Dienstag, 27. Juni 2023

Staat Macht Geld

Buchbesprechung

Monika Stemmer: Staat Macht Geld, Westend Verlag, April 2023, Frankfurt am Main.


In der Corona-Krise hat die Europäische Kommission beschlossen, ein 750 Mrd. Euro schwere Paket zur Verfügung zu stellen, um die Wirtschaft in den Mitgliedsstaaten zu retten. Die Geldschöpfung fand in der Bilanz statt. Das heisst, dass die EU die Schulden übernommen hat: «deficit spending».

Doch der Begriff «Defizitausgaben» ist eigentlich nicht korrekt. Alle Staatsausgaben sehen gleich aus und werden in Form von Krediten per Tastenanschlag («keystroke») am Computer getätigt. Das Defizit existiert nur im Nachhinein.

Denn auf der aggregierten Ebene führt ein öffentliches Defizit zu einem nicht-staatlichen Überschuss (und ist identisch mit diesem). Und ein staatlicher Überschuss erzeugt ein nicht-staatliches Defizit. Das heisst: Die Verbindlichkeiten des Staates sind die Vermögen des privaten Sektors.

Die EZB hat das nötige Geld per Tastendruck geschaffen und via Banken zur EU-Kommission gesendet. Die Kommission hat es dann an die Regierungen der Mitgliedsstaaten weitergeleitet, zum Teil als nicht rückzahlbare Hilfe, zum Teil als Kredit zu günstigen Konditionen.

Wie die akute Intervention in einer (schweren) Krise zeigt, ist das Geld nicht knapp. Eine weitere, wichtige Lehre ist, dass die alten prozyklischen Schuldenbremsen und Strafzinsen auf keinen Fall wieder Anwendung finden dürfen. Denn das Aussetzen der Schuldengrenzen und die Investitionsprogramme wirken positiv.

Samstag, 24. Juni 2023

ECB, Rate Hikes and Hysteresis-Effects

Wie Europa gegenüber Amerika zurückfällt


Die EZB will nach eigenen Angaben die Zinserhöhungen fortsetzen. Begründung: Die Inflation sei noch lange nicht besiegt.

Der Beschluss der EZB-Führung am 15. Juni, den Leitzins für Einlagen um einen Viertelpunkt auf 3,5% anzuheben, kommt allerdings zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Rezession. 

Trotz einer stagnierenden Wirtschaft zeigt sich die EZB-Führung entschlossen, die Zinsen weiter zu erhöhen und damit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen.

Isabel Schnabel hat neulich in einem Vortrag mit dem Hinweis auf den «vollgefüllten» Arbeitsmarkt («tight labor market») argumentiert, dass die Inflation in den nächsten drei Jahren wahrscheinlich nicht auf das Zielniveau zurückkehren werde, wenn das Verhältnis zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen nicht wieder unter das Niveau vor dem COVID falle.

Mit dem Abklingen des Energieschocks und der Normalisierung der Versorgungsketten seien die Inlandsnachfrage und insbesondere das Lohnwachstum zum wichtigsten Faktor der jüngsten Inflationsentwicklung geworden, so die EZB-Direktorin

Bemerkenswert ist die Verlautbarung, dass im heutigen Umfeld der Wirtschaft Hysterese-Effekte ein Aufwärtsrisiko darstellen.

In der Euro Zone, zwischen den tatsächlichen Investitionen und dem Investitionsniveau klafft eine erhebliche Lücke. Die Unterbrechungen der Lieferkette bei kritischen Investitionsgütern wie Halbleiterchips waren ein Grund dafür, dass sich die Kapitalakkumulation verlangsamt hat, Graph: Isabel Schnabel, ECB, June 19, 2023

Mittwoch, 21. Juni 2023

Gewinn-Preis-Spirale

What is a profit-driven inflation?


Paul Donovan, der globale Chefökonom der Schweizer Bank UBS Wealth Management, hat in einer eindrucksvollen Analyse im März 2023 dargelegt, dass es in den entwickelten Volkswirtschaften seit der Pandemie drei Inflationswellen gegeben hat: 


eine vorübergehende Inflation bei langlebigen Gütern, 

eine Rohstoffinflation und 

schließlich eine durch Gewinnspannen bedingte Inflation.


Der britische Wirtschaftswissenschaftler argumentiert, dass die durch Gewinnspannen bedingte Inflation nicht durch ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage verursacht wird. 


Für den Agrarsektor, in dem ein Preisanstieg aufgrund von Unterbrechungen in der Lebensmittelversorgungskette das Margenwachstum sogar um mehr als eins zu eins verschoben hat, zeichnet sich nun eine Trendwende ab, Graph: Credit Suisse Research, June 08, 2023.


Samstag, 17. Juni 2023

What is industrial policy?

Industrie-Politik und Warum der Staat sich verschulden muss

Die Dynamik der privaten Investitionstätigkeit ist von besonderer Bedeutung, damit das marktwirtschaftliche System funktionieren kann.

Der Aufbau eines leistungsfähigen Kapitalstocks ist dabei entscheidend. Eine Investitionsschwäche ist im Allgemeinen auf schlechte monetäre Bedingungen und eine mangelhafte Nachfrage zurückzuführen.

Für die Entwicklung der Produktivität kommt es auf die Investitionstätigkeit und die gesamtwirtschaftliche Auslastung der Kapazitäten an.

Es ist in erster Linie die Aufgabe des privaten Sektors, die Schuldnerrolle zu übernehmen und zu investieren.

Wenn sich aber Unternehmen mit Investitionen zurückhalten, selbst bei null-Zinsen, muss der Staat in die Bresche springen.


Der Infrastructure Investment and Jobs Act (IIJA) aus dem Jahr 2021, der Inflation Reduction Act (IRA) aus dem Jahr 2022 und der CHIPS and Science Act (CHIPS) aus dem Jahr 2022 stehen für öffentliche und private Ausgaben in Höhe von schätzungsweise insgesamt 2,4 Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren, Graph: JPMorganAM, June 10, 2023.

Sonntag, 11. Juni 2023

Monetary Austerity and Fiscal Responsibility

Privatsektor spart in Krisen und der Staat?


Der Internationale Währungsfonds (IWF) begrüsst die expansive Fiskalpolitik der Schweiz

Im am Mittwoch vorgelegten Länderbericht Schweiz heisst es, dass der expansive finanzpolitische Kurs des Bundes angesichts der sich verlangsamenden Wirtschaft und der zugrunde liegenden Faktoren angemessen sei.

Wenn sich die Abwärtsrisiken verwirklichen sollten, sollten die automatischen Stabilisatoren greifen. Und es könnten gezielte, zeitlich begrenzte und nicht verzerrende Hilfen für Haushalte und Unternehmen in Betracht gezogen werden, so der IWF weiter.

Das Wachstum würde sich laut IWF-Ökonomen voraussichtlich weiter verlangsamen, da die Risiken nach unten gerichtet sind und die Unsicherheit groß ist. 


IWF begrüsst die expansive Fiskalpolitik der Schweiz, Graph: IMF, June 08, 2023


Sonntag, 4. Juni 2023

Arbeitsproduktivität und Einkommen

Labor Productivity

The absence of proper monetary conditions 

Robert J. Gordon hat in seinem im Jahr 2016 vorgelegten Buch die These vertreten, dass die hohen Wirtschaftswachstumsraten in Amerika ein einmaliges Ereignis zwischen etwa 1870 und 1970 gewesen seien. 

Und wir hätten keinen Grund zu erwarten, dass es in absehbarer Zeit zurückkehren würde, wenn überhaupt.

Warum der Pessimismus? 

Prof. Gordon, North Western University, hat auf sechs "Gegenwinde", die seiner Meinung nach das Wachstum bremsen werden, verwiesen: 

Demografie, Bildung, Ungleichheit, Globalisierung, Energie/Umwelt und der Überhang an Verbraucher- und Staatsschulden.

Er hat argumentiert, dass die IT-Revolution weniger wichtig ist als jede der fünf großen Erfindungen, die das Wirtschaftswachstum von 1870 bis 1970 vorangetrieben haben: Elektrizität, städtische Sanitärversorgung, Chemie und Pharmazie, der Verbrennungsmotor und moderne Kommunikation.


Zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen (1948) blieb die Produktivitätsveränderung im Jahresvergleich fünf Quartale in Folge negativ, Graph: Bureau of Labor Statistics, BLS, June 01, 2023