Grexit
ist die Abkürzung dafür, dass Griechenland Zahlungsunfähigkeit (default) erklärt und die Währungsunion
verlässt.
Das
ist aber nicht ein Ergebnis, das jemand will. Auch wenn die Abwertung der
Währung helfen würde, Griechenlands Ausfuhren anzukurbeln und Tourismus zu
beflügeln, käme es zu schrecklichen Kosten, was Wohlstand zerstören und dem BIP
des Landes ernsthaft schaden würde. Das Ganze wäre auch für den Rest des
Kontinents kostspielig.
Der
Preis, die Griechen loszuwerden, ist also sehr hoch und teurer als das Land im
Euro zu belassen. Vernunft legt nahe, dass diese Pattsituation mit einem
Kompromiss enden müsste: Lockerung der drakonischen Sparmassnahmen. Der Haken
ist aber, dass Europa nicht darüber streitet, was die vernünftigste
Wirtschaftspolitik ist, sondern was fair ist, hebt James Surowiecki in einem lesenswerten Essay („The Fairness Trap“) in The New Yorker hervor.
Deutsche
Wähler und Politiker denken, dass es unfair ist, Deutschland darum zu bitten,
die Rechnungen für die Länder, die über ihre Verhältnisse leben, zu begleichen.
Es ist unfair, zu erwarten, dass Deutschland eine unbefristete Verpflichtung
für die Länder in Abwesenheit von sinnvollen Reformen eingeht.
Aber
auch griechische Wähler sind sicher, dass es unfair ist, von ihnen zu erwarten,
dass sie angesichts eines knappen Haushalts mehrere Jahre unter
Massenarbeitslosigkeit leiden, um ausländische Banken und reiche nördlichen
Nachbarn zu bezahlen, die bisher übergrosse Vorteile aus der europäischen
Integration gezogen haben. Die Beschwerden sind nicht unvernünftig,
unterstreicht Surowiecki. Aber der Fokus
auf Fairness erschwert es, überhaupt eine Einigung zu erreichen, was sich
am Ende als verheerend erweisen könnte.
Das
Grundproblem ist, dass wir uns zu sehr um Fairness kümmern, sodass wir oft
bereit sind, wirtschaftliches Wohlergehen dafür zu opfern, um Fairness
durchzusetzen, erläutert Surowiecki. Behavioral
Ökonomen zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Menschen bereit sind,
echtes Geld zu zahlen, um Menschen, die aus einem gemeinsamen Topf nehmen, ohne
dazu eigens beizutragen, zu bestrafen. Wir sind also bereit, uns ärmer zu
machen, um nur sicherzustellen, dass Drückeberger bekommen, was sie verdienen.
Selbst
wenn es eine Lösung gibt, die alle besser stellen würde, kann die Fixierung auf
Fairness eine Einigung verunmöglichen.
Das
Fairness-Problem wird durch die Tatsache erschwert, dass unsere Definition
davon, was Fairness ist, i.d.R. das widerspiegelt, was die Ökonomen Linda Babcock und George Loewenstein als „self-serving
bias“ nennen.
Der
griechische Groll über die Sparmassnahmen dürfte laut Surowiecki durch die
Anerkennung gedämpft werden, wie viel Deutschland bereits bezahlt hat und wie
viel Schaden durch zügellose Steuerhinterziehung der griechischen Bürger
angerichtet worden ist.
Oder
die Deutschen dürften anerkennen, dass ihre Hingabe für eine niedrige Inflation
es für die Volkswirtschaft wie die von Griechenland sehr schwer macht, sich
wieder zu erholen.
Stattdessen
veranlasst der „self-serving bias“ uns
dazu, Fairness so zu definieren, dass es uns zum Vorteil gereicht und die
Informationen, die mit unseren Perfektiven in Konflikt geraten könnten, zu
ignonieren.
Dieser
Effekt ist laut Surowiecki sogar noch ausgeprägter, wenn die Feilscher sich
nicht als Teil derselben Gemeinschaft fühlen, was die Psychologen als „soziale Distanz“ nennen. Die
durchdringende Rhetorik, die den Konflikt in Bezug auf nationale Stereotypen (fleissige
Deutsche vs. korrupte Griechen) umrahmt, macht es umso schwieriger, einen
vernünftigen Kompromiss zu erreichen.
Aus
Sicht der Gesellschaft als Ganzes hat das Anliegen um Fairness allerlei Vorteile:
es schränkt Ausbeutung ein, fördert die Leistungsgesellschaft und motiviert die
Mitarbeiter. Aber in einer Verhandlung, wo keine der beiden Seiten nicht das
haben kann, was sie will, und wo die am wenigsten schlechte Lösung so gut ist wie
es nicht besser geht, kann das Grübeln über Fairness selbstmörderisch sein,
fasst der Autor zusammen.
Die Wähler und Politiker sind
daher gehalten, damit aufzuhören, sich zu fragen, was fair ist, sondern damit zu
beginnen, zu fragen, was möglich ist, um Europa zu retten.
1 Kommentar:
Grundlegendes, aber unterschätztes Problem der Eurokrise ist Moral Hazard, das viel tiefer reicht als nur "Fairness", siehe zur Diskussion http://www.robertmwuner.de/materialien_euro_literatur_moralhazard.html
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