Dienstag, 8. März 2011

Ursachen der Krise aus keynesianischer Sicht

Lance Taylor beschreibt in einem lesenswerten Beitrag in TripleCrisis drei Ideen von Keynes, die von entscheidender Bedeutung sind, um die gegenwärtige Situation der Wirtschaft zu verstehen: (1) Fundamentale Unsicherheit. Die Wirtschaftsakteure können sich die Art der künftigen Entwicklungen weder vorstellen noch vorhersagen. Beispiel: Die Annahme von „Great Moderation“ und die fatalen Folgen. (2) Konventionen mit Bezug auf die Preise von Vermögenswerten. Beispiel: 2006 dachten viele Marktteilnehmer, dass die Preise für Immobilien weiterhin steigen würden. Die Folgen waren verheerend. (3) Effektive Nachfrage. Die Ausgaben bzw. die effektive Nachfrage sind für das Niveau der wirtschaftlichen Aktivität entscheidend: Nach dem Ausbruch der Krise hielten sich die Verbraucher mit Ausgaben zurück. Die Unternehmen investierten weniger. Die Produktion und die Beschäftigung gingen stark zurück. Das Postulat der Mainstream-Ökonomie, dass die Märkte immer in Vollbeschäftigung sind (das Say’sche Gesetz), hat sich damit als falsch erwiesen.



Lance TaylorMaynard’s Revenge: “The Collapse of Free Market Macroeconomics”, 

Der an der New School University lehrende Professor für „International Cooperation and Development“ legt zudem dar, wie wichtig die Ideen auch von Keynes Anhängern sind. Hier sind ein paar Beispiele:

Charles Kindleberger und Hyman Minsky erläutern, dass eine Preisblase (price bubble) wie die von Immobilienmarkt und die damit zusammenhängenden „derivativen“ Finanzinstrumente oft durch einen zunehmenden „Leverage“ oder eine Anhäufung von Schulden zum Kauf von betreffenden Vermögenswerten begleitet wird.

Wynne Godley und Josef Steindl zeigen, wie in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung,  die von Keynes erfunden ist, das Niveau von „Netto-Kreditaufnahmen“ (net borrowing) oder Ausgaben abzüglich der Einnahmen (für Gruppen von Wirtschaftsakteuren wie z.B. Privathaushalte, Unternehmen, Staat und der Rest der Welt) in der Summe Null ergeben.

Michal Kalecki, Nicholas Kaldor und Richard Goodwin argumentieren, dass Verteilungsgerechtigkeit und Produktivitätsverlagerungen die effektive Nachfrage und die Konjunkturzyklen des Wirtschaftswachstums bestimmen. Eine stilisierte Version des Goodwin-Zkylus zeigt, dass das Beschäftigungswachstum dem Output hinterher hinkt, wenn die Wirtschaft in einen Abschwung gerät.

Taylor bemerkt in seinem aktuellen Buch, dass es aus keynesianischer Sicht sechs wesentliche Ursachen der Krise gibt:

(1) Um 1980 gab es einen grossen Wandel im politischen Umfeld, der seinen Anfang in den 1940er Jahren in Mainstream-Ökonomie gegen Keynes hatte. Praktische Folgen: Deregulierung der Finanzmärkte.

(2) Die amerikanische Konjunktur setzte sich fort, mit Veränderungen von Realzinsen, Gewinnmargen, dem Anteil der Arbeit am BIP und der Netto-Kreditaufnahme der Haushalte getrieben durch die Schwankungen des Outputs. Die zyklische Rolle aller vier Variablen hat sich aber nach 1980 tendenziell abgeschwächt. Die daraus hervorgehenden Auswirkungen haben sich auf die Preise von Vermögenswerten und die Zahlungsbilanz überlagert.

(3) Der Anteil der Netto-Kreditaufnahme der Haushalte am BIP kletterte zwischen den frühen 1980er Jahren und der Mitte der 2000er Jahren um rund 10%. Die Verschuldung der privaten Haushalte hat sich verdoppelt. Diese Trends wurden durch einen starken Rückgang der Lohnquote und einer Steigerung der Unternehmensgewinne begleitet.

(4) Ein Grossteil der gestiegenen Kreditaufnahme der privaten Haushalte wurde durch steigende Preise von Aktien und Immobilien besichert (collateralized). Reale Immobilienpreise haben sich in den vergangenen 25 Jahren in etwa verdoppelt. Die naheliegende Interpretation ist, dass die Haushalte die Gelegenheit nutzten (vor 2000), gestützt darauf (Schulden und Leverage) den Lebensstandard beizubehalten, weil ihre Realeinkommen stagnierten oder sogar fielen.

(5) Die ausländischen Netto-Forderungen in den USA sind um rund 7% gestiegen. Sie haben sich quasi mit der wachsenden Netto-Kreditaufnahme der Haushalte verschwistert. Mitte 2000er Jahren machte das US-Defizit für Aussenhandel und Dienstleistungen rund 1,5% des weltweiten BIP aus.

(6) Da die Inflation zurückging, hat die Fed die Realzinsen kontinuierlich fallen lassen, bis nahe Null in den frühen 1980er und Mitte 2000er Jahren. Obwohl die Preise von Waren und Dienstleistungen sich stabilisiert haben, haben fallende Realzinsen in Verbindung mit Deregulierung den Boom in Aktien- und Immobilienmärkten angekurbelt. Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Finanzsektors haben sich im Verhältnis zum Volksvermögen zwischen 1980 und 2005 mehr als verdoppelt, was die Expansion der destabilisierenden Derivate und Spekulation zugrundegelegt hat.

h/t to Mark Thoma.


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