Freitag, 30. Dezember 2016

Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik und andere faule Ausreden


Larry Kudlow, der eigensinnige TV-Moderator (CNBC) ist angeblich der designierte Chefökonom der sich gerade bildenden Trump-Administration. Der Anhänger der Trickle-down Theorie hat neulich gesagt, dass die Reichen nie stehlen würden. 

Trump und seine Regierung seien nicht nur nicht korrupt, sondern sie können auch nicht korrupt sein, weil sie wohlhabend sind, so seine Behauptung:

„Warum sollte sich Präsident sonst mit erfolgreichen Leuten umgeben? Reiche Leute brauchen nicht zu stehlen oder sich in Korruption zu engagieren.“

Jonathan Chait zitiert Kudlow, der keinen höheren Studium-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften vorweisen kann, in einem lesenswerten Artikel ausführlich und analysiert den Kern der Aussage weiter.

Die Behauptung, dass die Reichen unbestechlich sind, ist natürlich lächerlich, wenn man z.B. an die russischen Oligarchen denkt. 

Die Ironie der von Kudlow, dem künftigen Chefökonomen des Weissen Hauses gemachten Aussage ist, dass die gesamte Weltanschauung der Befürworter der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik darauf basiert, dass die Senkung der Steuern für die reichen Leute wie ein Wirtschaftswunder wirke, wegen der Anreize, wie Paul Krugman in seinem Blog kurz zusammenfasst.


CEO-Vergütung versus Arbeitnehmer-Entlohnung, Graph: Economic Policy Institute (EPI) 

Dienstag, 27. Dezember 2016

Warum Rückkehr zum Goldstandard eine schlechte Idee ist

Niemand weiss, was heute in der Weltwirtschaft geschieht. Die Erholung aus dem Zusammenbruch von 2008 geht unerwartet langsam vonstatten. Versinken wir in der „säkularen Stagnation“? So klagt Robert Skidelsky in seiner Kolumne („Economists versus the economy“) in Project Syndicate.

Die Wirksamkeit der unkonventionellen Massnahmen, die von den Notenbanken in den vergangenen Jahren getroffen wurden, werden nach und nach an verschiedenen Orten in Zweifel gezogen. Es gibt sogar Vorschläge, die unterbreitet werden, zum Goldstandard zurückzukehren, um die Preis- und Finanzstabilität zu gewährleisten.

Cecchetti & Schoenholtz erklären vor diesem Hintergrund im gemeinsam verwalteten Blog, warum der Goldstandard eine zutiefst schlechte Idee wäre.

Die Autoren erinnern an die vier grundlegenden Probleme, die Ben Bernanke, der ehemalige Fed-Präsident einst unterstrichen hat:

(1) Wenn die Zentralbank den USD-Preis des Goldes fixiert anstatt den Preis der Güter, die wir verbrauchen, ersetzen die Schwankungen im Dollar-Preis der Güter die Schwankungen im Marktpreis des Goldes.


Das amerikanische Wirtschaftswachstum zwischen 1880 und 2015, Graph: Cecchetti & Schoenholtz

Montag, 26. Dezember 2016

The Euro and The Battle of Ideas


Buchbesprechung

Markus K. Brunnermeier, Harold James and Jean-Pierre Landau, Princeton University Press, Princeton and Oxford, 2016.

Makroökonomen können sich heute nicht einmal auf die Bedeutung verschiedener Erklärungsansätze über die Hauptursache der globalen Rezession einigen. 

Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich kein leichtes Unternehmen, zu dritt (ein Deutscher, ein Brite und ein Franzose) ein Buch darüber zu schreiben, ob die EWU überleben kann oder nicht und worauf der Fehlschlag zurückzuführen ist. 

Die Autoren halten aber von Anfang an freimütig fest, dass es innerhalb Europas keine schlüssige Wirtschaftsphilosophie gibt, wie es insbesondere während der Krise deutlich zum Vorschein gekommen ist. 

Der Verlauf der Begebenheiten in der Eurozone werden insofern aufgrund von zwei unterschiedlichen Weltanschauungen, die aufeinanderprallen, durchleuchtet: Frankreich versus Deutschland.

Während die französische Philosophie alle Möglichkeiten einer flexiblen Handhabung der Krisenbekämpfung ins Zentrum stellt, bevorzugt das deutsche Weltbild eine auf Regeln basierende Philosophie.

Während der französische Ansatz darin besteht, den Fokus darauf zu legen, wie die gegenwärtige Krise bewältigt werden kann, läuft der deutsche Ansatz darauf hinaus, künftige Krisen zu vermeiden.

Während die deutsche Politik sagt, dass alle vor der eigenen Tür kehren sollen, hebt die französische Lebensanschauung „fraternity“ hervor.

Brunnermeier, James und Landau schildern die gespannten Verhältnisse (zwischen den „verschiedenen Möglichkeiten des ökonomischen Denkens“) ausführlich und deuten darauf hin, wie sich daraus allmählich eine zweifache Machtverschiebung ergeben hat:

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Schweizer Wirtschaft und Finanzpolitik im Tiefzinsumfeld

Die Schweiz hat 2015 Anleihen mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 20 Jahren mit einer Rendite von durchschnittliche knapp 0,3% emittiert, berichtet das schweizerische Finanzministerium in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht zum Thema „Tiefzinsumfeld und Frankestärke“.

Der Bund hat zudem im Juli 2016 erstmals eine Staatsanleihe mit 50 Jahren Laufzeit zu einem negativen Zinssatz begeben. Das heisst in Grund genommen, dass die Schweiz für die Schuldenaufnahme eine finanzielle Entschädigung erhält, anstatt die Gläubiger zu entschädigen.

Es besteht daher die Möglichkeit, langfristige staatliche Projekte zum Nulltarif in Angriff zu nehmen, während der Verlauf der Preise im November 2016 wie folgt aussieht:

Der Verbraucherpreisindex: -0,3%Y

Der Produzentenpreisindex: -0,5%Y

Der Importpreisindex: -0.8%Y

Der BIP Deflator (im 3Q 2016): -0,6%

Die Produktionslücke (output gap) im 3Q 2016: -1,4% (im 2Q: -1,2%)

BIP-Wachstum im 3Q2016: 0%


Schweizer Zinssätze, Graph: Das Schweizer Finanzdepartement im Bericht "Tiefzinsumfeld und Frankenstärke", Dez 21, 2016.

Dienstag, 20. Dezember 2016

Negativrenditen und kaum Inflation in Deutschland


Die Rendite der deutschen Staatspapiere mit 2 Jahren Laufzeit ist am Montag auf minus 0.82% gesunken, was einem neuen Tiefstwert entspricht. 

Der bisherige Verlauf zeigt die starke Nachfrage nach ultra-sicheren Wertpapieren, die die kurzfristige Kreditvergabe zwischen Banken und Hedge-Fonds untermauert, wie FT aus London mit der folgenden Abbildung beschreibt.

Bemerkenswert ist, dass das Rekordtief der Ankündigung von Mario Draghi folgt, wonach die EZB im nächsten Jahr beginnen wird, auch die Anleihen zu kaufen, die eine Rendite von weniger als minus 0,4% abwerfen. 

Bisher wollte die EZB Anleihen, die mit einer Rendite von unterhalb von minus 0,4% gehandelt werden, nicht kaufen. Minus 0,4% markiert nämich den offiziellen Einlagenzinssatz der EZB, der seit März 2016 gültig ist. Die EZB schafft damit eine eigene Restriktion ab, um den Kauf von Anleihen am offenen Markt im Rahmen ihrer QE-Politik (im Volumen von 80 Mrd. EUR pro Monat) erleichtert voranzubringen.

Wertpapiere mit zwei Jahren Laufzeit gehören zu den am meisten gehandelten Titeln am kurzen Ende des Anleihemarktes. Deutsche Bundesanleihen gelten als eine der sichersten verfügbaren Wertpapiere und werden v.a. als Sicherheit (collateral) in sog. Repo-Geschäften eingesetzt.


Die Rendite der 2-jährigen deutschen Staatspapiere, Graph: FT

Montag, 19. Dezember 2016

Kein Fiscal Stimulus im Euroraum 2017

Wie aus dem von der Europäischen Kommission im November vorgelegten Bericht hervorgeht, ist 2017 mit einem “neutralen Fiskalkurs” zu rechnen. 

Mit dem Ausdruck „fiskalischer Kurs“ wird die Ausrichtung der Finanzpolitik der EUR-Regierungen beschrieben, die durch diskretionäre Steuer- und Ausgaben-Entscheidungen geprägt wird.

Es gibt zwar in etlichen Ländern in Europa Spielraum für fiskalpolitische Massnahmen, aber der fiskalische Kurs scheint unwahrscheinlich expansiv zu werden, schreibt Morgan Stanley in einer am vergangenen Freitag präsentierten Analyse.

Bemerkenswert ist, wie in der zweiten Abbildung zu sehen ist, dass es keine Verknüpfung zwischen Haushaltsdefizit und Verschuldung gibt. 

Doch nach der Maxime des europäischen Fiskalpaktes müssen die Gürtel enger geschnallt werden, um eine eventuelle Krise in Zukunft zu vermeiden. Flexibilität in Sachen Krisenmanagement ist nicht gefragt, sondern nur eine regelgebundene Politik.


Structural Primary Balance im Euroraum: Der um die konjunkturellen Schwankungen bereinigte Haushaltssaldo (ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen), Graph: Morgan Stanley

Das heisst, was der Haushaltssaldo wäre, wenn die Zinszahlungen nicht berücksichtigt würden und die Wirtschaft Vollbeschäftigung hätte.

Samstag, 17. Dezember 2016

EZB-Tapering und Inflationserwartungen

Mario Draghi hat am 8. Dezember 2016 mitgeteilt, dass die EZB das Anleihe-Kaufprogramm um neun Monate bis mind. Dezember 2017 verlängern will. Das Volumen wird aber ab April von bisher 80 Mrd. EUR auf 60 Mrd. EUR pro Monat verkürzt. 

Mit diesem weisen, überraschend einfachen Entscheid will Draghi im Grunde genommen, Falken und Tauben beruhigen, damit keine hohen Schwankungen am Markt für europäische Anleihen entstehen. In Erinnerung ist das sog. Taper Tantrum in den USA im Jahr 2013: Ben Bernanke hatte das Ende eines beispiellosen Experimentes mit monetary stimulus angedeutet. Die Preise waren damals daraufhin heftig abgestürzt und die Renditen hatten kräftig zugelegt.

Mark Gilbert von Bloomberg TV nennt EZBs Vorgehen daher „smart“, aber insofern, wenn damit eine spürbare Erholung der Wirtschaft einhergeht. Das scheint aber nicht der Fall zu sein, wie die folgende Abbildung nahelegt.

Die Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen in Europa (3Q: 1,1%) unterscheidet sich erheblich von der in der US-Wirtschaft (3Q: 3,8%).


Die Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen im Vergleich: USA versus Euro-Raum, Graph: Mark Gilbert, Bloomberg TV

Freitag, 16. Dezember 2016

Was hat es mit Struktur Reform auf sich?

Die vorherrschende Wirtschaftstheorie hinterlässt seit den 1980er Jahren charakteristische Spuren in der europäischen Gesellschaft. Die Unfähigkeit der Wirtschaft, für Vollbeschäftigung zu sorgen und die willkürliche und ungerechte Verteilung von Wohlstand und Einkommen zeigen, wie zerstörerisch die neoliberale Agenda ist. 

Steuersenkungen (supply-side), Deregulierung und der Fokus auf einen ausgeglichenen Haushalt sind weitere Eckpfeiler der Wirtschaftspolitik, die seit dem Aufstieg der neoliberalen Doktrin zu Politikempfehlungen gehören.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass angebotsseitige Aktionen zumeist mit Mehr-Ungleichheit und Finanzinstabilität einhergehen, wie Stephanie Kelton im neulich erschienenen, lesenswerten Buch („Rethinking Capitalism“) hervorhebt. 

So ist es auch keine grosse Überraschung, dass das Thema „Struktur-Reform“ von den EU-Behörden ständig priesen wird.

Die europäischen Entscheidungsträger stützen sich oft auf den Standpunkt, dass es in guten Zeiten schwierig sei, Struktur-Reformen durchzudrücken. Die Politiker würden sonst das Problem aussitzen wollen. Deshalb betrachten sie es als angebracht, Strukturreformen dann umzusetzen, wenn es der Wirtschaft schlecht geht und wenn z.B. die Arbeitslosigkeit hoch ist.

Das schlechteste „strukturelle Reformprogramm“ ist dasjenige, welches die Arbeitnehmer von einem Arbeitsplatz mit geringerer Produktivität holt und in die Arbeitslosigkeit schickt, wo ihnen das soziale Bindungsnetz abhandenkommt, um jemals wieder eine neue Stelle zu finden, wie Brad Delong es in diesem Zusammenhang in seinem Blog darlegt.




Produktionslücke (output gap) im Euroraum, Graph: EZB, Peter Praet, Nov 9, 2016, Brussels

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Ein Konjunkturprogramm wie reactionary Keynesianism


Die Märkte haben sich seit der Wahl der US-Präsidentschaft gedreht. Die Staatsanleihen werden verkauft. Die Aktien werden gekauft. Anstatt sich gegen die Deflation zu wehren, suchen Investoren nach Abhilfe gegen ein steigendes Inflationsrisiko. 

An der Börse profitieren insbesondere zyklische Dividenden-Titel von der erhofften Erholung der Wirtschaft. Der Wandel hat sicherlich mit der bevorstehenden Trump-Präsidentschaft zu tun: Die Erwartung ist, dass die von der geldpolitisch-dominierte Ära der QE-policy nun nach fast acht Jahren zu Ende geht, die sich wahrscheinlich mit einer US-Präsidentin Hillary Clinton fortgesetzt hätte.

M.a.W. Was die Märkte vorwegzunehmen scheinen, ist die Trump-Agenda. Der designierte US-Präsident strebt eine expansive Fiskalpolitik an, um Investitionen in die Infrastruktur zu animieren. Darüber hinaus verspricht Trump Steuersenkungen für die Reiche und eröffnet Perspektiven der Deregulierung in vielen Sektoren der Wirtschaft. Ausserdem sollen die Cash-Bestände der US-Unternehmen im Ausland nach Amerika zurückgeholt werden (Repatriierung von Cash).

Kurzfristig ist aber nicht viel zu erwarten, bemerkt John Authers in FT. Die Aktien von einschlägigen Unternehmen sind bereits gestiegen. 

Infrastrukturprogramme müssten genau identifiziert und „start-bereit“ präsentiert werden, um private Investoren anzulocken. Das kann aber Jahre dauern. Die republikanische Seite (*) des US-Kongresses meldet zudem Einwände gegen die Finanzierung von Infrastrukturausgaben mit Schulden. Der Optimismus mag daher übertrieben sein. Ein Infrastruktur-Boom kann schliesslich nicht so einfach über die Bühne gebracht werden. Wenn überhaupt, lässt sich der Nutzen erst mehrere Jahre später realisieren, so das Fazit von Authers.


Mehr öffentliche Investitionen fördern ein schnelleres Produktionswachstum, Graph: EPI (Economic Policy Institute)

Dienstag, 13. Dezember 2016

Austerität als eine schreckliche Wirtschaftspolitik

Es sind die sog. „New Democrats“, die die Verantwortung für den Verlust um die Wahl für die US-Präsidentschaft tragen, schreibt Bill Black in einem lesenswerten Beitrag via Naked Capitalism.

Dazu gehören die Clintons und Al Gore, so der an der University of Missouri-Kansas City lehrende Rechtsprofessor. Aber auch Barack Obama zähle sich selbst zu den „New Democrats“. 

Was die „neuen Demokraten“ mit den alten Republikanern verbinde, ist die Hingabe an die Austerität und die Freihandel-Deals, die für die Arbeiterklasse schädlich sind, argumentiert der angesehene Experte der Wirtschaftskriminalität und ein ehemaliger Regulierer (S&L Krise).

Die Frage im Allgemeinen ist nicht, wer sich „nach rechts lehnt“. In der Tat zeige das Ergebnis der US-Präsidentschaft 2016 die strengen Grenzen der Nützlichkeit der Begriffe „Rechts“ und „Links“. Es geht um Jobs, nicht um Rechts oder Links.

Die Arbeiterklasse will Arbeitsplätze und Arbeitsplatzsicherheit, nicht nur Einkommen. Die Mehrzahl der Menschen will arbeiten. Die Arbeiterklasse Männer, die nicht in der Lage sind, eine Vollzeit-Arbeit zu finden, werden oft depressiv und unfähig zu heiraten. Wenn wir die Ehe fördern und die Qualität der Ehen verbessern wollen, sind Vollbeschäftigung und Arbeitsplatzsicherheit von vitaler Bedeutung, so Black weiter.


EZB-Prognose für das reale BIP (Wirtschaftswachstum im Euroraum), Graph: EZB in: ECB Staff macroeconomic projections for the euro area, Dec 2016

Montag, 12. Dezember 2016

Die Sorgen der SNB um die CHF-Stärke im neuen Jahr

Während die politischen Risiken auf beiden Seiten des Atlantiks zuzunehmen scheinen, rechnet die Mehrzahl der Ökonomen mit einem Anstieg der weltweiten Inflation im Jahr 2017.

SNBs Sorgen um die CHF-Stärke dürften sich vor diesem Hintergrund verändern, da die Schweizer Notenbanker nur dann in den Devisenmarkt eingreifen, um ein bestimmtes Niveau von EURCHF zu verteidigen, wenn die Volatilität am Aktienmarkt hoch ist, wie Morgan Stanley in einer am Wochenende vorgelegten Analyse unterstreicht.

Das Interventionsvolumen bleibt jedoch angesichts des anhaltenden Aufwertungsdrucks des CHF sehr hoch. Im November sind die Fremdwährungsreserven der SNB um 17,6 Mrd. CHF (der höchste Wert seit Januar 2015) auf 647,9 Mrd. CHF gestiegen. 

Zur Erinnerung: Die SNB hat im Januar 2015 den Mindestkurs von 1,20 CHF per EUR aufgehoben.


SNB-Interventionen am Devisenmarkt, Graph: Morgan Stanley

Sonntag, 11. Dezember 2016

Rethinking Capitalism


Buchbesprechung:

Michael Jacobs and Mariana Mazzucato: Rethinking Capitalism. Economic and Policy for Sustainable and Inclusive Growth, Wiley Blackwell, Malden and Oxford, 2016.

Das vorliegende Buch befasst sich im Wesentlichen mit der Frage, was die Probleme des modernen Kapitalismus sind und wie sie wirtschaftspolitisch angegangen werden können. Es geht darum, zu zeigen, wie die Zukunft der Wirtschaftspolitik aussehen soll und welche Rolle der Staat dabei spielt. 

Die neoklassische Theorie postuliert zwar, dass der Staat eingreift, wenn es zum Marktversagen kommt. Aber Mariana Mazzucato, die seit Jahren den Zusammenhang zwischen Innovation und Wachstum forscht, legt dar, dass ein aktiver Staat nicht nur die Fehlschläge im wirtschaftlichen Geschehen korrigiert, sondern darauf hinarbeitet, Märkte zu schaffen und zu gestalten, ganz im Sinne von Karl Polanyi.

Der Begriff, den die an der Sussex University lehrende Wirtschaftsprofessorin dazu prägt, lautet „Unternehmerstaat“ (entrepreneurial state).

Denn die öffentliche Hand kann nicht nur die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisieren, wenn die privaten Ausgaben zu knapp sind, sondern auch die „animal spirits“ des Privatsektors stimulieren.

Das ist die Botschaft, die die Autoren in den einzelnen Beiträgen vermitteln. Die separaten Artikel fügen sich makellos zu einem Ganzen zusammen, sodass sich das ganze Buch auch am Stück gut lesen lässt.

Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften leiden heute unter einer besonderen Krise, die seit 2008 anhält. Es fehlt an längerfristigen Investitionen. Die Nachfrage ist Mangelware. Die Herausforderungen betreffen in erster Linie die Aspekte der vorherrschenden Wirtschaftstheorie und die daraus hergeleiteten konjunkturpolitischen Rezepte, die bisher in die Praxis umgesetzt wurden, ohne aber die Preisstabilität gewährleisten zu können und für die Vollbeschäftigung zu sorgen. 

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Erwartungen und Laufzeitprämien am Anleihemarkt

Die Inflationserwartungen, die an 5y5y inflation swap rate gemessen werden, sind gestern auf 1,7030%, den höchsten Wert seit Dezember 2015, gestiegen. Aber der inflationsindexierte Termin-Swapsatz in 5 Jahren im Euroraum zeigt, dass die Märkte nicht daran glauben, dass die EZB-Zielinflationsrate von knapp 2% in 5 Jahren erreichen würde.

Der 5y5y Inflation Swap-Satz, der die Inflationserwartungen ab 5 Jahren misst, zeigt, wo die Inflation laut Finanzmärkten in 5 Jahren liegen wird.

Der aktuelle Anstieg ist erstens auf die Erwartungen (RE: rate expectations), die sich auf die kurzfristigen Zinsen, die die Zentralbanken festlegen, stützen, zurückzuführen. 

Dass die Fed sich seit geraumer Zeit anschickt, die Zinsen zu erhöhen, nährt Spekulationen darüber, ob die EZB am Donnerstag eine Verlängerung des Anleihekaufprogramms um 6 Monate ankündigen oder von jetzt an statt 80 Mrd. EUR nur noch 60 Mrd. EUR im Monat für den Kauf von Anleihen ausgeben würde.

Die zweite Komponente für den Anstieg der Renditen ist die Laufzeitprämie (TP: term premium), die in den vergangenen zwei Wochen weltweit an den globalen Anleihemärkten angestiegen ist.

Die Laufzeitprämie ist die Mehrrendite (excess yield) dafür, die Investoren fordern, um eine langfristige Anleihen zu kaufen (bzw. zu halten), anstatt eine kurzfristige Anleihe zu kaufen (bzw. zu halten).
  

Der 5-jährige inflationsindexierte Termin-Swapsatz in 5 Jahren im Euroraum, Graph: fastFT

Dienstag, 6. Dezember 2016

Italien zwischen Angebot und Nachfrage

Die italienische Wahlbevölkerung hat am Sonntag das Verfassungsreferendum mit 60 zu 40% abgelehnt. Die ersten Kommentatoren rechnen nach dem Ausgang der Volksabstimmung mit einem Anstieg der politischen und finanziellen Instabilität in Europa.

Fakt ist, dass Italiens Wirtschaft kaum noch wächst, was die Sanierung der Banken zusätzlich erschwert. Die Frage ist, warum?

Thomas Fricke liefert dazu in seiner Kolumne bei Spiegel eine sachliche Analyse.

Man kann Italienern nur nicht vorwerfen, dass sie deutsche Haushaltstugenden nicht befolgen, so Fricke. Italiens Staatsdefizit liegt dieses Jahr zum vierten Mal seit 2011 unter 3% des BIP. Italiener konsumieren heute 5% weniger als 2007. Kein Wunder, wenn die Löhne seit Jahren real fallen. Und italienische Exporteure senken ihre Preise seit Jahren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Kurzum, alles, was Berlin fordert (Exportüberschüsse, Lohnzurückhaltung und Haushaltsausgleich), erfüllt Rom. Wo liegt aber das Problem?

Italien investiert heute um ein Viertel weniger als 2008, betont Fricke mit dem Hinweis auf die OECD-Daten. Verbraucher geben kein Geld aus. Und die Unternehmen sehen keinen Grund, zu investieren. Das ist die Kehrseite der von Brüssel und Berlin diktierten Reformen auf der Angebotsseite.

Das heisst im Grunde genommen, dass, während Massnahmen auf der Nachfrageseite (Fiskal-Politik) im gesamten Euroraum untersagt sind, auch die Massnahmen auf der Angebotsseite (Strukturreformen) für die Erholung der Wirtschaft nichts taugen.


Keine Fiskalpolitik: Gürter-enger-schnallen in der Eurozone geht auch 2017 weiter, Graph: fastFT

Montag, 5. Dezember 2016

Eine flache Phillips Kurve


Janet Yellen hat in der Anhörung am 17. November vor dem Joint Economic Committee des US-Kongresses gesagt, dass die Märkte davon ausgehen, dass der US-Kongress letztlich ein Konjunkturpaket (fiscal package) verabschieden werde. 

Der Ausgangspunkt ist die von Donald Trump, dem designierten US-Präsidenten in Aussicht gestellten Investitionen in die Infrastruktur und die Steuersenkungen. 

Die Indikatoren zeigen nun einen Anstieg der Inflationserwartungen. Bemerkenswert ist aber, dass die Kerninflation, die auf die Anregung der Binnennachfrage und den Lohndruck scheinbar empfindlicher reagiert als die allgemeine Inflation zeigt, wie flach die Phillips Kurve inzwischen geworden ist, während die Arbeitslosenquote seit Mitte 2015 stetig sinkt und die Löhne moderat angestiegen sind.

Wie die folgende aufschlussreiche Abbildung von Morgan Stanley nahelegt, scheint aber die Inflation weniger empfänglich auf die Veränderungen der wirtschaftlichen Flaute. Denn die Phillips Kurve verläuft ganz flach, d.h. horizontal, nicht vertikal.

Das bedeutet, dass erstens eine expansive Wirtschaftspolitik in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft nicht inflationär ist und zweitens lockere Geldpolitik an Zugkraft verliert und daher eine expansive Fiskalpolitik benötigt wird, v.a. wenn die nominalen Zinsen nahe Null liegen (zero lower bound).


Der Zusammenhang zwischen der Kerninflation (gemessen an core PCE) und der Arbeitslosenquote, Graph: Morgan Stanley

Sonntag, 4. Dezember 2016

Wie Haushaltsdefizite die Welt retten

Eine Tatsache, die seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise von 2008 (Great Recession) gefliessentlich übersehen wird, ist, dass es die automatischen Stabilisatoren waren, die einen stärkeren Rückgang der Produktion (output) und das BIP in den fortentwickelten Volkswirtschaften verhindert hatten.

Die politischen Entscheidungsträger haben sich aber mit dem darauffolgenden Anstieg des Haushaltsdefizites sofort an die alte Glaubenslehre von ausgeglichenem Etat (balanced budget) d.h. der Haushaltskonsolidierung (fiscal consolidation) oder wie es in Europa vorgekommen ist, der Austerität (fiscal austerity) oder auch genannt Schuldenbremse („debt brake“) gewandt, ohne auf erste Anzeichen der konjunkturellen Erholung zu warten.

Es gibt heute keinen Zweifel daran, dass diese Strategie kläglich gescheitert ist. Die Eurozone hat acht Jahre danach nicht einmal das Produktionsniveau von 2008 erreichen können. Die Frage ist, welche Rolle der Haushaltsplan in einer modernen Volkswirtschaft spielt?

Das ist auch das Thema, das Stephanie Kelton im kürzlich erschienenen lesenswerten Buch „Rethinking Capitalism“, aufgreift und gestützt auf den „sectoral financial balances“-Ansatz, d.h. die Finanzierungssalden der Sektoren (private Haushalte, Unternehmen und Staat) analytisch erläutert.

Die unmittelbare Erkenntnis ist, die Wirtschaft als Gesamtes zu betrachten: Einkommen = Ausgaben. Und das ist nichts anderes als eine buchhalterische Gleichung.

Wenn wir uns die einzelnen Sektoren ansehen, private Haushalte, Unternehmen, öffentliche Hand und das Ausland, dann muss sich das Defizit im Finanzierungssaldo des einen Sektors durch den Überschuss im Finanzierungssaldo des anderen Sektors ausgleichen lassen, sodass auf gesamtwirtschaftlicher Ebene Einkommen = Ausgaben ist.


Mariana Mazzucato and Michael Jacobs: Rethinking Capitalism, Graph: Wiley Blackwell

Freitag, 2. Dezember 2016

The Curse of Cash

Buchbesprechung:

Kenneth S. Rogoff: The Curse of Cash, Princeton University Press, Princeton and Oxford, 2016.


Kenneth Rogoff will das Bargeld nach und nach abschaffen, angefangen mit grossen Banknoten. Sein Buch ist in drei Teilen aufgebaut. Im ersten Abschnitt beschreibt er kurz und bündig die Geschichte des Geldes, wobei mit „cash“ auch andere Ausdrücke wie „paper money“ und paper currency“ im gleichen Sinne verwendet werden. 

Das Papiergeld war beispielsweise bereits im 10. Jahrhundert in China erfunden. Es gelingt dem Autor, dem Leser mit Vergnügen darzulegen, was z.B. der mongolische Herrscher Kublai Kahn (1215-1294), ein Enkel von Dschingis Khan und zeitgenössische Professoren Willem Buiter und Miles Kimball in Sachen currency models gemeinsam haben.

Rogoff erörtert ferner die Stellung des Bargeldes in der Schattenwirtschaft (underground economy) und erklärt, was Seigniorage (*) aus Sicht der öffentlichen Hand bedeutet. 

Im zweiten Abschnitt packt der an der Harvard University lehrende Wirtschaftsprofessor das gegenwärtig viel diskutierte Thema „Negativ-Zinsen“ an, und zwar vor dem Hintergrund der meist bekannten Friktion „Nullzins-Grenze“ (zero lower bound), die im Grunde genommen wie das Damoklesschwert über dem ganzen Buch schwebt.

Im dritten Abschnitt geht es um internationale Dimension seines Vorschlags der sukzessiven Bargeldabschaffung und die Position von digitalen Währungen in modernen Volkswirtschaften. Rogoff fordert eine strenge Regulierung für Kryptowährungen und Bitcoin, die als Alternative zu Bargeld nicht gefördert werden sollen.

Warum will aber Rogoff Cash abschaffen? Im Vordergrund stehen im Wesentlichen drei Gründe: Steuerhinterziehung (Steuerumgehung), Kriminalität (z.B. Geldwäscherei, organisiertes Verbrechen) und Korruption (z.B. Schwarzarbeit). 

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Warum die Verschuldung im Euroraum steigen muss

David Andolfatto hat am Dienstag in seinem Blog einen lesenswerten Beitrag über Japans wirtschaftliches Dilemma geschrieben.

Der Vize-Präsident der Fed St. Louis und Research-Direktor erinnert daran, dass die japanische Regierung und die japanische Notenbank (BoJ) am 22. Januar 2013 vereinbart hatten, gemeinsam die Deflation zu überwinden und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erreichen. Es wurde betont, dass die geldpolitischen Entscheidungsträger und die Fiskalbehörden das gemeinsame Ziel in Zusammenarbeit anpacken würden, um die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die neue definierte Inflationssteuerung (inflation targeting) zu verbessern.

Am 4. April 2013 hat die BoJ angekündigt, mit QQE (quantitative and qualitative easing) die Zielinflationsrate anzupeilen. QQE ist nichts anders als eine Schöpfung von Bankreserven, um damit am offenen Markt v.a. japanische Staatsanleihen (JGB) zu kaufen.

Den weiteren Verlauf sieht Andolfatto wie folgt: Während die BoJ in der Tat bereit zu sein scheint, Inflation ansteigen zu lassen, ist sie weitgehend unfähig, das Ziel zu erreichen. Die Regierung hingegen ist zwar in der Lage, Inflation zu erhöhen. Aber sie scheint unwillig dazu. Kurzum: Die notwendige Koordinierung der Politik ist irgendwie nicht vorhanden.

Damit die Inflationsrate steigt, muss laut Andolfatto eines von zwei Dingen passieren: (1) Die Wachstumsrate des Angebots an Staatsanleihen muss steigen oder (2) Die Wachstumsrate der Nachfrage nach Staatsanleihen muss fallen.

Die anhaltend gedämpfte Stimmung in Japan führt aber dazu, dass die Nachfrage nach Staatsanleihen (JGB) nicht abreisst. Im Ergebnis steigen die Preise der Obligationen, während die Renditen fallen, was einen deflationären Druck auslöst. Die extrem niedrigen Renditen der JGBs und die Niedriginflation legen nahe, dass die Nachfrage nach Staatspapieren sogar noch schneller steigt als angenommen.


Notenbankgeldmenge und Kern-Inflationsrate in Japan, Graph: David Andolfatto

Mittwoch, 30. November 2016

Prozyklische Revision fiskalpolitischer Multiplikatoren


Die OECD hat am Montag ihren Wirtschaftsausblick November 2016 (Global Economic Outlook) veröffentlicht. 

Was sofort ins Auge sticht, ist die Prognose, dass die amerikanische Wirtschaftsleistung (BIP) im Jahr 2018 um 3% zulegen werde.  Die Begründung: Die Impulse durch Donald Trumps Wirtschaftsprogramm, welches ja nicht unumstritten ist. Der designierte US-Präsident hatte im Wahlkampf Investitionen in die Infrastruktur und Steuersenkungen für die Unternehmen und die Reichen versprochen.

Das ist verwirrend, da die OECD ihre Schätzungen in Sachen fiskalpolitische Multiplikatoren (insbesondere, was die Steuersenkungen betrifft) zur falschen Zeit im Konjunkturzyklus höherstuft, während die US-Wirtschaft sich in Richtung Vollbeschäftigung bewegt.

Antonio Fatas nennt es in seinem Blog eine "prozyklische Revision fiskalpolitischer Multiplikatoren": In der Mitte einer Krise Haushaltskonsolidierung fördern und in guten Zeiten eine expansive Fiskalpolitik fordern. Das ist sicherlich nicht, wie eine optimale Fiskalpolitik aussieht.

Im 2011, als die meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften eine kontraktive Fiskalpolitik betrieben, während die Wirtschaftswachstumsrate niedriger lag und die Arbeitslosigkeit höher verlief, schien die OECD eine Haushaltskonsolidierung notwendig zu finden.


Das reale Wirtschaftswachstum weltweit, Graph: OECD

Dienstag, 29. November 2016

Europas deflationäre Stagnation


Das ist eine Abbildung, die einen irgendwie traurig stimmt. Der schmerzhafte Schuldenabbau-Prozess (deleveraging) im Banken-System hält noch an, fast acht Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise (GFC).

Wenn man dazu die von den EU-Behörden vertriebene Defizit-Hysterie, die von Mainstream-Medien zum Teil mitgetragen wird, mit berücksichtigt, kann man sich besser vorstellen, warum die Erholung der europäischen Wirtschaft nicht vom Fleck kommt.

Der Privatsektor spart. Das öffentliche Defizit ist entstanden, weil fehlgeleitete Finanzinstitute im Privatsektor gerettet wurden (bail-out): Die privaten Schulden wurden auf die Bücher des öffentlichen Sektors übertragen.

Ein öffentliches Defizit ist aber im Allgemeinen das Spiegelbild der Ersparnisse des Privatsektors. Wenn der private Sektor sich zurückzieht, um seine Bilanz zu bereinigen, bewegt sich die Bilanz des öffentlichen Sektors in Richtung Defizit. 

Das ist keine Lehre aus der Makroökonomie, sondern eine buchhalterische Identität. Denn das Defizit des einen Sektors entspricht dem Überschuss des anderen Sektors. Wenn wir Sektoren mit Defizit mit Sektoren mit Überschuss zusammenlegen, dann ergibt sich ein Null

Das heisst, dass die Finanzierungssalden [die Bilanz des privaten Sektors (Inland) + die Bilanz des öffentlichen Sektors (Inland) + Ausland] gleich Null ergeben müssen.



Der anhaltende Schuldenabbau-Prozess im europäischen Privatsektor (Banken), Graph: Morgan Stanley

Samstag, 26. November 2016

EZB und Fiscal QE


Heute können wir, ohne um den heissen Brei herumzureden, festhalten, dass QE (quantitative easing) im Grunde genommen Geldschöpfung ist. Und es ist bemerkenswert, dass sie die Märkte nicht zu beunruhigen scheint. Das ist sicherlich zum Teil darauf zurückzuführen, dass die nominalen Zinsen nahe Null (zero lower bound) liegen und gesamtwirtschaftlich die Nachfrageschwäche anhält. 

Es ist daher schwer, zu sagen, wann die Märkte angesichts der Möglichkeit, dass eine Monetarisierung in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann, in Panik geraten würden. Aber die Märkte sind zumindest gegenwärtig, was die Gefahr von Monetarisierung von heute betrifft, ziemlich unbekümmert. (*)

Wenn die EZB im Rahmen ihrer QE-Politik langlaufende Staatsanleihen am offenen Markt kauft, verkürzt sie damit die Laufzeit der ausstehenden Staatsanleihen. Im Gegenzug schreibt sie den Geschäftsbanken den entsprechenden Betrag auf deren Konten bei der EZB gut, und zwar elektronisch.

Durch die Verringerung des Angebots an langlaufenden Staatsanleihen versucht die EZB, die Zinsen am langen Ende zu senken, weil z.B. die Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften um das verringerte Angebot an langlaufenden Anleihen wetteifern würden.

Im Gegenzug würde das ausstehende Angebot an kurzlaufenden Staatspapieren steigen und damit den Privatsektor anregen, um sich an das höhere Angebot zu wenden, sodass am Schluss die kurzfristigen Zinsen steigen. Im Endeffekt soll also die gesamtwirtschaftliche Nachfrage animiert werden.


Kenneth Rogoff: The Curse of Cash, Graph: Princeton University Press, 2016

Freitag, 25. November 2016

Warum die SNB am Negativzins weiterhin festhält

Das operative Konzept der Geldpolitik der SNB beinhaltet seit geraumer Zeit zwei Instrumente, die auch eingesetzt werden: (1) Negativzinsen und (2) Interventionen am Devisenmarkt.

Die unkonventionellen Massnahmen dienen dazu, für angemessene monetäre Bedingungen zu sorgen, wie die SNB bei jeder Gelegenheit betont.

Die SNB verfolgt mit dem Negativzins in erster Linie den Zweck, die traditionelle Zinsdifferenz zum Ausland zu erhalten, um Anlagen in CHF weniger attraktiv zu machen, wie Andréa Maechler, Mitglied des SNB-Direktoriums in einem Referat vergangene Woche in Zürich unterstrichen hat.

Dass die „klassische Zinsdifferenz“ aus Sicht der Schweizer Geldmarktes im Fokus der SNB liegt, wurde von Fritz Zurbrügg, dem SNB-Vizepräsident in einem Referat am Donnerstag in Bern erneut hervorgehoben.

Die SNB bemüht sich m.a.W. darum, die „traditionelle“ Zinsdifferenz zum Ausland nicht kleiner werden zu lassen, da sonst die Gefahr wächst, dass CHF-Anlagen relativ attraktiv werden. 


Die Zinsdifferenz zwischen dem CHF und dem EUR, Graph: Fritz Zurbrügg SNB, in: „Negativzins: Geldpolitisch notwendig“, Nov 24, 2016

Dienstag, 22. November 2016

Hysterese, Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit


Es gibt heute empirisch gesehen keinen Zweifel daran, dass die Austerität das Wirtschaftswachstum im Euroraum zum Erliegen gebracht hat.

Worauf es in einem schwer angeschlagenen Umfeld der Wirtschaft ankommt, ist, die Gefahr einer Abwärtsspirale zu verhindern. Deswegen ist das Haushaltsdefizit nicht entscheidend, zumal die Ersparnisse des privaten Sektors heute das öffentliche Defizit in Europa überwiegen. Das heisst, dass Spielraum vorhanden ist und wenn die öffentliche Hand die Ersparnisse nicht aufnimmt, um zu investieren, die Wirtschaft zusammenbrechen kann.

Fakt ist, dass die europäische Wirtschaft immer noch das Vorkrisenniveau anpeilt, obwohl seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise fast acht Jahre vergangen sind. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Euroraum einem Hysterese-Effekt gegenübersteht. Gemeint ist damit eine Situation, die nach einer langen Zeit des niedrigen Wachstums und der hohen Arbeitslosigkeit zu einem dauerhaften Schaden für die gesamte Wirtschaft führen kann. 

Ein augenfälliges Anzeichen ist die fallende Erwerbsbeteiligung und die Unterbeschäftigung. In der Schweiz beispielsweise verlieren jeden Monat rund 3'500 Personen ihr Recht auf die Arbeitslosenentschädigung. Das heisst, dass sie „ausgesteuert“ werden. Und die Anzahl von Personen, die von Kurzarbeit betroffen werden, nimmt gleichzeitig zu.

In diesem Zusammenhang schreibt Roger E.A. Farmer in einem lesenswerten Eintrag im Blog NIESR, dass die britische Staatsverschuldung zwar 1'700 Mrd. GBP (britisches Pfund) beträgt und mit einer Rate von 5'170 GBP pro Sekunde wächst, aber keine Bedrohung für die Solvenz des britischen Schatzamtes darstellt.

Die Staatsverschuldung sollte nicht in Pfund gemessen werden, sondern in BIP, erklärt Farmer. Wenn das BIP hoch ist, so sind die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand. Und damit steigt auch die Zahlungsfähigkeit des Staates, Rechnungen zu begleichen und Staatsanleihen zu bedienen.

Die britische Regierung will zwar den Staatshaushalt bis zum Jahr 2020 ins Plus bringen. Ein Überschuss im öffentlichen Budget ist aber weder notwendig noch ausreichend, um die Staatsschulden zu senken, wenn die Verschuldung als Bruchteil der Rückzahlungsfähigkeit des Staates gemessen wird, erklärt der an der UCLA lehrende Wirtschaftsprofessor weiter.


Staatsschulden, Haushaltsdefizit und Zinsen im Verhältnis zum BIP, Graph: Prof. Roger E.A. Farmer

Montag, 21. November 2016

Wann ist im Euroraum ein Haushaltsdefizit zu hoch?


Jens Weidmann hat am Freitag beim Bankenkongress in Frankfurt davor gewarnt, dass Brüssel darauf verzichte, die Wirtschaftsregeln der Eurozone anzuwenden, wie FT berichtet.

Nötig seien Strukturreformen, die der EZB-Rat auch unablässig angemahnt habe. 

Der Präsident der deutschen Bundesbank hat damit die Europäische Kommission direkt angegriffen:

„Unglücklicherweise sind die Marktkräfte die einzigen Anreize für solide Staatsfinanzen, da die EU-Kommission praktisch aufgegeben hat, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts durchzusetzen“, so Weidmann weiter. 

Am Mittwoch hat die EU-Kommission einzelne EUR-Staaten vor einer zu sorglosen Fiskalpolitik gewarnt, aber davon abgesehen, das EU-Defizitverfahren gegen Spanien und Portugal einzuleiten. Noch im Sommer hatte Brüssel empfohlen, die „wegen mangelhafter Haushaltsdisziplin“ drohende Geldbusse gegen beide Länder zu erlassen.



Der private Sektor und die Unternehmen im Euroraum sind Netto-Sparer, Graph: Morgan Stanley

Sonntag, 20. November 2016

Wer wird mit Infrastrukturinvestitionen verschaukelt?

Donald Trump, der designierte US-Präsident will die Steuern für die Superreichen senken, die Ausgaben für das Militär erhöhen und eine Billion USD in die Infrastruktur stecken.

Paul Krugman befasst sich in seinem Blog in NYTimes mit der Frage, was von den geplanten Infrastrukturausgaben zu halten ist.

Vorerst kommt eine Warnung: Wenn Sie etwas mit diesem Kerl investieren wollen, sei es Geld oder Ruf, dann sind Sie einer grossen Betrugsgefahr ausgesetzt, so der am Graduierten Zentrum der City University von New York (CUNY) forschende Wirtschaftsprofessor.

Entscheidend ist, festzuhalten, dass es sich dabei nicht um einen Plan für die Aufnahme von 1'000 Mrd. USD ($1 Trillion) handelt, die für die dringend benötigten Projekte ausgegeben würden, was im Grunde genommen die direkte, offensichtliche Sache wäre, zu tun.

Nein. Das Vorhaben beinhaltet stattdessen private Investoren, die das Heft in die Hand nehmen und die Projekte in die Tat setzen sollen, und zwar mit Hilfe einer riesigen Steuergutschrift, die ihnen 82% des Eigenkapitals, das sie in die Projekte stecken, zurückgibt.

Vor diesem Hintergrund stellen sich einige Fragen. Erstens: Warum werden private Investoren überhaupt involviert? 


Die Direkt-Investitionen der US-Unternehmen im Ausland, Graph: Morgan Stanley

Der akkumulierte Gewinn der US-Unternehmen im Ausland beläuft sich schätzungsweise auf 2'500 Mrd. USD. Davon werden wiederum rund 1 Mrd. USD in bar und anderen Finanzanlagen gehalten. Der Rest ist in Betrieben investiert und werden daher wahrscheinlich nicht repatriiert werden. 

Freitag, 18. November 2016

Lohnwachstum, Beschäftigung und Preisstabilität im Euroraum


Die EZB hat gestern die Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung („accounts“) des Rates der EZB veröffentlicht. 

In einem kurzen Abschnitt ist zu lesen, dass die EZB auch über die Entwicklung der Löhne im Euroraum diskutiert hat. Mehrere Teilnehmer hätten auf die relativ gedämpfte Lohndynamik hingewiesen.

Das historisch niedrige Lohnwachstum sei im zweiten Quartal 2016 auf 1,1% gesunken (*). 

Die Schattenseite der „schwachen Lohndynamik“ ist m.a.W. nicht zu übersehen. Das niedrige Lohnwachstum führen die Teilnehmer der EZB-Sitzung allerdings auf einige länderspezifischen Faktoren, wie die schwache Wettbewerbsfähigkeit und das geringe Produktivitätswachstum.

Der Erklärungsversuch ist aber bei allem Respekt ziemlich pathetisch. Denn das gedrückte Lohnwachstum ist eine unmittelbare Folge der Wirtschaftspolitik, die die EU-Behörden vorantreiben: „internal devaluation“.

Fallen die Löhne, steigt die Arbeitslosigkeit. Wenn sich die Einkommensaussichten verschlechtern, halten sich private Haushalte mit dem Konsum zurück.

Genau wie Mark Thoma in einem lesenswerten Artikel in CBS money watch unterstreicht: wenn die Verbraucher über ihre Arbeitsplätze besorgt sind, und viele Menschen arbeitslos sind, wie können wir erwarten, dass sie dazu übergehen, auf Kredit dauerhafte Güter zu kaufen?


Rückgang des Lohnwachstums im Euroraum, Graph: Morgan Stanley

Donnerstag, 17. November 2016

Der fiskalische Kurs des Euroraums ins leere Nichts

Die Europäische Kommission hat am Mittwoch mit einem Bericht an den Europäische Parlament mitgeteilt, dass „gerade jetzt sowohl die Notwendigkeit besteht als auch die Gelegenheit, an der Fiskalfront aktiv zu werden und den Policy-Mix des Euroraums insgesamt neu auszutarieren“.

Die Verfasser des Berichts unterstreichen, dass die makroökonomische Wirkung der Fiskalpolitik angesichts der besonderen Umstände („zero lower bound“ = Nullzinsgrenze) stärker sein dürfte als in normalen Zeiten.

Es ist eine Überraschung zu beobachten, wie die Europäische Kommission den Multiplikatoreffekt (die Wirkung fiskalpolitischer Massnahmen auf die Realwirtschaft und auch auf die Volkswirtschaften anderer Länder, „spillover-effect“) hervorhebt.

Und es ist auch richtig, wie die Europäische Kommission einsieht, dass private Investitionen im Niedrigzinsumfeld nicht verdrängt würden (keincrowding-out“), weil, wie in diesem Blog vielfach betont, die Produktionslücke (output gap) geöffnet bleibt, die Inflation keine Gefahr darstellt, und die hohe Arbeitslosigkeit anhält.


Fiskalischer Kurs des Euroraums, Graph: European Commission in: 2017 Communication on Fiscal Stance

Mittwoch, 16. November 2016

Infrastrukturinvestitionen dort - Hysterese Effekt hier

Das Blatt hat sich an den Finanzmärkten schnell gewendet. Die sich anfänglich abzeichnende Aufregung wegen der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA hat sich kurzerhand gelegt. Der Auslöser war sicherlich der vom designierten US-Präsidenten mit Nachdruck hervorgehoben Fiscal Stimulus in Form von Infrastrukturinvestitionen in Höhe von rund 1’000 Mrd. USD.

Allein das Versprechen, die Staatsausgaben zu erhöhen, um in den Ausbau und Modernisierung der Infrastruktur zu investieren, hat Inflationserwartungen steigen lassen. Die Renditen sind v.a. am langen Ende der Ertragskurve stark angestiegen.

Auch die Laufzeitprämien (term-premium), die in den vergangenen Jahren auffallend negativ waren, wieder in den positiven Bereich zurückgekehrt.

In der Eurozone hingegen halten die politischen Entscheidungsträger immer noch am Einsatz der Geldpolitik fest und machen keine Anstalten, Fiskalpolitik zu Hilfe zu holen. 

Inzwischen werden aber immer mehr Stimmen aus der EZB laut, die fordern, dass auch die Fiskalpolitik sich daran beteiligen soll, die Wirtschaft anzukurbeln wie z.B. Vítor Constâncio. Der EZB Vize-Präsident hat am Dienstag die Notwendigkeit unterstrichen, mit dem Einsatz der Fiskalpolitik der „niedrigen Wachstumsfalle“ entgegenzuwirken.



Wachstumserwartungen im Euro-Raum, Graph: Peter Praet, ECB in: „Long-run saving and monetary policy“, Nov 14, 2016

Dienstag, 15. November 2016

Steigende Refinanzierungskosten, Strafzölle und geopolitische Folgen

Eine aktuelle Frage, die in diesen Tagen in der amerikanischen Blogosphäre unter Ökonomen heiss diskutiert wird, ist, ob Trumps Wirtschaftsprogramm eine Expansion oder eine Rezession in den USA auslösen wird? 

Es ist schwer, jetzt schon zu sagen, was geschieht, v.a. bevor die Parameter genau bekannt sind. Es kommt ausserdem auf das Gleichgewicht zwischen den makroökonomischen und handelspolitischen Massnahmen an.

Olivier Blanchard bemerkt vor diesem Hintergrund in einem Eintrag im PIIE-Blog, dass der USD aufwerten würde, in dem Ausmass, wie die Wirtschaft wächst und die Zinsen steigen. Dies würde allerdings ironischerweise zu einem Anstieg des US-Handelsdefizits führen, was ja Trump unterbinden will, wie der designierte US-Präsident im Vorfeld der Wahl mehrmals zum Ausdruck gebracht hat.

Eine Erhöhung der Zölle in einem grösseren Massstab würde das Wachstum beinträchtigen und eine Rezession ermöglichen, sagt Blanchard. 

Handelsbeschränkungen selbst können zwar die Einfuhren reduzieren, die Nachfrage nach inländischen Waren erhöhen und die Produktion steigern, aber die „selbst“ Annahme ist einfach nicht richtig, beschreibt der ehemalige (2008-2015) Chefökonom des IWF.

Straffzölle würde wahrscheinlich einen „Zollkrieg“ (Protektionismus) auslösen und dadurch die Ausfuhren verringern. Und der Rückgang der Einfuhren und Ausfuhren wäre kein Schlag ins Wasser.


Anstieg der Rendite der US-Staatsanleihen mit 30 Jahren Laufzeit, Graph: Bloomberg