Donnerstag, 12. Juli 2012

EU-Gipfel und EU-Vision


Die europäischen Entscheidungsträger haben sich auf dem jüngsten EU-Gipfel auf eine Vision einigen können, was aus der EU werden soll: Wirtschafts- und Währungsunion, ergänzt durch Bankenunion, Fiskalunion und Politische Union.

Der Ärger beginnt aber, sobald die Diskussion weiter geführt wird und insbesondere, wann die letzten drei eingerichtet werden sollen, bemerkt Barry Eichengreen in einem lesenswerten Artikel („Europe’s Divided Visionaries“) in Project Syndicate.

(1) Bankenunion (banking union) bedeutet die Schaffung einer einzigen Aufsichtsbehörde, einer gemeinschaftlichen Einlagesicherung und eines Mechanismus für die Schliessung von insolventen Finanzinstituten. Es bedeutet auch, EU-Rettungeinrichtungen die Macht zu erteilen, die Mittel direkt in die unterkapitalisierten Banken zu pumpen.

(2) Fiskalunion (fiscal union) bedeutet der Europäischen Kommission (oder dem Europäischen Schatzamt) die Befugnis zu erteilen, gegen nationale Haushalte Veto einzulegen. Und es bedeutet, dass für einen Teil der Schulden der Mitglieder gemeinschaftlich (debt mutualization) gehaftet wird. Das heisst gemeinschaftliche Verpflichtung. Die EU-Kommission oder das EU-Schatzamt würde dann entscheiden, wie viele zustäzliche Eurobonds ausgegeben werden.

(3) Politische Union (political union) bedeutet die Übertragung der Befugnisse der nationalen Parlamente an das Europäische Parlament, welches dann entscheiden würde, wie die Fiskal-, Banken- und Währungsunion strukturiert werden.

Das Problem ist, dass es zwei diametral entgegengesetzte Ansätze zur Umsetzung gibt, erklärt der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor.

Die eine Strategie setzt voraus, dass Europa dringend die Union jetzt vertiefen muss. Es kann nicht gewartet werden, die Banken zu rekapitalisieren. Es müssen sofortige Massnahmen ergriffen werden. Es bebarf sofortiger Schritte in Richtung gemeinschaftliche Haftung (debt mutualization). Entweder die EZB oder der ESM muss die Staatsanleihen von angeschlagenen Volkswirtschaften ankaufen. Europa muss die notwendigen Einrichtungen aufbauen wie z.B. eine gemeinsame Bankenaufsicht.

Die andere Strategie vertritt die Ansicht, dass es verfrüht wäre, neue Richtlinien zu erlassen, bevor die neuen Institutionen vorhanden sind. Eine Vergemeinschaftung von Lasten würde rücksichtloses Verhalten durch die nationalen Regierungen ermutigen. Das heisst: Moral Hazard-Problem.

Europa war schon einmal hier: in den 1990er Jahren, als die Entscheidung getroffen wurde, den Euro zu etablieren, erläutert Eichengreen. Zu dieser Zeit gab es zwei Denkschulen. Die eine hat argumentiert, dass es unverantwortlich wäre, eine Währungsunion zu schaffen, bevor die Wirtschaftspolitik konvergiert ist und institutionelle Reformen abgeschlossen sind.

Die andere Denkschule war hingegen besorgt, dass das bestehende Geldsystem starr, spröde und anfällig für die Krisen sei. Europa könne nicht länger warten, um den Prozess zum Aufbau von Institutionen abzuschliessen. Es sei besser, den Euro eher früher als später zu schaffen. Die relevanten Institutionen und Reformen würden folgen.

Im Grunde genommen wurde die erste Denkschule von Nordeuropa vertreten, die zweite von Südeuropa.

Die Krise von 1992 hat den Wechselkursmechanismus aus dem Gleichgewicht gekippt. Das Argument von Südeuropa, dass Europa sich nicht leisten könne, die Einführung von Euro zu verschieben, hat den Sieg davon getragen, erläutert Eichengreen. Die Folgen waren nicht gut. Währungsunion ohne Banken-, Fiskal- und Politische Union war laut Eichengreen eine Katastrophe.

Aber den Prozess nicht fortfahren zu lassen, wäre auch eine Katastrophe gewesen. Die Krise von 1992 hat gezeigt, dass das bestehende System instabil war. Nicht weiter zu machen, hätte Europa mehr störenden Krisen ausgesetzt. Aus diesem Grund haben die europäischen Staats- und Regierungschef nun die ambitionierten Schritte auf dem EU-Gipfel unternommen, fasst Eichengreen als Fazit zusammen. Die Rekapitalisierung von Banken und den Ankauf von Staatsanleihen nicht fortzusetzen, würde in einer ähnlichen Weise zu einer Katastrophe führen. Europa befindet sich heute in einer gewohnten Bindung.

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