Die
europäischen Entscheidungsträger haben sich auf dem jüngsten EU-Gipfel auf eine
Vision einigen können, was aus der EU werden soll: Wirtschafts- und
Währungsunion, ergänzt durch Bankenunion, Fiskalunion und Politische Union.
Der
Ärger beginnt aber, sobald die Diskussion weiter geführt wird und insbesondere,
wann die letzten drei eingerichtet werden sollen, bemerkt Barry Eichengreen in einem lesenswerten Artikel („Europe’s Divided Visionaries“) in Project Syndicate.
(1) Bankenunion
(banking union) bedeutet die
Schaffung einer einzigen Aufsichtsbehörde, einer gemeinschaftlichen
Einlagesicherung und eines Mechanismus für die Schliessung von insolventen
Finanzinstituten. Es bedeutet auch, EU-Rettungeinrichtungen die Macht zu
erteilen, die Mittel direkt in die unterkapitalisierten Banken zu pumpen.
(2) Fiskalunion
(fiscal union) bedeutet der
Europäischen Kommission (oder dem Europäischen Schatzamt) die Befugnis zu
erteilen, gegen nationale Haushalte Veto einzulegen. Und es bedeutet, dass für
einen Teil der Schulden der Mitglieder gemeinschaftlich (debt mutualization) gehaftet wird. Das heisst gemeinschaftliche
Verpflichtung. Die EU-Kommission oder das EU-Schatzamt würde dann entscheiden,
wie viele zustäzliche Eurobonds ausgegeben werden.
(3) Politische
Union (political union) bedeutet die
Übertragung der Befugnisse der nationalen Parlamente an das Europäische
Parlament, welches dann entscheiden würde, wie die Fiskal-, Banken- und
Währungsunion strukturiert werden.
Das
Problem ist, dass es zwei diametral
entgegengesetzte Ansätze zur
Umsetzung gibt, erklärt der an der University
of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor.
Die
eine Strategie setzt voraus, dass Europa dringend die Union jetzt vertiefen
muss. Es kann nicht gewartet werden, die Banken zu rekapitalisieren. Es müssen
sofortige Massnahmen ergriffen werden. Es bebarf sofortiger Schritte in
Richtung gemeinschaftliche Haftung (debt
mutualization). Entweder die EZB oder der ESM muss die Staatsanleihen von
angeschlagenen Volkswirtschaften ankaufen. Europa muss die notwendigen
Einrichtungen aufbauen wie z.B. eine gemeinsame Bankenaufsicht.
Die
andere Strategie vertritt die Ansicht, dass es verfrüht wäre, neue Richtlinien
zu erlassen, bevor die neuen Institutionen vorhanden sind. Eine
Vergemeinschaftung von Lasten würde rücksichtloses Verhalten durch die
nationalen Regierungen ermutigen. Das heisst: Moral Hazard-Problem.
Europa
war schon einmal hier: in den 1990er
Jahren, als die Entscheidung getroffen wurde, den Euro zu etablieren,
erläutert Eichengreen. Zu dieser Zeit gab es zwei Denkschulen. Die eine hat argumentiert, dass es
unverantwortlich wäre, eine Währungsunion zu schaffen, bevor die
Wirtschaftspolitik konvergiert ist und institutionelle Reformen abgeschlossen
sind.
Die
andere Denkschule war hingegen besorgt, dass das bestehende Geldsystem starr,
spröde und anfällig für die Krisen sei. Europa könne nicht länger warten, um
den Prozess zum Aufbau von Institutionen abzuschliessen. Es sei besser, den
Euro eher früher als später zu schaffen. Die relevanten Institutionen und
Reformen würden folgen.
Im
Grunde genommen wurde die erste Denkschule von Nordeuropa vertreten, die zweite
von Südeuropa.
Die
Krise von 1992 hat den
Wechselkursmechanismus aus dem Gleichgewicht gekippt. Das Argument von
Südeuropa, dass Europa sich nicht leisten könne, die Einführung von Euro zu
verschieben, hat den Sieg davon getragen, erläutert Eichengreen. Die Folgen
waren nicht gut. Währungsunion ohne Banken-, Fiskal- und Politische Union war
laut Eichengreen eine Katastrophe.
Aber
den Prozess nicht fortfahren zu lassen, wäre auch eine Katastrophe gewesen. Die
Krise von 1992 hat gezeigt, dass das bestehende System instabil war. Nicht
weiter zu machen, hätte Europa mehr störenden Krisen ausgesetzt. Aus diesem
Grund haben die europäischen Staats- und Regierungschef nun die ambitionierten Schritte
auf dem EU-Gipfel unternommen, fasst Eichengreen als Fazit zusammen. Die
Rekapitalisierung von Banken und den Ankauf von Staatsanleihen nicht
fortzusetzen, würde in einer ähnlichen Weise zu einer Katastrophe führen.
Europa befindet sich heute in einer gewohnten Bindung.
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