Freitag, 22. Oktober 2010

Grossbritannien: Sparprogramm als Dogma

Die von Konservativen und Liberaldemokraten gebildete britische Koalitionsregierung hat rigorose Sparmassnahmen beschlossen. Schatzkanzler George Osborne und Premierminister David Cameron wollen das Haushaltsdefizit bis 2014/15 um 9% des BIP senken, in erster Linie zu Lasten der sozial Schwachen. Es handelt sich dabei um die radikalsten Kürzungen der Staatsausgaben seit fast einem Jahrhundert. Eine halbe Million Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst werden den radikalen Sparmassnahmen (83 Mrd. Pfund, d.h. ca. 93,7 Mrd €) zum Opfer fallen. Einschnitte wie ideologische Ziele: Entstaatlichung, Sozialabbau und Umverteilung von unten nach oben. „Die britischen Konservativen haben keine Theorie“, schreibt Brad DeLong dazu in  seinem Blog. „Schande über David Cameron. Schande über Nick Clegg. Schande über George Osborne“, bemerkt der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor.


BIP, Grossbritannien, Graph: Office for National Statistics

„Ihre Schande wäre nicht ganz so gross, wenn sie eine Theorie darüber hätten, welche Elemente der Ausgaben wachsen würden, um die geplante fiskalische Kontraktion um 9% des BIP auszugleichen. Soll der Pfund zusammenbrechen und damit die Ausfuhren antreiben? Soll die Aussicht auf steigende Arbeitslosigkeit in Grossbritannien das Vertrauen der Unternehmen in die Wirtschaft steigern und einen sprunghaften Anstieg der Investitionen im privaten Sektor auslösen? Soll die Rendite der 30-jährigen Gilts (britische Staatsanleihen) von 4% auf 1% zurückfallen? Und soll damit die Senkung der Kapitalkosten zu einem Anstieg der Investitionen in Grossbritannien führen?“, so DeLong. „Cameron, Clegg und Osborne sagen uns nicht. Sie sagen uns nicht, weil sie ahnunglose Trottel sind“, bemerkt DeLong weiter. Sie haben nicht einmal eine Theorie darüber, wie die Wirtschaft ein Double-dip vermeidet. Sie hoffen, dass Mervyn King, Chef der britischen Notenbank sie irgendwie retten wird, so DeLong.


Arbeitslosigkeit, Grossbritannien, Graph: Office for National Statistics

Grossbritannien leidet zur Zeit wie die USA unter den Nachwirkungen der geplatzten Immobilien- und Schuldenblase, bemerkt Paul Krugman in seiner Freitagskolumne („British Fashion Victims“) in NYT. Grossbritanniens Probleme haben sich wegen Londons Rolle als internationalen Finanzplatz verschlimmert. „Das Land war zu sehr von den Gewinnen aus der Kungelei abhängig, um die Wirtschaft zu fördern, und von den Steuerzahlungen der Finanzindustrie, um staatliche Programme zu finanzieren“, beschreibt Krugman. Übermässiges Vertrauen an die Finanzbranche erklärt weitgehend, warum Grossbritannien, welches mit einer relativ geringen Staatsverschuldung in die Krise eintrat, einem Anstieg des Haushaltsdefizits auf 11% des BIP gegenübersieht, etwas schlechter als in den USA, argumentiert der Nobelpreisträger.

„Sparmassnahmen (fiscal austerity) werden die Wirtschaft weiter belasten, es sei denn es kommt zu einem Ausgleich durch einen Rückgang der Zinsen. Die Zinsen sind aber sowohl in Grossbritannien als auch in den USA bereits sehr niedrig, mit wenig Raum, um weiter zu fallen“, so Krugman. Das Vernünftige ist, einen Plan umzusetzen, um den Haushalt in Ordnung zu bringen, bevor man die Axt schwingt, erläutert Krugman. Das am Mittwoch angekündigte Sparprogramm und die Rhetorik dürften von Andrew Mellons Schreibtisch kommen, der Finanzminister, der Präsident Herbert Hoover empfohlen hat, die Landwirte und die Arbeitnehmer zu liquidieren und die Löhne zu senken, um die Depression zu bekämpfen, schildert Krugman. Oder wenn wie einen britischen Präzedenzfall bevorzugen: Es spiegelt das Snowden Haushalt von 1931 wider.

1 Kommentar:

Dr. Stefan L. Eichner hat gesagt…

Cameron und Osborne hätten in der Tat besser erst einmal in die Geschichtsbücher geschaut. Dann wüssten sie, wie ihr Experiment seinerzeit bei Heinrich Brüning in der späten Weimarer Republik gelaufen ist. Das allein ist aber noch kein Ansatzpunkt für die Lösung des Problems und wer glaubt, mit Keynes und neuen Konjunkturprogrammen käme man weiter, der irrt.

Es gibt in den Industriestaaten massive wirtschafts- und vor allem auch marktstrukturelle Probleme sowie ausgeprägte Sättigungsmerkmale. Wenn man mal das Beispiel des stotternden Wirtschaftsmotors bemüht, dann bedeutet das im übertragenen Sinne, dass die Ursache dafür nicht Spritmangel, sondern ein schwerweigender Motordefekt ist. Die Spritzufuhr zu erhöhen, wie Krugman u.a. meinen, ändert daran gar nichts. Die Probleme würden die Märkte nach kurzem Aufflackern weiterhin lähmen. Das bisschen Belebung, dass wir jetzt hier und da erleben, verdankt sich ja auch nur der ersten Runde von dicken Konjunkturpaketen.

Wer also jetzt vorhat, die Probleme mit neuen Konjunkturprogrammen anzugehen, der handelt folglich auch nicht klüger als Cameron und Kollegen.

Ich warte immer noch auf geistreiche Lösungskonzepte von den Ökonomen. Aber auch 3 Jahre nach Ausbruch der Krise kommt da immer noch nichts.

Gruß
SLE