisierung und Entwicklung. Das Lohnwachstum ging in den 1980er Jahren auf nur noch 1,8% pro Jahr zurück. Das eigentlich Drama aber begann Mitte der 1990er Jahre. Im Gefolge der Politik des Standortwettbewerbs stagnierte die Kaufkraft der Arbeitnehmer. Wenn die Einkommen real nicht mehr steigen, wie in den letzten 15 Jahren stagnieren, oder sogar fallen, bleibt Konsum schwach. Unternehmen investieren, wenn die Nachfrage stabil ist, weil sie einen Gewinn erwarten. Die Investitionen und die Beschäftigung laufen in allen modernen Volkswirtschaften völlig gleich. Nur über die systematische Steigerung der Massenkraft (mit Teilhabe der Menschen am Produktivitätsfortschritt) kann gewährleistet werden, dass die Unternehmen investieren, erläutert Flassbeck. Grund für die binnenwirtschaftliche Schwäche und den aussenwirtschaftlichen Erfolg ist eindeutig die durch Lohndumping  erzielte permanente Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, so Flassbeck. Wenn in Deutschland auch in den nächsten Jahren die Löhne nicht steigen und seine Wettbewerbsfähigkeit sich weiter verbessert, ist die EWU zum Scheitern verurteilt, schlussfolgert Flassbeck.

Anhand von grossen Krisen (Finanz-, Sozial- und Armut-, Handel-, Klima- und Schulden-Krise) zeigt der Autor im ersten Teil des Buches überzeugend auf, wie das einzelwirtschaftliche Denken der Politiker zu katastrophalen Entwicklungen in den erwähnten Bereichen geführt hat. Der Nährboden war ja im Vorfeld bereits vorgelegt, und zwar von der herrschenden neo-klassischen ökonomischen Lehre. Dass eine moderne Marktwirtschaft ein System der Arbeitsteilung ist, wird dabei geflissentlich verdrängt. Das Gesamtergebnis kann keineswegs mehr der Leistung eines einzelnen oder einiger weniger zugerechnet werden, erklärt Flassbeck. Während „Leistungsträger“ systematisch entlastet werden, haftet der kleine Putzman für die Verluste und muss am Ende zum Sozialamt zum Betteln gehen. In diesem Sinne ist auch die tatkräftige Betonung der Staatsschulden wie es im Fall von Griechenland durch die Mainstream-Medien zum Ausdruck kommt, eine Art ideologische Ablenkung durch geldmächtige Interessengruppen. Das Problem der Zahlungsbilanz und der Ungleichgewichte in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sind viel wichtiger, beschreibt Flassbeck. Im zweiten Teil des Buches befasst sich der Autor damit, wie die Wirtschaft durch viele Ökonomen diskreditiert wird. Im dritten Teil gibt Flassbeck die angemessenen Antworten darauf. Besonders interessant zu lesen ist der Abschnitt „Ein neues Währungssystem installieren“: Die Wechselkurse sollen sich systematisch nach den Inflationsdifferenzen richten. Ein Land mit hoher Inflation sollte also abwerten, ein Land mit niedriger Inflation aufwerten.

Fazit: Die Verherrlichung der Finanzmärkte muss beendet werden. Es sind nicht die Finanzmärkte, die zum Wohlstand beitragen, und es ist nicht die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, die Vollbeschäftigung  herstellt. Es sind vielmehr hoch motivierte Investoren in Sachkapital und Arbeitskräfte, die mit guten Ideen den Wohlstand sichern.

Dieses grossartige Buch ist eine schonungslose, aber intellektuell anspruchsvolle Abrechnung mit ökonomisch und ökologisch toten Ideen, die die herrschende Wirtschaftslehre hervorgebracht hat. Flassbeck zeigt einwandfrei auf, wie Modelle, die z.B. über Deregulierung und Entstaatlichung umgesetzt wurden, die Welt an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Länder lassen sich nicht wie Unternehmen sanieren, warnt der Autor. Das Dogma des einzelnwirtschaftlichen Denkens gefährdet sogar die Demokratie, sodass „Menschen beginnen, Rattenfängern hinterherzulaufen“. Die rechten Flammen sind überall in Europa sichtbar. Die Wirtschaftsmacht beutet die politische Macht aus. Die Finanzoligarchie verdrängt die Demokratie. Ein starkes Buch: Pflichtlektüre für alle, die besonders für die Politische Ökonomie interessiert sind.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Die Finanzoligarchie verdrängt die Demokratie."
Herr Flassbeck von welcher Demokratie sprechen sie? Doch nicht von der in der Bananenrepublik Deutschland.

Faam

Anonym hat gesagt…

Was für eine Erkenntnis
Zitat:Fazit: Die Verherrlichung der
Finanzmärkte muss beendet werden. Es sind nicht die Finanzmärkte, die zum Wohlstand beitragen, und es ist nicht die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, die Vollbeschäftigung herstellt. Es sind vielmehr hoch motivierte Investoren in Sachkapital und Arbeitskräfte, die mit guten Ideen den Wohlstand sichern.
--- diese Weisheit ist so alt, dass sie eigentlich jeder wissen müsste.
Jetzt, wo alles im Eimer ist, erinnert man sich daran --leider zuspät.
Nicht das Geld arbeitet, kauft und produziert Waren, sondern der Mensch.