Dienstag, 18. Januar 2011

Warum die Arbeitsproduktivität trotz Arbeitslosigkeit steigt

Ein faszinierendes Thema, mit dem eine Reihe von namhaften Ökonomen sich in den USA derzeit befassen, ist das Produktivitätswachstum, welches sich in den vergangenen Rezessionen gewöhnlich verlangsamt hat, weil die Unternehmen Arbeitskräfte gehortet hatten. Warum steigt aber das Produktivitätswachstum heute? Alex Tabarrok findet sich in der ungewöhnlichen Position, näher an Paul Krugman und Scott Sumner zu sein, als Tyler Cowen, was die Frage im Hinblick auf das Grenzprodukt (= Null) der Arbeitnehmer betrifft. Die ZMP-Hypothese bedeute Tabarroks Ansicht nach nahezu eine Ablehnung der Theorie der komparativen Vorteile. Der Terminus ZMP (zero marginal product) legt nahe, dass das Problem die Produktivität der Arbeitslosen ist, wenn das eigentliche Problem i.d.R. mit der Wirtschaft zu tun hat, beschreibt Tabarrok weiter. Wären die Löhne weniger „klebrig“ (sticky wages), würden die Arbeitslosen eine Beschäftigung finden, argumentiert der an der Virginia’s George Mason University lehrende Wirtschaftsprofessor, der mit Tyler Cowen den Wirtschaftsblog marginal revolution betreibt.


Arbeitslosigkeit versus Produktivität (1950-1970), Graph: Prof. Brad DeLong





Arbeitslosigkeit versus Produktivität (1990-2011), GraphProf. Brad DeLong


Das Problem mit dem „sticky wages“ (kurzfristig träge Löhne) werde oft missverstanden. Das grosse Problem ist nicht, dass die Löhne der Arbeitslosen „klebrig“ sind, sondern dass die Löhne der Arbeitnehmer in Beschäftigung „träge“ sind. Deshalb sind die Geschichten von Arbeitslosen, die zu weit niedrigen Löhnen wieder eingestellt werden, vollständig mit der Makroökonomie der starren Löhne kompatibel, erklärt Tabarrok. Er möge den Begriff ZMP nicht, aber er denke, dass Tyler Cowen damit auf ein wichtiges Thema hinweise: Unternehmen hatten bislang während Rezessionen Arbeitskräfte gehortet. Heute aber entlassen sie die Arbeitnehmer. Als Ergebnis ist die Arbeitsproduktivität gegenwärtig nicht mehr prozyklisch, sondern anti-zyklisch, so Tabarrok.

Tabarrok möchte darüber hinaus wissen, was Paul Krugman davon hält. Krugman schreibt in seinem Blog, dass er keinen festen Blick hierbei hat. Er habe jedoch drei Hypothesen, die zum Teil mit Tabarroks überlappen:

(1) Der wechselnde Charakter des Konjunkturzyklus (the changig character of the business cycle): Der Träger des Wirtschaftsnobelpreises (2008) vertritt bereits seit fast einem Jahrzehnt die Ansicht, dass das, was wir in diesen Tagen erleben, „nicht die Rezessionen unseres Vaters sind. Es sind die Rezessionen unseres Grossvaters“, hebt Krugman hervor. Den Modellen der 60er, 70er und frühen 80er Jahre zufolge ist es zu Rezessionen gekommen, nachdem die Fed auf die Bremse trat, um die Inflation abzukühlen, während die drei Rezessionen seitdem darauf zurückzuführen sind, dass sich der private Sektor übernommen hat, wo der Anstieg der Preise für die Verschuldung und die Vermögenswerte den Funken gezündet hat, wie ein Wile E. Coyote Moment, legt Krugman dar.

Der entscheidende Punkt für die Produktivität liegt wahrscheinlich daran, dass die technische Behandlung einer Erholung von postmodernen Rezessionen viel härter ist als das technische Dirigieren von Rezessionen, die mehr oder weniger von der Fed auferlegt worden sind. Als Folge halten die Erholungen tendenziell lange in Form von flachen U’s, als V’förmigen Erholungen von einst an, erklärt Krugman. Und die Unternehmen wissen das, sodass sie weniger Grund haben, Arbeitskräfte zu horten, weil sie denken, dass sie die entlassenen Mitarbeiter für eine lange Zeit nicht brauchen werden.

(2) Arbeitsbeziehungen (labor relations): Wie Nick Rowe darauf hinweist, unterscheidet sich die amerikanische Produktivität von der europäischen Erfahrung, welche wie die gute alte prozyklische Geschichte der Produktivität aussieht, beschreibt Krugman. Zum Teil ist die Differenz arbeitsrechtlicher Natur. Aber vielleicht hat es mit der Tatsache zu tun, dass Europa nach wie vor starke privatwirtschaftliche Gewerkschaften hat, argumentiert der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Vielleicht erfolgte die Hortung von Arbeitskräften von früher durch die Unternehmen, die ihre mächtigen Gewerkschaften nicht zu viel haben verstimmen wollen. Heute hingegen können Unternehmen jederzeit jeden hinauswerfen, ohne Rückwirkungen zu befürchten, legt Krugman dar.

(3) Instabilität der Wirtschaftshierarchie (instability of the business hierarchy): Unternehmen scheinen heute ihre Position an der Spitze nicht so lange wie früher halten zu können wie früher. Es gibt scheinbar viel mehr Abreibung in der Hierarchie der Geschäftswelt. Unternehmen wissen heute, dass ihre Position vorübergehend ist. Und sie sind daher weniger geneigt, Arbeitskräfte während eines Abschwungs wegen langfristiger Loyalität zu behalten, schlussfolgert Krugman.

Früher war so, dass die Zeiten, in denen die Arbeitslosigkeit stieg, die Zeiten waren, als das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum Erwartungen unterschritten hat. Nun sind die Zeiten, wenn die Arbeitslosigkeit steigt, die Zeiten, wenn die gesamtwirtschaftliche Produktivität die Erwartungen übertrifft, bemerkt Brad DeLong zum Thema in seinem Blog und liefert die zwei Abbildungen. „Wenn der Pflock nicht längst durch das Herz der realen Konjunkturzyklus-Theorie gerammt worden wäre, dann würde es jetzt definitiv passieren“, fasst der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor zusammen.

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