Buchbesprechung:
Heribert Prantl: Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht. Droemer Verlag, München 2008.
Seit geraumer Zeit berichtet Human Rights Watch (HRW) eindringlich von einer weltweit bedrohlichen Verwässerung des Demokratiekonzeptes. Die Menschenrechtsorganisation klagt, dass die Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus vernachlässigt werden. Die Rede ist von einem schleichenden Verfall des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit. Heribert Prantl knüpft in seinem aktuellen Buch gerade daran und zeigt mit intellektuellem Engagement auf, wie man heute mit dem Axiom „wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ Politik macht und wie der Rechtsstaat dabei zusehends in einen Präventionsstaat umgebaut wird.
Im Kampf gegen Terrorismus und vermeintliche Terroristen verwandelt sich der freiheitliche Rechtsstaat zu einem „fürsorglichen“ Vorbeuge- und Präventionsstaat, der seine Bürger „nicht mehr als unverdächtig, sondern als potentiell verdächtig“ betrachtet. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland schreitet der Erosionsprozess des Rechts weit fort. „Die Fundamentalgewissheiten sind nicht mehr gewiss: die Achtung der Würde jedes Menschen, der Schutz der Privatheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, das Prinzip der Verhältnismässigkeit“ usw, schreibt Prantl faktenkundig. Seine Formulierung „das deutsche Sicherheitsrecht verwandelt sich in ein Ausländerrecht“ belegt der Autor mit zahlreichen Zitaten aus aktuellen Schriften von Rechtsgelehrten und Jura-Professorren aus Deutschland schwarz auf weiss. „Der Mensch wird zum Beobachtungsprojekt. Beobachtungsprojekte sind oder werden unfrei“ ist ein prägnanter Satz aus diesem hervorragenden Buch, das die Problematik auf den Punkt bringt. „Rettungsfolter“ ist z.B. das Stichwort der modernen Debatte unter Juristen und Kriminalbeamten. Rechtsphilosophen setzen sich in juristischen Zeitschriften energisch für die Aufhebung des Folterverbots ein, indem sie u.a. die Meinung vertreten, dass der Lebensschutz des potentiellen Opfers mehr wiegen soll als die Menschenwürde des potentiellen Täters“. Haarsträubende Argumente einer neuen Schule der Staatsrechtslehre werden hier dem Leser in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Eigentlich ist es ein Rückfall in ein mittelalterliches Recht. Der finale Rettungsschuss, der grosse Lauschangriff, das Flugzeugabschussgesetz, die Vorratsdatenspeicherung sind weitere Schlagwörter, die der Autor als Beispiele dafür ausführlich präsentiert, wie absurd, grotesk und rechtsstaatwidrig „neue Normen“ im Gebiet der Inneren Sicherheit sind. „Je unbestimmter die Gefahr, desto bedrohlicher kann sie geschildert werden“. Prantl nennt es „präventive Logik“, die expansiv sei. „Der Staat will immer weiter in die Intimsphäre eindringen, um am Tatort zu sein, bevor der Täter da ist, um einzugreifen, bevor aus dem Gedanken die Tat geworden ist.“. Repressive Prävention, die im sehenswerten Film „Minority Report“ (2002), von Steven Spielberger mit Tom Cruise in der Hauptrolle, thematisiert wird, ist also nicht nur eine Vorlage für eine science-fiction Hollywood-Produktion. Das Drehbuch basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte des amerikanischen Autors Philip K. Dick aus dem Jahr 1956. Heribert Prantl studierte Rechtswissenschaft und Geschichte und war zunächst Richter und Staatsanwalt, bevor er Redakteur zur Süddeutschen Zeitung ging, wo er heute Leiter des Ressorts Innenpolitik ist. Ein grossartiges Buch. Ein Plädoyer für eine zivilisatorische und humanitäre Rechtsordnung. Eine nachdrückliche Aufforderung zur Durchsetzung und Erhaltung von Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Nur Recht sichert Freiheit. Unbedingt lesen.
Cezmi Dispinar
* erschienen in der Ausgabe 198 von 13. Juni 2008.
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