Buchbesprechung:
Robert J. Barbera: The Cost of Capitalism. Understanding Market Mayhem and Stabilizing our Economic Future. McGraw-Hill, New York, London, 2009.
Die herrschende ökonomische Theorie postuliert, dass die Finanzmärkte, sich selbst überlassen, zum Gleichgewicht tendieren. Die anhaltende Weltwirtschaftskrise hat jedoch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Theorie des vollkommenen Wettbewerbs aufkommen lassen. Mittlerweile wurde eine „Kapitalismus-Debatte“ ausgelöst. Es ist sogar von einem Umbruch in der Wirtschaftswissenschaft die Rede. Die etablierte Ökonomie wird im Sog der Rezession v.a. in den USA fundamental in Frage gestellt. Der Monetarismus ist untergegangen. Wie George Soros mit seinem Buch „The New Paradigm for Financial Markets“ den Weg in diese Richtung ebnete, ruft nun Robert J. Barbera mit seinem aktuellen Werk nach einem „neuen“ Ordnungsrahmen für den Kapitalismus, „wenn wir freie Märkte bewahren wollen“. In dieselbe Reihe passt auch das von uns neulich hier besprochene Buch von George Akerlof und Robert Shiller: „Animal Spirits“.
Robert J. Barbera ist Executive Vice President und Chef-Ökonem bei ITG und ein Economics Department Fellow an der Johns Hopkins University. Er hat früher als Ökonom für das Congressional Budget Office (CBO) gearbeitet.
Seine Hauptargumente sind folgende: 1) Die Boom-Bust-Phasen der Wirtschaft werden seit 1985 nicht von der Inflation, sondern von den Finanzmärkten angeheizt. 2) Die Stabilität der Main Street fördert paradoxerweise die Wall Street, exzessive Risiken einzugehen. Die beiden Faktoren führen verhängnisvoll dazu, dass kleine Rückschläge katastrophale Folgen haben. Barberas theoretisches Konzept bezieht sich auf Hyman Minsky (1919-1996). Minsky war ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, der als Postkeynesianer gilt. Er studierte und promovierte bei Joseph Schumpeter. Minsky beschäftigte sich mit der Frage, warum es trotz boomender Wirtschaft immer wieder zu plötzlichen Krisen kommt. Seine Krisenthese lässt sich kurz in zwei Punkten zusammenfassen: 1) Ein längerer Zeitraum von gesundem Wachstum überzeugt Menschen, hemmungslos immer grössere Risiken einzugehen. 2) Wenn sehr viele Leute riskante Wetten schliessen, können kleinere Enttäuschungen verheerende Folgen haben. Durch Minsky Ideen entstand der ökonomische Terminus „Paradox of Goldilocks“. Das heisst: Was “kreative Zerstörung” in Main Street für Joseph Schumpeter bedeutet, sind für Hyman Minsky „Finanzmarkt-Umwälzungen” in Wall Street („Corporate America“).
Barbera zeigt anhand Minsky’s Theorie der Finanzmärkte auf, wie die Wall Street in langen Zeiten wirtschaftlichen Wachstums das Risiko geflissentlich ausblendet, und beginnt, mit immer mehr Fremdkapital (leverage) nach immer höheren Gewinnen zu streben, unabhängig davon, wie enthusiastisch der Ausblick für die Finanzmärkte ist. Laufen aber die Märkte zu heiss, werden Kreditgeber mit neuen Ausleihungen plötzlich zurückhaltend, sodass nicht nur die spekulativ orientierten Schuldner stürzen, sondern auch solide Banken. Weil, wenn Kreditnehmer ihre Zinsen nicht zahlen und ihre Kredite nicht tilgen können, Kreditgeber anfangen müssen, die Schulden abzubauen (deleveraging), um ihre Bilanzen zu bereinigen. Sie trennen sich von Vermögenswerten („Minsky Moment“), u.a. auch von rentablen. Eine fatale Abwärtsspirale kommt in Gang. Folglich werden Bailouts notwendig. Schliesslich will niemand reihenweise Banken zusammenbrechen lassen. Staatliches Eingreifen im Markt wird also unvermeidbar. Die Instablitität, die das kapitalistische Wirtschaftssystem in sich birgt, muss daher laut Autor bewusst angegangen werden, indem die Zentralbanken die Entwicklungen auf den Vermögensmärkten sorgfältig beobachten und in ihren geldpolitischen Entscheidungen vollständig mitberücksichtigen. Zumal keine der Krisen in den vergangenen 25 Jahren auf Lohn- und Preisdruck zurückführen sind. Verantwortlich dafür sind die Exzesse an den Asset Markets und dubiöse Finanzierungspraktiken. Für den „neuen Konsens“ ist ausdrücklich zur Kenntnis zu nehmen, dass der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik durch die Finanzmärkte erfolgt. Das sei der Eckpfeiler der makroökonmischen Denkweise, hält Barbera fest. Als Anleitung empfiehlt der Autor, Keynes und Minsky (wieder) zu lesen. Das dynamisch verfasste Buch enthält wertvolle Denkanstösse für die aktuelle Debatte. Wegweisend.
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