Freitag, 25. Mai 2012

Wer sind Bond Vigilantes?


Der Begriff Bond Vigilantes wurde von Ed Yardeni geprägt. Der Betriebswirt hat damit den Widerstand der Investoren beschrieben, die in den 1980er Jahren nach eigenen Angaben das Vertrauen in die Geld- und Fiskalpolitik der Regierung verloren und sich daher geweigert hatten, Staatsanleihen zu kaufen.

Die Angst vor dem Haushaltsdefizit ist also hauptsächlich auf die Angst vor einem Angriff der Bond Vigilantes zurückzuführen. Die Verfechter der Fiscal Austerity plädieren deswegen für die Kürzung von Staatsausgaben, um die Anleihemärkte zu beruhigen.

Die Defizit-Falken befürworten rigorose Sparmassnahmen, weil die Zinsen sonst durch die Decke schiessen würden. Die niedrigen Kreditkosten in den USA, Japan, Grossbritannien und in der Schweiz deuten aber heute darauf hin, dass die Investoren am Anleihemarkt nicht besorgt sind. Ganz im Gegenteil: Die günstigen Kreditkosten legen nahe, dass der Staat mehr Schulden aufnehmen soll.

Wenn die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt, ist nicht einmal die Nullzinsgrenze tief genug, die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben anzukurbeln und die Vollbeschäftigung wiederherzustellen. In einem depressiven Umfeld der Wirtschaft gilt es daher, über das Haushaltsdefizit neu nachzudenken. Denn Schulden sind nicht gleich Schulden. Ist die Wirtschaft in einer Depression, konkurrieren die Haushaltsdefizite nicht mit dem privaten Sektor um die Finanzierungsmittel am Markt. Die öffentliche Hand findet einfach eine Verwendung für die überschüssige Ersparnisse (excess savings) der Privatwirtschaft.



US-Treasury Bonds (10 Jahre) Rendite (2007-2012), Graph: FRED Fed St. Louis

Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, zwischen den kurz- und langfristigen Zinsen zu unterscheiden. Die kurzfristigen Zinsen, die von der Zentralbank festgelegt werden, liegen in den USA seit 2008 auf nahe Null Prozent. Die Investoren haben im Allgemeinen ein Interesse daran, einen Zinssatz über einen längeren Zeitraum festzubinden, damit sie ihre Strategien in Bezug auf die Investitionen in Zukunft besser planen können.

Niemand würde gern eine Staatsanleihe mit einer Rendite von nahe Null Prozent kaufen, wenn die kurzfristigen Zinsen auf der Nullgrenze liegen. Warum? Weil die Zinsen am kurzen Ende der Zinsstrukturkurve schnell wieder steigen können. Wer sein Geld langfristigen binden will, würde daher eine gewisse Kompensation verlangen. Und diese Abfindung hängt davon ab, wie schnell und um wie viel die kurzfristigen Zinsen Erwartungen der Investoren zufolge steigen würden. Und das hängt wiederum von den Aussichten für die wirtschaftliche Erholung ab und davon, wann die Investoren erwarten, dass die Wirtschaft aus der Liquiditätsfalle kommt.

Die Tatsache, dass die Nachfrage nach Staatsanleihen mit guter Bonität nicht abreisst, zeigt, dass die Investoren zur Zeit nicht mit einer schnellen Erholung der Wirtschaft rechnen.

Die Ratingagentur S&P hat 2002 Japans Kreditwürdigkeit herabgestuft. Dennoch kann sich die japanische Regierung heute für 10 Jahre zu einem Zinssatz von knapp 1% finanzieren. Das gilt auch für die USA. Die S&P hat im vergangenen Jahr die Bonität der USA herabgestuft. Der Effekt ist derselbe geblieben. Die USA können heute am Kapitalmarkt Mittel für weniger als 2% für 10 Jahre aufnehmen.

Eine depressive Wirtschaft bedeutet niedrige Staatseinnahmen und niedrige Inflation. Da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zum Erliegen gekommen ist, kann durch das Deficit Spending die Inflation nicht angeheizt werden. Wer in diesem Marktumfeld vor Hyperinflation warnt, führt irre. Die Unternehmen können nicht einfach beschliessen, die Preise für ihre Waren und Dienstleistungen zu erhöhen, nur weil die Geldmenge stark angestiegen ist. Ohne erhöhte Nachfrage gibt es keinen Preisdruck. Es kann daher nicht zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen. Denn „no boom, no inflation“, wie Paul Krugman in seinem Buch „End This Depression Now!“ darlegt.

Während die Kreditkosten in den USA, Grossbritannien und Japan niedrig bleiben, taugen die drakonischen Sparmassnahmen an der EU-Peripherie nicht dazu, die Anleihekosten zu senken. Warum? Weil die EU-Länder nicht über eine eigene Währung verfügen. Hätte z.B. Spanien seine eigene Währung, würde es aus einem Mix von Währungsabwertung und Wirtschaftswachstum die reale Schuldenlast abbauen können. 

Die Länder am Rand der EU sind aber heute zu einer sog. „internal devaluation“ (im Euro-Jargon: Kostenanpassung über Lohnsenkungen) verdammt. Das heisst: Deflation, Stagnation und eine lang anhaltende Massenarbeitslosigkeit. Wer kann es unter diesen Umständen z.B. Griechenland verdenken, wenn es seine Schulden nicht vollständig bedienen will?

Ein weiterer, erwähnenswerter Aspekt ist, dass Deutschland am Mittwoch auf einer Auktion Bundesschatzpapiere mit 2 Jahren Laufzeit zinslos (Nullkupon) verkauft hat. Der Bund konnte sich damit 4,5 Mrd. Euro am Kapitalmarkt beschaffen. Wer in diesem Marktumfeld vor einer Inflationsgefahr  warnt und von einem angeblich fehlenden Vertrauen der Investoren in den Staat redet, stiftet bewusst Verwirrung oder hat von der Wirtschaft keine Ahnung.



Riskoaufschlag (in den vergangenen 12 Monaten) zwischen deutschen und japanischen Staatsanleihen mit 30 Jahren Laufzeit, Graph: FT Alphaville (h/t to James Makintosh)

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