Die Debatte über „laissez-faire“ versus „Intervention“ ist zugleich eine Auseinandersetzung darüber, wie realistisch die Annahme von grundsätzlich rationaler Märkte und Erwartungen ist. Es geht dabei schliesslich um eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Modellbildung. Modelle, die von der Annahme von zuverlässigen und vollständigen Informationen über zukünftige Ereignisse ausgehen, haben einen schweren Stand, um den gegenwärtigen Zusammenbruch des Finanzsystems zu erklären, argumentierte Robert Skidelsky auf der INET-Konferenz am Wochenende in Cambridge. Das ist aber mit Keynes nicht so, erläuterte der emeritierte Professor für political economy an der Warwick University. Keynes habe einen entscheidenden Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit gemacht, so Skidelsky. Risiko ist, wenn Wahrscheinlichkeiten gemessen werden können. Unsicherheit existiert, wenn Wahrscheinlichkeiten nicht bekannt (messbar) sind. Keynes’ ursprüngliche Einsicht sei gewesen, dass die klassische Theorie des sich selbstregulierenden Marktes auf dem stillschweigenden erkenntnistheoretischen Anspruch beruhe, wonach Marktteilnehmer über zuverlässige Informationen über künftige Ereignisse verfügen.
Folgt man der Annahme, gibt es Vollbeschäftigung. Leugnet man die Annahme, bricht der Markt zusammen. Keynes Wirtschaft ist hingegen eine, in der unser Wissen über die Zukunft i.d.R. sehr gering und oft unbedeutend ist und Erwartungen häufig Enttäuschungen unterliegen. Das macht Investitionen ein „besonders ungeeignetes Thema“ für die Methoden der klassischen ökonomischen Theorie. Modelle, die annehmen, dass wir über berechenbare Wahrscheinlichkeiten verfügen, sind irrelevant dafür, wie die Volkswirtschaften tatsächlich funktionieren. Keynes’ Auffassung, dass die Unsicherheit über die Zukunft die Ursache von Finanzkrisen ist, mag mit der heutigen konventionellen Sicht, dass der jüngste Zusammenbruch des Bankensystems von einer Fehlbewertung von Risiken verursacht wurde, im Widerspruch stehen. Dahinter steckt die Vorstellung, dass die Risiken richtig gemessen werden können, aber die Märkte von der Entdeckung der korrekten Preise behindert wurden, und zwar von Informations- und Anreiz-Ausfällen. Der Schlüssel zur Vermeidung weiterer Krisen ist deshalb ein besseres Risikomanagement der Banken und Regulierung, erklärt Skidelsky: Mehr Transparenz, bessere Risikomodelle und v.a. bessere Anreize, die Risiken richtig zu bewerten. Die Ansicht wird nicht in Frage gestellt, dass Investitionen grundsätzlich korrekt angegeben werden können und Erwartungen im Durchschnitt erfüllt werden. Das Argument scheint jedoch zu sein, zwischen denjenigen, die behaupten, dass Risiken immer richtig gemessen werden können (Effizienzmarkt-Theorie) und denjenigen, die zugeben, dass exogene Schocks, unvollkommene Informationen und/oder falsche Anreize Marktpreise verzerren können. Es kommt also auf das ökonomische Modell an. Die Herausforderung besteht darin, ein Modell der modernen Makroökonomie zu entwicklen, die Unsicherheit ernst nimmt, schlussfolgert Skidelsky.
PS: Keynes misst Unsicherheit im Wirtschaftsleben eine Schlüsselrolle bei. In seinem unbedingt lesenswerten Buch „Die Rückkehr des Meisters. Keynes für das 21. Jahrhundert“ beschreibt Skidelsky Keynes zentrale Aussage so, dass „Wahrscheinlichkeit kein statistisches, sondern ein logisches Phänomen ist. Quelle des Wissens ist aus der Prespektive der Wahrscheinlichkeit hauptsächlich die Vernunft, weniger die Beobachtung“. „Die Verwendung des Begriffs „Risiko“ zur Beschreibung von Zufallsereignissen, die nicht versicherbar sind, suggeriert eine trügerische Exaktheit, die zwar die Märkte beruhigt, aber keinerlei wissenschaftliche Grundlage hat, erklärt Skidelsky.
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