Die US-Wirtschaft markiert gerade nur zwei Jahre der Erholung von der schlimmsten Rezession seit der Grossen Depression. Aber nur wenige Amerikaner freuen sich, ja, die meisten glauben, dass die Wirtschaft immer noch in einer Rezession steckt. Kein Wunder. Obwohl das BIP sich auf das Vor-Rezession-Niveau erholt hat, hat sich die Beschäftigung nicht, schreibt Laura Tyson in einem lesenswerten Artikel („Only further stimulus can tackle America’s jobless, wage-less recovery“) in FT. 14 Mio. Amerikaner sind arbeitslos. Und mehr als 8 Mio. arbeiten in Teilzeit, weil sie keine Vollzeit-Beschäftigung finden können.
Mehr als 2 Mio. entmutigte Arbeitnehmer haben aufgehört, nach Arbeit zu suchen. Der Anteil der Bevölkerung, die arbeitet, ist in der Nähe eines 25-Jahres-Tiefs. Die USA stehen vor einer „Beschäftigungslücke“ (jobs gap) von rund 21 Mio. Jobs. Das ist die Anzahl der Arbeitsplätze, die geschaffen werden müssen, damit die Wirtschaft auf das Beschäftigungsniveau vor der Rezession zurückkommt und die 125‘000 Menschen, die jeden Monat in den Arbeitsmarkt einsteigen, aufnimmt. Mit dem derzeitigen Wachstumstempo dürfte es ein weiteres Jahrzehnt dauern, bis die „jobs gap“ geschlossen wird, erklärt die an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessorin.
Die Erholung ohne Jobs (jobless recovery) bedeutet eine Erholung ohne Löhne für die meisten Amerikaner. Unternehmensgewinne sind in die Höhe geschnellt, um mehr als 80% des Volkseinkommens seit dem Beginn der Erholung. Aber das durchschnittliche Einkommen (pro Woche) für die Herstellung und die Arbeitnehmer sind in derselben Zeitperiode um weniger als 1% gewachsen. Das reale Median-Einkommen der Haushalte betrug 2009 4% tiefer als das Vor-Rezession-Niveau, erläutert Tyson weiter.
Im Zuge der Rezession sind die Haushalte nun gezwungen, ihre Ausgaben zu kürzen und Ersparnisse zu erhöhen und die Schulden abzubauen. Der Prozess des Schuldenabbaus (deleveraging) hat gerade erst begonnen. Die Verschuldung der Haushalte hat sich auf 115% des verfügbaren Einkommens zurückgebildet, von 130% im Jahre 2007, wie Stephen Roach, Yale University berichtet. Aber der Durchschnittswert betrug 1975-2000 nur 75%. Es ist also ein noch langer Weg bis dorthin.
Es ist nicht verwunderlich, dass viele Amerikaner über die wirtschaftliche Zukunft pessimistisch sind. Auch ist es nicht verwunderlich, dass sie denken, dass die Beschaffung von Jobs die erste Priorität der Politik bilden sollte. Sie haben Recht. Leider hören viele Mitglieder des Kongresses nicht hin. Angetrieben von der Tea Party-Bewegung sind die Republikaner viel mehr an der Grösse des Staates interessiert als an der Grösse der Staatsschulden. Die Debatte in Washington fokussiert auf Defizitabbau als auf die Beschaffung von Arbeitsplätzen, unterstreicht die ehemalige Vorsitzende des Council of Economic Advisers des Präsidenten Clinton.
Es ist wahr, dass die USA einer deutlichen fiskalischen Herausforderung, die angegangen werden muss, gegenüberstehen. Aber es ist eine langfristige Herausforderung, was in erster Linie das Ergebnis der steigenden Kosten im Gesundheitswesen, der Alterung der Bevölkerung und unklugen fiskalpolitischen Entscheidungen vor der Rezession ist. Die kurzfristige Herausforderung ist die unzureichende Nachfrage: die Lücke zwischen den Waren und Dienstleistungen, die die Wirtschaft herstellen kann und der Nachfrage danach, verursacht hauptsächlich durch den Schuldenabbau (deleveraging) im Privatsektor, legt Tyson dar. Die langfristige Herausforderung ist fiskalische Kontraktion. Die kurzfristige Herausforderung ist fiskalische Unterstützung.
Aktuelle Anzeichen aus Washington zeigen, dass der falsche Weg genommen wird: Parteinahme und Politik fordern vorzeitige fiskalische Kontraktion, was die ohnehin anämische Erholung der Wirtschaft untergraben würde. Sofortige Einschnitte in staatlichen Ausgaben würde ferner die Wirtschaft laut Tyson zurück in die Rezession führen, was die Arbeitslosigkeit wieder in den zweistelligen Bereich schicken würde.
Was ist zu tun? Zusätzliche Konjunkturmassnahmen sollen die schleppende Wirtschaft ausgleichen, in Höhe von mehr als 2% des BIP, was in diesem und dem nächsten Jahr erfolgen soll, legt Tyson nahe. Auf der Ausgabenseite sollen Investitionen in Infrastruktur getätigt werden: Aufrechterhaltung und Erneuerung. Solche Investitionen beleben die Nachfrage, was Arbeitsplätze schafft und das Wachstumspotenzial der Wirtschaft erhöht, beschreibt Tyson.
Jede Investition in Höhe von 1 Mrd. $ in Infrastruktur schafft zwischen 11‘000 und 30‘000 Arbeitsplätze. Auf der Einnahmenseite sollte der Staat einige gezielte steuerliche Massnahmen ergreifen, einschliesslich Lohnsteuerkürzungen für Arbeitnehmer und Abzüge für die Investitionskosten. Darüber hinaus sollten Lohnsteuer für Arbeitgeber auf alle Neueinstellungen gekürzt werden. Diese Kürzung sollte mit der Arbeitslosenquote verbunden und aufrechterhalten werden, bis die Arbeitslosigkeit auf 5-6% fällt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen