Tim Duy hat in seinem Blog neulich auf eine
Mini-Debatte in den USA (mit wichtigen ökonomischen Implikation) Stellung
bezogen. Es geht um die Verwendung einer statistischen Technik namens Hodrick-Prescott Filter.
Es
gibt einige unterschiedliche Ansätze zur Berechnung des Produktionspotenzials. Hodrick-Prescott
(HP) Filter gehört mit dem
Produktionsfunktionsansatz und Multivariater (MV) Filter zu den häufig verwendeten Schätzmethoden. Die
Produktionslücke (output gap), die zeigt, wie
gut die Produktionsfaktoren einer Volkswirtschaft ausgelastet sind, misst die
prozentuale Abweichung des beobachteten BIP-Niveaus vom geschätzten gesamtwirtschaftlichen
Produktionspotenzial.
James Bullard, Präsident der St. Louis Fed, der sich auf diese
Schätzmethode stützt, hat kürzlich behauptet, dass die US-Wirtschaft in der
Nähe des Produktionspotenzials laufe.
„Die Immobilienblase und die darauf folgende Finanzkrise haben wahrscheinlich einigen dauerhaften Schaden für die Wirtschaft angerichtet, was nahelegt, dass die Produktionslücke in den USA nicht so gross ist wie allgemein angenommen wird und dass das Wachstum der Produktionslücke mässig ist. Dies erklärt, warum das US-Wirtschaftswachstum weiterhin schleppend verläuft, warum die US-Inflation nahe Zielwert bleibt anstatt steil zu fallen und warum die Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr: von 9,1% im Juni 2011 auf 8,2% im Juni 2012 gesunken ist“.
Duy
vertritt die Ansicht, dass es in diesen beiden Sätzen mehr Falsches als Richtiges
gibt. Der an der University of Oregon
lehrende Wirtschaftsprofessor sieht nicht ein, warum eine langsamere
Wachstumsrate des Produktionspotenzials auf kurze Sicht zwangsläufig
niedrigeres tatsächliches Wachstum implizieren soll.
Das
reale BIP, tatsächlich vs. potenzial, Graph:
Prof. Tim Duy
Dass
die Inflation nicht weiter fällt, kann durch die starren Nominallöhne erklärt
werden. Und der Rückgang der Arbeitslosigkeit, was in sich selbst nicht
beeindruckend ist, sollte im Zusammenhang mit der Stagnation der Erwerbsquote gesehen werden, legt Duy dar.
Auch
Paul Krugman tritt in die Debatte
ein, zum einen, weil der Träger des Wirtschaftsnobelpreises (2008) sich mit der
Thematik in Bezug auf Japan einst befasst hatte, und zum anderen weil, was wie
eine Debatte über eine statistische Technik aussieht, eigentlich eine
entscheidende Debatte über die Natur der anhaltenden wirtschaftlichen
Katastrophe ist.
Der
HP-Filter ist eine Technik, die
angeblich die zugrunde liegenden Trends von den Daten, in denen eine Menge
kurzfristige Schwankungen um den Trend gibt, herauszieht. Um dies zu tun,
glättet der HP-Filter die Daten und nimmt, grob gesprochen, einen gewichteten
Durchschnitt über mehrere Jahre. Die geglättete Bemessung soll dann den
zugrunde liegenden Trend darstellen, erläutert Krugman in seinem Blog.
Auf
Konjunkturzyklen angewandt findet der HP Filter einen geglätteten Messwert für
das reale BIP, welcher dann als das Potenzial, das der Wirtschaft zugrunde
liegt, angenommen wird, mit Abweichungen von der geglätteten Darstellung, die
nicht-nachhaltige, vorübergehende Abweichungen vom Potenzial verkörpert.
Was
nun geschieht, ist, wie Tim Duy betont, dass einige Menschen, einschliesslich
US-Notenbank, den HP-Filter an den Tag legen, um zu argumentieren, dass die
US-Wirtschaft sich Nahe Potenzial befindet, sodass es keinen Anlass gibt, eine
expansive Geld- und Fiskalpolitik zu verfolgen.
Was
stimmt aber damit nicht? Die Antwort ist laut Krugman, dass eine statistische
Technik nur angemessen ist, wenn die zugrunde liegenden Annahmen der
Schätzmethode wirtschaftliche Realität widerspiegeln. Und es ist hierbei fast
sicher nicht der Fall.
Die
Verwendung des HP-Filters geht davon aus, dass die Abweichungen vom Potential Output relativ kurzfristig
sind und sich ziemlich schnell wieder korrigieren lassen. Das ist wohl in
normalen Zeiten wahr, räumt Krugman ein, obwohl er behaupten würde, dass der
Hauptgrund für die Konvergenz zurück zum Potenzialwachstum ist, dass die Fed
dafür sorgen kann, dass es geschieht, und zwar schneller als der „natürliche“
Prozess.
Krugman
möchte das Augenmerk danach richten,was im Gefolge der Finanzkrise passiert
ist. Die Fed befindet sich auf der Untergrenze von Null. Und sie zögert heute
auf unkonventionelle Massnahmen in einem ausreichenden Umfang zurückzugreifen.
Die Fiskalpolitik wird abgelenkt und die Wirtschaft bleibt unter dem Potenzial
für eine lange Zeit.
Doch
die Methodik der Verwendung des HP-Filters geht von Annahmen aus, die nicht
zutreffen. Jede langwierige Rezession wird stattdessen als eine Abnahme des
Potenzialwachstums interpretiert. Krugman liefert dazu die folgende Abbildung
(1998) für die 1930er Jahre.
US-BIP
1991-39, Graph: Prof. Paul Krugman
Nach
dem HP-Filter war die US-Wirtschaft zurück auf das Potenzial von 1935. Warum? Weil
es die Grosse Depression automatisch als einen nachhaltigen Rückgang des
Potenzialwachstums interpretiert hat, weil der HP-Filter solche konjunkturelle
Einbrüche gemäss Annahmen in seiner Schätzung des Potenzialwachstums verkörpert.
Es hat sich aber merkwürdigerweise herausgestellt, dass es in Amerika in der Tat
Überkapazitäten gab, was nur eines Anstiegs der Nachfrage bedurfte, um die
Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen.
Fazit: Für Krugman ist es offensichtlich,
dass Menschen, die jetzt mit HP-Filter argumentieren,
die Meinung vertreten, dass die Wirtschaft bereits auf Vollbeschäftigung ist.
Das ist derselbe Fehler von damals. Die Verfechter dieser Sicht verwenden eine
statistische Methode, die nur funktioniert, wenn längere Abschwünge der
Konjunktur unter dem Potenzialwachstum laut Annahmen der des HP-Filter Ansatzes
nicht passieren können. Die statistischen Verfahren sind nur so gut wie die
ökonomischen Annahmen, die dahinter stecken. Und in diesem Fall sind die
Annahmen einfach falsch.
PS:
Ein
konkretes Zahlen-Beispiel aus der Schweiz:
Die
Produktionslücke (output gap) in der
Schweiz:
Im
vierten Quartal 2011:
Nach
Produktionsfunktionsansatz: -1,1%
Nach
Hodrick-Prescott-Filter: -0,6%
Nach
Multivariater Filter: -0,4%
Im
ersten Quartal 2012:
Nach
Produktionsfunktionsansatz: -0,7%
Nach
Hodrick-Prescott-Filter: 0,0%
Nach
Multivariater Filter: 0,2%.
Schweiz,
Produktionslücke (output gap), Graph:
SNB, Quartalsheft June 2012
Das
heisst, dass die Produktionslücke sich in der Schweiz gemäss HP-Filter und
MV-Filter bereits geschlossen hat, während nach dem Produktionsfunktionsansatz
eine Lücke von minus 0,7% bestehenbleibt. Für die Notenbank sind die Angaben
von entscheidender Bedeutung, was
die geldpolitische Orientierung betrifft.
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