Sonntag, 20. Mai 2012

Euro-Krise und falsche Metapher


Das menschliche Drama am Rande der Euro-Zone nimmt kein Ende. Die Jugendarbeitslosigkeit verharrt auf mehr als 50 Prozent.

Warum gibt es aber so starke politische Unterstützung für die Sparmassnahmen, die Kürzung von Staatsausgaben und die Entlassungen in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit?

Vielleicht haben wir die falsche Metapher, die in unseren Köpfen steckt und die politischen Entscheidungen in irreführender Weise gestaltet, scheibt Robert Shiller in einem lesenswerten Artikel („How National Belt-Tightening Goes Awry“) in NY Times.

Offensichtlich haben Metaphern und andere Symbole tatsächliche Bedeutung in unserem Denken, wie George Lakoff und Mark Johnson in ihrem Buch von 1980 “Metaphors We Live By” zeigen, erklärt Shiller: „Unser gewöhnliches Begriffssystem, wie wir denken und handeln, ist grundlegend metaphorischer Natur“.

Man betrachte das aktuelle Denken über die Steuern und die Kürzung der Staatsausgaben. Wir scheinen uns in Metapher von „Familie muss die Gürtel enger schnallen“ verhakt zu haben, wo der Staat als eine Famile angesehen wird, welche mehr ausgegeben als eingenommen hat und versucht, alles wieder unter Kontrolle zu bringen. „Die Familie muss die verschwenderischen Ausgaben kürzen, sparen und die Schulden zurückzahlen. Es ist ein mächtiger Gedanke, weil wir wissen, das Missmanagement der Haushaltskasse zu einem Ruin der Familie führen kann“, schildert der an der Yale University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Die vielleicht wichtigste Lektion, die der grosse Ökonom John Maynard Keynes vermittelt hat, ist die vollkommen irreführende Metapher, die sich auf die gesamte Volkswirtschaft bezieht:

Was für eine Familie smart ist, ist für eine Gesellschaft als Ganzes nicht smart. Dieses Phänomen ist als Paradox of thrift (Sparparadoxon) bekannt. Das heisst, dass die Wirtschaft, wenn alle auf einmal die Gürtel enger schnallen, sich so abschwächt, dass wir damit scheitern, weil wir alle am Schluss schlechter dran sind als zuvor. Wenn das passiert, dann ist einiges kollektives Handeln erforderlich: staatliche Konjunkturprogramme.

„Leider kann die ökonometrische Forschung nicht endgültig beweisen, ob Keynes Recht hat oder nicht. Weil ein gründliches, wissenschaftliches, kontrolliertes Experiment unmöglich ist, v.a. wenn es um die Erfassung einer entsprechend grossen Stichprobe von ganzen Nationen geht“, hebt Shiller hervor: „Daher ballen sich abstrakte Theorie, Intuition und Metaphern besonders gross in unserem Denken zusammen“.

Shiller plädiert deswegen für einen anderen Ansatz: eine Metapher von „Ein Winter auf der Familienfarm“, die in schlechten Zeiten zum Einsatz kommen soll. Wenn der Winter kommt, und es gewöhnlich keine Arbeit im Anbau und Ernte gibt, sollten wir uns alle dennoch irgendwie  beschäftigen, indem wir uns z.B. langfristigen Projekten auf der Farm widmen: Scheune flicken, Brunnen graben, oder Zaun bauen. Die Farm erfordert, dass alle Mitglieder eine Art Steuer zahlen, indem sie Arbeit spenden.

Es geht im Grunde genommen um die Theorie, die William Salant und Paul Samuelson entwickelt hatten: „balanced-budget theorem“ (siehe dazu auch hier). Wenn ein Land die Steuern erhöht und die Ausgaben um den gleichen Betrag steigert, in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit, und wenn die Geldpolitik akkommodierend ist, wächst das Volkseinkommen  um genau denselben Betrag der Steuern, sodass das Ergebnis (Einkommen) nach Steuern unverändert bleibt. M.a.W. ist der „balanced-budget Multiplikator“ (siehe mehr dazu hier) gleich eins. Wie auf der Familienfarm im Winter kann ein Staat durch Steuern Vollbeschäftigung wiederherstellen und braucht sich nicht zu verschulden, um die Wirtschaft anzukurbeln.

François Hollande, der neu gewählte Präsident Frankreichs hat während seiner Wahlkampagne vorgeschlagen, die hohe Arbeitslosigkeit, die in seinem Land auf 10% geklettert ist, durch die Einstellung von 60‘000 Lehrern und eine gleichzeitige Steuererhöhung für Einkommen von mehr als 1 Mio. Euro zu bekämpfen.

Wenn die Steuererhöhung, im Zusammenhang mit zusätzlichen Steuereinnahmen, die die neuen Lehrer beisteuern würden, mit dem Anstieg der Staatsausgaben übereinstimmen würde, würde der balanced-budget Satz voll zur Entfaltung kommen. Der Effekt dürfte sogar grösser sein als eins zu eins, da die Steuererhöhung sich auf die Bürger mit hohem Einkommen konzentriert und die neuen Lehrer das Geld wahrscheinlich sofort ausgeben würden.

Überraschenderweise wird Hollandes Politik als „verschwenderisch“ kritisiert. Wenn aber die Steuererhöhung die Kosten der neu eingestellten Lehren decken würde, gäbe es keinen Anstieg der französischen Staatsausgaben. Stattdessen hätten Menschen, die jetzt keine Beschäftigung haben, eine Arbeit und junge Menschen würden eine bessere Ausbildung erhalten.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Theoretisch ist das bestechend und ich denke auch praktisch sinnvoll.
Das Problem ist, dass es Transfer von Reich nach Arm bedeutet und das stösst bisher auf massiven Widerstand der leute mit Vermögen.

Außerdem müssten viele zugeben, dass die "The government ist always the problem, never the solution" Ideologie falsch ist. Und dieser Sinneswandel braucht Zeit.

Leider.