Montag, 2. Juli 2012

Europas grosse Illusion


In den vergangenen Monaten habe er eine Reihe von optimistischen Einschätzungen über die Aussichten für Europa gelesen, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („Europe’s Great Illusion“) am Montag in NY Times.

Merkwürdig, dass keine der Einschätzungen erörtert, dass Europas von Deutschland diktierte Formel der Erlösung durchs Leiden eine Chance hat, zu funktionieren.  Der Fall für Optimismus ist, dass das Scheitern (ein Auseinanderbrechen des Euro) eine Katastrophe für alle wäre, auch für die Deutschen und dass am Ende diese Aussicht induzieren würde, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs alles tun würden, um die Situation zu retten, beschreibt der Träger des Wirtschaftsnobelpreises (2008).

Krugman hofft, dass das Argument richtig ist. Aber jedesmal, wenn er einen Artikel in dieser Hinsicht lese, denke er an Norman Angell. Wer? Angel hat im Jahr 1910 mit dem Titel „Die grosse Illusion“ ein berühmtes Buch veröffentlicht, mit dem Argument, dass der Krieg obsolet geworden ist. Handel und Industrie (nicht die Ausbeutung der unterworfenen Völker) waren die Schlüssel zum nationalen Reichtum, sodass aus den riesigen Kosten für die militärische Eroberung nichts gewonnen werden könne.

Darüber hinaus argumentierte Angell, dass die Menschheit anfing, diese Realität zu schätzen, dass die „Leidenschaften des Patriotismus“ stark rückläufig waren. Angell hat zwar nicht gesagt, dass es keine grossen Kriege mehr geben würde. Aber er hat diesen Eindruck vermittelt. Wir alle wissen, was damals als Nächstes kam, unterstreicht Krugman.

Der Punkt ist, dass die Aussicht auf eine Katastrophe, egal wie offensichtlich, keine Garantie dafür ist, dass die Länder alles tun würden, um die Katastrophe zu vermeiden. Und dies gilt insbesondere, wenn Stolz und Vorurteil der politischen Entscheidungsträger nicht bereit sind, zu sehen, was offentsichtlich sein sollte.

Es ist laut Krugman daher ein Schock, zu erkennen, dass mehr als zwei Jahre verstrichen sind, seit die europäischen Staats- und Regierungschefs sich auf ihre gegenwärtige Strategie festgelegt haben: eine Strategie, die auf die Vorstellung basiert, dass die Austerität und internal devaluation (im Grunde genommen Lohnsenkungen) die Probleme der verschuldeten Länder lösen würden und aber in all dieser Zeit keine Erfolgsgeschichte hergestellt hat.

In der Zwischenzeit hat die Euro-Krise Metastasen gebildet, sich von Griechenland nach Spanien und Italien verbreitend. Und Europa als Ganzes rutscht nun wieder in die Rezession ab. Doch die politischen Vorgaben aus Berlin und Frankfurt verändern sich kaum, hält Krugman fest.

Wie ist aber die Gemeinschaftswährung Europas zu retten? Die Antwort müsste fast sicher sowohl grosse Käufe von Staatsanleihen durch die Zentralbank als auch eine erklärte Bereitschaft durch die Zentralbank, eine etwas höhere Inflationsrate in Kauf zu nehmen, einbeziehen. Selbst mit dieser Politik würde sich Europa der Aussicht auf jahrelang sehr hohe Arbeitslosigkeit gegenübergestellt sehen. Aber zumindest gäbe es einen sichtbaren Weg in Richtung Erholung.

Ein Teil des Problems ist die Tatsache, dass deutsche Politiker in den vergangenen Jahren Wählern etwas erzählt haben, was nicht wahr ist, dass nämlich die Krise auf die Schuld der unverantwortlichen Regierungen in Südeuropa zurückzuführen ist. Spanien hatte am Vorabend der Finanzkrise geringe Verschuldung und Haushaltsüberschuss. Wenn das Land heute in einer Krise steht, ist es das Ergebnis einer riesigen Immobilienblase, welche die Banken in ganz Europa, darunter auch die deutschen Banken mit aufgeblasen hatten. Das falsche Narrative steht aber heute im Wege einer jeden praktikablen Lösung, legt Krugman dar.

Doch falsch informierte Wähler sind nicht das einzige Problem. Der letzte Woche veröffentlichte Bericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) hinterlässt den Eindruck, als ob man in ein alternatives Universum eingetreten wäre, wo weder die Lehren der Geschichte noch die Gesetze der Arithmetik gelten: ein Universum, in dem die Austerität funktionieren würde, wenn nur alle daran glauben würden und wo alle die Ausgaben gleichzeitig kürzen würden, ohne eine Depression auszulösen.

Wird sich Europa selbst retten können? Die Chancen sind sehr hoch und die führenden Politiker Europas sind im Grossen und Ganzen weder böse noch dumm. Aber das gleiche hätte auch, ob man es glauben will oder nicht, über Europas Politiker im Jahr 1914gesagt  werden können. Wir hoffen, dass es diesmal anders ist, fasst der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor zusammen.

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