Samstag, 28. September 2019

Die vereinfachte Erzählung von Schulden


Die Financial Times (FT) aus London hat neulich die folgende Abbildung geliefert. Das Narrative ist bekannt. 

Die Staatsverschuldung weltweit ist seit der GFC (2008) sprunghaft angestiegen und hat in Friedenszeiten ein noch nie da gewesenes Niveau erreicht.

Die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt haben sich im Durchschnitt mehr als 70% des BIP verschuldet, wie eine Analyse der Deutschen Bank zudem zeigt. 

Das sei der höchste Stand der letzten 150 Jahre, mit Ausnahme eines Anstiegs um den Zweiten Weltkrieg.

Im Mittelpunkt der Kritik steht im Allgemeinen, wenn es um solche Erzählungen geht, dass es die Zentralbanken sind, die mit expansiver Geldpolitik die Wirtschaft „künstlich“ unterstützen und die Preise für Vermögenswerte aufblasen lassen. Die Schulden steigen.


Die Staatsverschuldung weltweit ist seit der GFC (2008) sprunghaft angestiegen, Graph: FT, Sept 25, 2019 

Mittwoch, 25. September 2019

Draghi, MMT und Helicopter Money


In den vergangenen Tagen hat die fehlende fiskal-politische Unterstützung (fiscal stimulus) Mario Draghi zunehmend verärgert erscheinen lassen.

In seinen letzten Tagen als Chef der EZB hat er zuletzt europäischen Regierungen eine klare Botschaft übermittelt: Die Geldpolitik hat ihren Lauf genommen. Jetzt ist aber das Ende der Fahnenstange erreicht. 

Die makroökonomischen Lehrbücher legen zudem nahe, dass die (konventionelle) Geldpolitik an Zugkraft verliert, wenn die nominalen Zinsen an der Null-Grenze (zero lower bound) ankommen. Die Wirtschaft gerät dann in die Liquiditätsfalle. Die geldpolitischen Massnahmen greifen zu kurz, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzuregen. Es bedarf fiskal-politischer Erleichterung.

In diesem Zusammenhang sagte Draghi neulich, dass der EZB-Rat für Ideen wie Modern Monetary Theory (MMT) offen sein müsse, während er festhielt, dass es sich um eine von den Regierungen gelenkte Fiskalpolitik handeln müsste. 

EZB-Präsident hat dabei auf eine Frage des europäischen Gesetzgebers nach Helicopter Money geantwortet, auf der Suche nach besten Möglichkeiten, Gelder auf eine Weise in die Wirtschaft zu lenken, um die wachsende Ungleichheit zu bekämpfen.


Die Kosten der Fiscal Austerity; Länder, die mehr Fiscal Stimulus einsetzten, wuchsen schneller als Europa, Graph: Bloomberg, Sept 24, 2019 

Sonntag, 22. September 2019

Bankreserven und Stress im Overnight-Repo-Geschäft


Die US-Notenbank hat am Mittwoch die Zinsen weiter gelockert. Damit liegt das Zielband nun auf 1,75% bis 2%. Das ist nach der Zinssenkung Ende Juli die zweite Zinssenkung des geldpolitischen Ausschusses (FOMC) der Fed seit 2008.

Doch es kam fast gleichzeitig zu Komplikationen am Geldmarkt. Im Overnight-Repo-Geschäft schoss der Zinssatz durch die Decke. Es hiess, Barmittel wurden am Geldmarkt knapp. 

Im Handel, wo sich Banken für kurze Zeit (z.B. über Nacht) untereinander Geld leihen, gegen Hinterlegung von US-Treasury Bonds als Sicherheiten, und mit einer gleichzeitig abgeschlossenen Rückkaufsvereinbarung, ist der Zinssatz um das Mehrfache der von der Fed festgelegten Zinsen gestiegen, konkret: bis zu 10%.

Als Auslöser nennen die Händler den gestiegenen Liquiditätsbedarf zum Quartalsende v.a. wegen der ausstehenden Steuerrechnungen, die die Unternehmen begleichen müssen.

Die Fed hat im Verlauf der Woche mit Geldspritzen als „lender of last resort“ mehrmals intervenieren müssen. Wohlgemerkt: Das ist seit der GFC von 2008 der erste Eingriff in das Geschehen im Interbankenmarkt. Die Fed hat zum Beispiel am Dienstag 53,2 Mrd. USD und am Freitag 75 Mrd. USD als liquide Mittel zur Verfügung gestellt. 


Die Kosten der Kreditaufnahme auf dem overnight Repo-Geschäft, Graph: WSJ, Sept 19, 2019 
Die roten Balken: die Überschussreserven und die schwarzen Balken: die angeforderten Reserven

Sonntag, 15. September 2019

Eine moralische "Schuldenökonomie" und andere Absurditäten

The Financial Times (FT), die britische Wirtschaftszeitung aus London mokiert sich über die deutschen Mainstream Medien. Der FT Blog, FTAlphaville schreibt, dass es ein spezielles deutsches Wort für negative Zinsen gibt: „Strafzins“. 

Das Wort wird häufig für Zinssätze unter null verwendet, v.a. mit der Absicht, die EZB zu diffamieren, weil angeblich die deutschen Sparer dadurch enteignet werden.

André Kühnlenz erklärt in einem lesenswerten Beitrag bei Finanz und Wirtschaft und auf Twitter, warum solche Unterstellungen sinnlos und ungeschickt sind.

Die EZB hat am Donnerstag den Negativzins auf überschüssige Einlagen der Banken bei der EZB von -0,4% auf -0,5% gesenkt, aber gleichzeitig Freibeträge (wie in der Schweiz durch die SNB, genannt „tiering system“) beschlossen. Der durchschnittliche Zins auf Einlagen liegt damit unter dem Strich weniger weit im Minus. Das heisst, dass die Banken entlastet werden.

Die Société Générale berechnet, dass die Kosten für Einlagen der Banken insgesamt von 7,1 auf 5 Mrd. EUR sinken.


Negativzinsen auf überschüssige Geldmittel bei der Notenbank und wie die EZB die Banken entlastet, Graph: André Kühnlenz, Finanz und Wirtschaft, Sept 14, 2019

Not Working

David G. Blanchflower: Not Working – Where Have All the Good Jobs Gone? Princeton University Press, July 2019

Was die ganze Welt will, ist eine gute Arbeitsstelle. In diesem Buch geht es um Jobs, ordentliche Jobs, die sich auszahlen.

Die Arbeitslosenquote ist zwar derzeit rückläufig, aber es gibt keine Vollbeschäftigung.

Auffällig ist der Anstieg der unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigung. Das Phänomen heisst Unterbeschäftigung

Das dürftige Lohnwachstum ist ein wichtiges Zeichen dafür, wie weit die Wirtschaft sowohl in den USA als auch in Europa von einer vollständigen Erholung entfernt ist. Wichtig ist, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Unterbeschäftigung sich auf die Löhne auswirkt. 

David Blanchflower hat mit David Bell zusammen einen Unterbeschäftigungsindex (underemployment index) generiert. Eine erhebliche Nuance ist dabei, dass sie ihren Index in Stunden, nicht im Personenraum definieren.

Der Index liefert ein vollständigeres Bild der Überschuss-Nachfrage oder des Überschuss-Angebots auf dem Arbeitsmarkt als die Arbeitslosenquote. Und der Index kann auch Vorteile gegenüber der Arbeitslosenquote bieten, um die Produktionslücke zu justieren, beschreibt der Autor. 

Dienstag, 10. September 2019

Staat als “borrower of last resort” in einer Bilanzrezession


Donnerwetter! 

Siemens Chef kritisiert Merkels Mantra des ausgeglichenen Haushaltes (genannt „schwarze Null“).

Das berichtet Financial Times (FT) aus London am Montag: Joe Kaeser plädiert für Investitionen in Infrastruktur.

Der CEO des deutschen Technologiekonzerns sagt laut FT, dass die Regierung den historisch niedrigen Zinssatz nutzen sollte, um stark in Infrastruktur zu investieren. 

Es sei eine berechtigte Frage, warum der deutsche Staat nicht investiere, zu einer Zeit, in der man dafür bezahlt werde, mehr Kapital aufzunehmen.

Das ist monumental. 

Denn die EZB trifft sich am Donnerstag zusammen. Erwartet wird, dass die EZB das QE-Programm (Anleihekäufe am offenen Markt) wiederbelebt, den Zinssatz für Einlagen-Fazilitäten um 10 Basispunkte senkt und gleichzeitig ein (deposit tiering system) einführt, um die Folgen der Negativzinsen für Banken abzumildern.


Die Zentralbanken haben in diesem Jahr weltweit 32 Zinssenkungen durchgeführt, Graph: Bloomberg, Sept 05, 2019 

Sonntag, 8. September 2019

Should We Abolish Household Debts?


Buchbesprechung:

Johnna Montgomerie: Should We Abolish Household Debts? Polity Press, Cambridge, UK, July 2019.


Nach der globalen Finanzkrise (GFC) von 2008-2009 wurden die Kreditgeber (Banken) gerettet (bail-out). Die Kreditnehmer (private Haushalte) hingegen wurden ihrem Schicksal überlassen; sie waren die Leidtragenden. Es hiess, es gibt kein Geld für sie. 

Während die Staatsausgaben gekürzt wurden, fand für die Finanzinstitute eine direkte monetäre Finanzierung statt, genannt QE (quantitative easing). Den Banken („too big to fail“) wurde damit Liquidität zu Null-Zinsen zugestellt. 

Im gleichen Zug wurde die wohlfahrtsstaatliche Stütze abgebaut. Die einfachen Bürger wurden hemmungslos einer beispiellosen Fiscal Austerity ausgesetzt. Das Argument lautete, dass der Finanzsektor gerettet werden muss, weil sonst der Himmel einstürzen würde. 

Die unkonventionelle Geldpolitik begründete somit eine moralische Schuldenökonomie („moral economy of debt“), in der es für einige Rettungsaktionen („bail outs“) und für die anderen rigorose Sparmassnahmen (austerity) gab.  

Die fiskalische Austerität war dabei nichts anderes als eine Umverteilung des durch die GFC verursachten Schadens von denjenigen, die ihn verursacht haben, zu dem Rest der Gesellschaft, die im Grunde genommen heute noch leidet, wie die Autorin dieses neulich erschienenen, lesenswerten Buches bemerkt. 

Dienstag, 3. September 2019

Tiefzinsumfeld, Mangel an Bundesanleihen und Helikoptergeld


Es gibt kein Recht auf einen positiven Zinssatz, schreibt Christian Odendahl in einem lesenswerten Beitrag bei Capital

„Ein Zins entsteht am Markt, wenn Ersparniswünsche auf Investitionswillen treffen. Der Wunsch nach sicherer Ersparnis ist weltweit sehr hoch; der Investitionswille niedrig.“

Derzeit werden alle Bundesanleihen mit Negativ-Rendite gehandelt. 

Die Rendite der deutschen Staatspapiere mit 30 Jahren Laufzeit ist vergangene Woche zum ersten Mal in der Geschichte ins Minus gerutscht. Das ist ein historisches Ereignis. 

Die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen hat am Dienstag mit Minus 0,74% ein neues Tief markiert.

Eine Frage, die im Raum steht, ist, welche Investoren Anleihen kaufen, die einen Verlust garantieren, wenn sie sie bis zur Endfälligkeit halten?

Eine Antwort ist, dass Fondsmanager, die für Anleger eine positive Rendite anstreben, im Grunde genommen nicht viel von deutschen Staatsanleihen besitzen.

Eine aktuelle Analyse, die von FT aus London zitiert wird, zeigt, dass der gesamte Wert der ausstehenden Bundesanleihen seit 2014 aufgrund der Abneigung der deutschen Regierungen gegen Haushaltsdefizite zurückgegangen ist. 

Das Volumen der frei handelbaren Bundesanleihen am Markt ist jedoch viel stärker gesunken. Der Prognose der Analyse nach ist davon auszugehen, dass es bis 2024 unter 70 Mrd. EUR fallen wird, nachdem es ein Jahrzehnt zuvor bereits über 600 Mrd. EUR betragen hatte.


Die Nachfrage nach deutschen Bundespapiere schiesst durch die Decke, Graph: FT, Sept 02, 2019