Defizitfalken klagen seit geraumer Zeit, dass schuldenfinanzierte Staatsausgaben private Ausgaben verdrängen, indem sie die Zinsen in die Höhe treiben. Inzwischen ist aber genau das Gegenteil zu beobachten. Die Renditen für langfristige Staatsanleihen in den USA, Deutschland, Japan und Grossbritannien fallen weiter. „Die politischen Eliten, Zentralbanker, Finanzminister und Politiker, die sich als Verteidiger der fiskalischen Tugendhaftigkeit darstellen, sind wie die Priester eines altertümlichen Kults, die verlangen, dass wir menschlichen Opfer aufbringen müssen, um den Zorn der unsichtbaren Götter zu besänftigen“, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Freitagskolumne („Appeasing the Bond Gods“) in NYT. Die Apostel der Enthaltsamkeit, manchmal auch als „Austerians“ genannt, schieben alle Versuche beiseite, sich selbst zu überzeugen. „Mach dir nichts aus den Zahlen“, erklären sie: sofortige Ausgabenkürzungen sind notwendig, um „Bond Vigilantes“ abzuwehren. „Investoren würden wegen des verschwenderischen Staates den Stecker ziehen und die Kreditkosten in die Höhe treiben. Schau Griechenland, sagen sie“, beschreibt Krugman die aktuelle Stimmung.
Die Skeptiker halten aber entgegen, dass Griechenland ein besonderer Fall ist. Es hat keine eigene Währung, sondern den Euro, und ist daher zu Deflation und Stagnation verurteilt. Die Zinsen, zu denen sich die USA, Japan und Grossbritannien verschulden, zeigen aber keine Anzeichen dafür, dass die Bond-Vigilantes zum Angriff bereit wären, oder dass sie überhaupt existieren würden, argumentiert Krugman weiter. „Na, warte“, sagen die Austerians. „Die Bond Vigilantes könnten unsichtbar sein. Aber sie müssen genau so befürchtet werden wie sonst“.
Dieses Argument wird inzwischen noch seltsamer. Die Anleger machen sich über die Defizite keine Sorgen. Sie sind besorgt wegen Stagnation und Deflation, erklärt der Nobelpreisträger. Das signalisieren sie, indem sie die Zinsen tiefer treiben, nicht höher. Gestern ist die Rendite der US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit auf 2,58% gefallen, hebt Krugman hervor. Wie reagieren die Austerians darauf? Sie „behaupten, dass es eine Blase auf dem Anleihemarkt gibt. Zunächst vertraten sie die Meinung, dass wir die Fundamentaldaten ignorieren und dem Diktat des Marktes gehorchen sollen. Nun werden wird dazu angehalten, zu ignorieren, was die Märkte wirklich sagen, weil sie verwirrt sind“, hält Krugman fest. Deswegen denkt Krugman dabei an fremde und wilde Sekten, die menschlichen Opfer fordern, um unsichtbare Kräfte zu beschwichtigen. „Wir in Amerika haben eine Wahl. Die Märkte verlangen von uns nicht, dass wir es aufgeben, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil: die Märkte sind besorgt über mangelhafte Massnahmen. Es scheint fast überflüssig, die endgültige Beleidigung zu erwähnen: viele der vokalen Austerians sind natürlich Heuchler, so Krugman zu Recht. „Was muss sich ändern, damit sich dieser grausame Kult in den Köpfen der politischen Elite bricht? Wann, wenn überhaupt, gehen wir dazu über, die Wirtschaft endlich wiederaufzubauen?“.
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