Sonntag, 3. Oktober 2010

Flash Crash-Bericht: Was den US-Börsencrash im Mai verursacht hat

Die US-Regulierungsbehörden haben am Freitag ihren Abschlussbericht („Findings Regarding The Market Events of May 6, 2010“) vorgelegt. Das Untersuchungsergebnis legt nahe, dass die Ursache des Flash Crash vom 6. Mai nicht auf Hochfrequenzhändler (Hochgeschwindigkeitshandel), sondern auf einen Investmentfonds zurückzuführen ist. Ein Händler habe laut Börsenaufsicht (SEC) und  Terminbörsenaufsicht (CFTC) den Kursabsturz verursacht, indem er in einem Absicherungsgeschäft 75'000 E-Mini-Kontrakte verkauft hat. Der Abzug von Liquidität habe folglich zum Verlust von 1'000 Punkten im Dow Jones Index geführt. Dennoch richtet sich das Augenmerk nun nach dem Thema „Hochfrequenzhandel“ und „superschnelle Computer mit komplexen Algorithmen“. Es gibt Marktbeobachter, die über die Ursachen des Flash Crash rätseln. Die Nanex beispielsweise, eine Datendienstleistungsfirma, kommt zu einem anderen Schluss, wonach eine Hochfrequenz-Strategie, welche eine massive Anzahl von Quotes beinhaltet und diese schnell wieder rückgängig macht, für den Crash verantwortlich ist.

E-Mini Umsatzvolumen und Preise, Graph: SEC & CFTC

In einer „abtrakten“ Abbildung sucht die Nanex die Spuren der zugrunde liegenden Ursachen des Kursabsturzes vom 6. Mai. Am Anfang braucht es (wie fast immer) negative Berichte wie z.B. „Unruhen in Griechenland“. An diesem Punkt gab es einen schnellen Ausverkauf von Aktienindex-Derivatekontrakten im Wert von ungefähr 125 Mio. $, insbesondere von CME E-Mini Future-Kontrakten per Juni 2010. Danach folgte (25 Millisekunden später) ein Verkauf von „top“-ETFs wie SPY, DIA, QQQQ, IVV, IWM, SDS, XLE und EEM im Wert von 100 Mio. $. Die Nanex bemerkt, dass die „quote traffic rate“ für alle NYSE und Nasdaq Aktien etwa 400 ms vor dem E-Mini-Verkauf auf ein „Sättigungsniveau“ gesprungen ist. Das sei eine „neue und überraschende Entdeckung“. Die Datendienstleitungsfirma ging zunächst davon aus, dass die Zunahme von „quote traffic“ mit dem schweren Umsatz (Verkauf) per Zufall einherging. Die Analyse suggeriert nun aber, dass der Anstieg in Quotes den Trades um etwa 400 ms vorausging. Das heisst, dass es davor einen massiven Anstieg der Aufträge gegeben hat, welche aber sofort wieder gelöscht worden sind.



Flash Crash Diagramm, Graph: Nanex (h/t  FT Alphaville)

Die Bewegungen zwischen den E-Mini Futures und den ETFs sind laut Nanex das grösste Rätsel des Crashs, insbesondere wenn man bedenkt, dass es in den beiden Instrumenten bereits scharfe Bewegungen gegeben hat. Am 28. April, dem Datum des sog. „Mini Flash Crash“ sind nämlich E-Mini in einer Sekunde um rund 5,25 Punkte gesunken. Die Nanex sucht daher Antworten auf eine Reihe von Fragen, wie FT Alphaville berichtet: (1) Waren die Verkäufe von eMini’s und ETF um 14:42:44 koordiniert?, (2) Waren die Quotes die vor dem eMini- und ETF-Verkäufen stattgefunden haben, koordiniert?, (3) Waren die ersten Verkäufe und die Quotes am 28. April auch aufeinander abgestimmt?, (4) Können die ersten Ereignisse am 28. April und am 6. Mai miteinander verbunden werden?, (5) Warum sind fast 4 Minuten unerforscht verstrichen, was sich allem Anschein nach als eine sehr profitable Arbitrage-Möglichkeit für SPY/eMini-Futures erwies?, (6) Kann der Gipfel der Verzögerung in NYSE-CQS Quotes als ein Hinweis dafür gelten, dass viele Handelssysteme und Networks bis zum Zusammenbruch gestresst waren? Ist es deshalb, dass die Quote und Trade-Rate gefallen und für den Rest der Erholung niedrig verblieben sind?, (7) Gibt es weitere Untersuchungen für „flickering quote“-Ausnahme von Reg NMS Artikel 611?

Die SEC hat übrigens die Rolle von „quote-stuffing“ im Crash heruntergespielt. Der Bericht ist in dieser Hinsicht sehr kurzgefasst.

Exkurs:

Am 6. Mai ist der Dow Jones Index innerhalb von wenigen Minuten um 1'000 Punkte eingesackt. Das entspricht einem Verlust von 800 Mrd. $ an Börsenwert.

E-Mini sind Kontrakte, mit denen risikobewusste Investoren (v.a. Hedge Fonds) auf die Entwicklung von S&P-500 spekulieren. eMini werden an der Terminbörse CME (Chicago Mercantile Exchange) gehandelt.

CQS = Consolidated Quote System: NYSE’s CQS liefert Quote-Infos für die NYSE Aktien.

Quote-Stuffing: Es handelt sich dabei um eine „Trading-Technik“, die dazu dient, um ein paar Pennies mehr zu „verdienen“, indem aus winzigen Preisunterschieden an Börsenplattformen, wo ein Händler verkauft und ein anderer kauft, Vorteile gezogen werden. Quote Stuffing ist nicht so, dass ein Händler einen Auftrag platziert und diesen rasch wieder zurückzieht, indem er dafür sorgt, dass der Markt sich in eine bestimmte Richtung bewegt. Es geht vielmehr um einen Versuch, sich selbst zu übervorteilen, und den Markt zu zerstören, indem man den Markt mit Nachrichten-Verkehr unbrauchbar macht. Nanex’s Analyse deutet an, dass es zum Flash Crash gekommen ist, weil „quote stuffing“ zu einer solchen grossen Verzögerung beigetragen hat, dass die Marktteilnehmer daraus schlossen, dass die Quotes fehlerhaft sind, und daher die Aufträge gestoppt haben. Die Abwesenheit von erwarteten Kauf-Aufträgen hat dann zu einem Absturz der Kurse geführt. Ein Beispiel, das von  dailyfinance erklärt wird: Ein Händler legt einen Kauf-Auftrag von 20'000 Aktien ein, für eine Sekunde zu einem Preis von 30 $ pro Aktie, wobei die Aktie zu 60 $ gehandelt wird. Wenn der Börsenplatz (NYSE) in einer Sekunde nur 10'000 Aktien bearbeiten kann, kann ein Auftrag von 20'000 Aktien die Börse abbremsen, weil die „quote stuffing“ die Börse austrickst, so zu denken, als ob der 10'000-Aktien-Auftrag gültig wäre. Obwohl die Täuschungszeit sehr kurz ist, ist sie lang genug, das Trading zum Stocken zu bringen. Daher nennt man „quote stuffing“ auch „latency arbitrage on demand“, weil der Händler kontrollieren kann, wann die Verzögerung geschieht. Der Sekundenbruchteil, bevor die NYSE diesen riesigen Auftrag erhält, ist die Zeit, (während der Verzögerung) zu kaufen, welche dem Händler bekannt ist, dass sie geschehen wird, und wann der Auftrag bei der NYSE ankommt.

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