Montag, 18. Oktober 2010

Steigende Einkommensungleichheit: Eine Frage für Moralphilosophen?

Während der letzten drei Jahrzehnten hat sich alles nennenswerte Einkommenswachstum am oberen Ende der Skale konzentriert. Doch viele Ökonomen sind ungern bereit, sich der zunehmenden Einkommensungleichheit direkt gegenüberzustellen, schreibt Robert H. Frank in einem lesenswerten Essay („Income Inequality: Too big to Ignore“) in NYT am Sonntag. Sie sagen nicht, ob dieser Trend gut oder schlecht ist. Das geforderte Werturteil wird Philosophen überlassen, bemerkt der an der Cornell University lehrende Wirtschaftsprofessor. Dieser Haftungsausschluss wirkt heuchlerisch. Wirtschaft ist schliesslich von Moralphiolosophen gegründet worden, argumentiert Frank weiter. Adam Smith, der Vater der modernen Wirtschaftswissenschaften war ein Professor der Moralphilosophie. „Wealth of Nations“ war gespickt mit pointierten moralischen Analysen. Einige Moralphilosophen adressieren Ungleichheit unter Berufung auf Prinzipien der Gerechtigkeit und Fairness, erklärt Frank.


Zunahme des Einkommens (nach Steuern) nach Einkommensgruppen; 1979-2006, Graph: extreme inequality

Weil es ihnen aber nicht gelungen ist, eine breite Übereinstimmung darüber zu erzielen, was diese abstrakten Grundsätze in der Praxis bedeuten, haben sie kaum Fortschritte gemacht, so Frank. Der eher pragmatische Kosten-Nutzen-Ansatz, der von Smith favorisiert wird, hat sich fruchtbar erwiesen. Denn es stellt sich heraus, dass steigende Ungleichheit enorme Verluste und wenige Gewinne erzeugt hat, selbst für ihre angeblichen Nutzniesser. Die Reichen geben einfach mehr Geld aus, weil sie so viel mehr Geld haben. Ihre Ausgaben verschiebt aber den Bezugsrahmen für die Nachfrage derjenigen, die unter ihnen sind. Diese Kaskaden haben es für die Mittelschicht-Familien wesentlich teuerer gemacht, elementare finanzielle Ziele zu erreichen. In einem aktuellen  Paper, das auf Daten der Volkszählung für die bevölkerungsreichten Kreise in den USA basiert, haben Adam Seth, Oege Dijk und Frank herausgefunden, dass die Counties, wo Einkommensungleichheit am schnellsten gewachsen ist, die Symptome einer finanziellen Notlage zeigen. Die Mittelklasse-Klemme hat auch die Bereitschaft der Wähler reduziert, auch die grundlegenden öffentlichen Dienste zu unterstützen. Reiche und Arme ertragen bröckelnde Strassen, schwache Brücken und das unzuverlässige Bahnsystem gleichermassen und die schlecht gewarteten Dämme, die jeden Augenblick zusammenbrechen könnten.


Veränderung des Real-Familien-Einkommens nach Quintilen und Top 5%; 1979-2006, Graphextreme inequality

Ökonomen, die sagen, dass wir die Fragen über Ungleichheit an Philosophen verweisen sollen, befürworten Steuersenkungen für die Reichen, sodass die Ungleichheit erheblich zunimmt. Es steht ausser Frage, dass diese grössere Ungleichheit tatsächlich Schaden verursacht. Gibt es aber ausgleichende Vorteile? Es gibt keine überzeugenden Beweise dafür, dass grössere Ungleichheit Wirtschaftswachstum fördert oder jedermanns Wohlbefinden verbessert. Ja, die Reichen können grössere Villen kaufen. Aber das scheint sie nicht glücklicher zu machen.


CEO Vergütung im Durchschnitt; 2008, Graph: extreme inequality

Kurzum: Der Kosten-Nutzen-Ansatz hat viel über die Auswirkungen der steigenden Ungleichheit zu sagen. Wir brauchen keine Einigung über alle philosophischen Prinzipien von Fairness zu erzielen, dass die Ungleichheit erheblichen Schaden auferlegt, ohne signifikante Vorteile zu generieren. Niemand wagt es zu behaupten, dass zunehmende Ungleichheit im Namen der Gerechtigkeit erforderlich ist. Vielleicht sollten wir einfach darüber einig sein, dass es eine schlechte Sache ist, und versuchen, etwas dagegen zu tun, schlussfolgert Frank.

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