Freitag, 11. März 2011

Ricardianische Äquivalenz und aktuelle Verwirrung

Mark Thoma macht in seinem Blog auf einen lesenswerten Beitrag („The resistance to being labelled a Keynesian economist“) von Antonio Fatas über die Theorie der „Ricardianischen Äquivalenz“ aufmerksam. Fatas kritisiert Justin Yifu Lin, den Chefökonomen der Weltbank. Lins Implikationen („Beyond Keynesianism and The New New Normal“) aus der „Ricardianischen Äquivalenz“ für die Fiskalpolitik sind falsch, bemerkt Fatas, der an der INSEAD als Wirtschaftsprofessor tätig ist. Wie kann die Ricardo-Falle vermieden werden, argumentiert Lin. Das heisst, ein Ergebnis, wonach die staatlichen Konjunkturprogramme die aggregierte Nachfrage nicht steigern, weil die Wirtschaftssubjekte mit Steuererhöhungen in Zukunft zur Deckung der grossen Defizite rechnen und deswegen ihre Ersparnisse erhöhen. „Um die Ricardo-Falle zu vermeiden, ist es wichtig, über konventionelle keynesianische Stimulanz hinaus zu gehen“, legt Lin dar.

Paul Krugman, der in den vergangenen Monaten mehrmals dazu Stellung genommen hat, unternimmt jetzt in seinem Blog einen weiteren Versuch, zu erklären, woran die Ricardianische Äquivalenz konzeptionell scheitert. „Wir sind uns in einem einig“, bemerkt Krugman: Wenn Verbraucher volllkommene Voraussicht haben, ewig leben, perfekten Zugang zu den Kapitalmärkten haben, dann werden sie die künftige Last der Steuern voll mitberücksichtigen, um die Ausgaben des Staats zu finanzieren. Wenn der Staat ein neues Programm vorstellt, wonach jährlich immer 100 Mio. $ ausgegeben werden, dann müssen die Steuern immer um den gegenwärtigen Wert von 100 Mio. $ erhöht werden. Angenommen, die Verbraucher werden den Konsum um 100 Mio. $ jährlich reduzieren, um die Steuerlast auszugleichen. Wenn aber die Verbraucherausgaben jährlich um 100 Mio. $ zurückgehen, werden die expansiven Auswirkungen der gesteigerten Staatsausgaben versiegen.

Wenn aber die Erhöhung der Staatsausgaben nur vorübergehend ist, also nicht dauerhaft, dann werden die Ausgaben um 100 Mio. $ jährlich nur für 1 oder 2 Jahre erhöht. Das impliziert eine eindeutig wenigere Steuerlast in Zukunft als 100 Mio. $ für immer. Und daher werden die Konsumentenausgaben um weniger als 100 Mio. $ im Jahr zurückfallen. Das Ausgabenprogramm ist also expansiv, selbst wenn man vollständig an die Ricardianische Äquivalenz glaubt.


Exkurs:

Ricardianische Äquivalenz ist eine von David Ricardo, einem Theoretiker der Wirtschaftswissenschaften des 19. Jahrhunderts aufgestellte Hypothese. Ricardos Theorie besagt folgendes: Wenn der Staat Kredit aufnimmt, um beispielsweise die Ausgaben in Kriegszeiten zu finanzieren, nehmen die Verbraucher an, dass der Staat die Steuern in Zukunft erhöhen müsste, um die Schulden zu bedienen. Sind die Verbraucher vollkommen vernünftig, würden sie anfangen, ihre Ersparnisse zu erhöhen, und zwar um genau denselben Betrag, mit dem sich der Staat verschuldet hat. Es würde folglich keinen Unterschied machen, ob die Ausgaben für die Kriegszeiten durch Steuern in der Gegenwart oder Verschuldung finanziert werden. Robert Barro hat dieses Konzept aufgegriffen und für die Praxis als die Ricardianische Äquivalenz präsentiert. Ökonometische Untersuchungen zeigen aber, dass die Hypothese, wonach die Kreditaufnahme des Staates von Ersparnissen der Verbraucher vollständig ausgeglichen wird, nicht zutrifft. Theoretische Mängel des Ansatzes liegen v.a. an der Abhängigkeit der Annahmen von ultrarationalen Erwartungen.


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