Es ist erfreulich zu sehen, dass die Arbeitslosigkeit in Europa fällt.
Da es sich aber bei den neu geschaffenen Stellen zumeist um „low quality“ Jobs handelt, dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Unterbeschäftigung ist es daher wichtig, zu erfahren, wie die Zentralbank herausfinden können, ob wir immer noch mit einer unzulänglichen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu tun haben oder nicht.
Denn Rezessionen und milde konjunkturelle Abschwünge sind i.d.R. eine Folge von gesamtwirtschaftlicher Nachfrageschwäche.
Die einzige Möglichkeit, eine Rezession zu beenden, ist, die Nachfrage irgendwie anzukurbeln. Und das geschieht öfters dadurch, dass die Zentralbanken die Zinsen senken.
Woher wissen wir aber, dass wir einer geringeren Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen gegenüberstehen?
Die Antwort ist einfach: Die Arbeitslosigkeit steigt, weil die unzulängliche Nachfrage den Absatz von Unternehmen verringert und damit nach und nach Entlassungen auslöst.
Lohnrückgang in Grossbritannien trotz des Wirtschaftswachstums, Graph: FT, March 2, 2017.
Die herrschende Wirtschaftstheorie legt aber nahe, dass Lohnkürzungen dazu beitragen würden, die Beschäftigung zu fördern, was angesichts der empirischen Erfahrung in Folge der globalen Finanzkrise von 2008-2009 ein Trugschluss ist.
Abgesehen davon wissen wir, dass der Arbeitsmarkt nicht wie der Markt für Kartoffeln funktionier. Deshalb können die real fallenden Löhne das Problem der Nachfrageschwäche nicht lösen.
Es ist dennoch möglich, dass die Arbeitnehmer Beschäftigung finden, wenn die Unternehmen auf arbeitsintensivere Produktionstechniken umstellen oder in neue arbeitssparende Techniken nicht investieren können, schreibt Simon Wren Lewis in seinem Blog.
Der Verlauf der Real-Löhne in Grossbritannien, Graph: Simon Wren-Lewis, March 2017
Wir würden aber trotz der sinkenden Arbeitslosigkeit und einer stagnierenden Arbeitsproduktivität beobachten, wie schwer die Wirtschaft (output) angeschlagen ist, wie die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren in Grossbritannien vor Augen führt.
Es ist daher wichtig, zu verstehen, dass das Problem der mangelhaften Nachfrage unter diesen Umständen immer noch da ist.
Das bedeutet, dass die Ressourcen sonst in einem grossen Ausmass weiter verschwendet würden, was impliziert, dass es der Wirtschaft besserginge, wenn die Nachfrage irgendwie animiert werden würde.
Wie können aber Zentralbanken rauskriegen, ob es der Fall ist oder nicht?
Die Zentralbanken würden auf Umfragen hinweisen, die besagen, dass die Unternehmen über Überkapazitäten verfügen.
Das ist zwar in der unmittelbaren Nachfolge der Rezession wahr, aber nicht ganz akkurat, weil es im Laufe der Zeit zu Abschreibungen kommt und Investitionen niedrig bleiben, wie Wren-Lewis weiter argumentiert.
Angesichts der mangelhaften gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der Arbeitslosigkeitsdaten sind die Umfragen daher kein zuverlässiger Indikator.
Der ultimative Hinweis, ob es an Nachfrage mangelt, ist Inflation, so der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor. Wenn die Nachfrage fehlt, liegt die Inflation unter dem Zielwert der Zentralbanken. Das betrifft heute die USA, die Eurozone und Japan. (*)
In diesem Kontext sind die Zentralbanken gut beraten, die Nachfrageschwäche zu erkennen und den geldpolitischen Stimulus weiter fortzusetzen.
Ein Argument gegen diesen Ansatz ist allerdings, dass die Zentralbanken in Bezug auf die Erholung der Wirtschaft dem Verlauf der Konjunkturkurve voraus sein sollten („ahead of the curve“).
Das heisst, dass die Zentralbanken die Zinsen sozusagen präventiv erhöhen sollen, um später abrupte Zinserhöhungen zu vermeiden, falls die Inflation plötzlich beginnen würde, stark anzusteigen.
Solche Argumente gelten aber nur für die Rezessionen, sie sich früher ereignet haben. Die Great Recession hingegen ist umgeben von der Nullzins-Grenze (zero lower bound) und der Austerität (fiscal austerity), die eindeutig auf der Nachfrage lasten.
PS: Nick Rowe nimmt in seinem Blog eine kritische Stellung zu Wren-Svens Argumentation und sagt, dass das, was wie eine Hysterese aussieht, tatsächlich auf die Nachfrageschwäche zurückgeführt werden kann. Aber hat Wren-Lewis tatsächlich recht?
In seinem komplexen Beitrag präsentiert Rowe weitere Zusammenhänge, ohne sich ganz festzulegen.
PPS: Auch Chris Dillow macht in seinem Blog eine anregende Bemerkung dazu.
Wenn heute weitgehend beobachtet wird, dass die fallende Arbeitslosigkeit nicht zum Anstieg der Löhne führt, welche wirtschaftspolitische Konsequenzen ergeben sich daraus?
Erstens: Die Zentralbanken würden sich veranlasst sehen, die Zinsen (zu früh) zu erhöhen, mit dem Hinweis auf den Rückgang der Arbeitslosigkeit und der sich schliessenden Produktionslücke (output gap), die aber wiederum auf eine Inflationsgefahr hindeuten, die es gar nicht gibt.
Zweitens: Das Ganze hat auch eine Implikation in Bezug auf die Fiskalpolitik, bzw. das Konzept des strukturellen Haushaltsdefizits (structural budget deficit).
Denn die Idee des strukturellen Haushaltsdefizits ist insofern sinnvoll, als es einen Impuls gibt, über die Inflation nachzudenken, die durch eine negative Produktionslücke verursacht wird und mit Vollbeschäftigung korreliert.
Wenn jedoch die Produktionslücke und die Arbeitslosenquote in Bezug auf das zukünftige Wirtschaftswachstum oder die Inflation nicht informativ sind, dann hat es keinen Sinn, am Konzept des strukturellen Defizits festzuhalten.
Es sollte deshalb nicht verwendet werden, um eine Gürtel-enger-schnallen-Politik zu rechtfertigen.
(*) In Grossbritannien ist die Inflation höher als die Zielinflationsrate der BoE. Aber das ist auf die Unsicherheit (ausgelöst durch „Brexit“) zurückzuführen. Ausserdem zeigt die Lohninflation kein Anzeichen für einen Anstieg. Zumal Mark Carney, BoE-Präsident am Donnerstag mitgeteilt hat, dass die BoE-Prognose für Lohnwachstum nach unten korrigiert worden ist.
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