Sonntag, 20. Januar 2013

Ungleichheit bremst die Erholung der Wirtschaft


Die Wiederwahl von Präsident Obama war wie ein Rorschach-Test, offen für viele Interpretationen, schreibt Joseph Stiglitz in einem lesenswerten Artikel („Inequality is holding back the recovery“) in NYTimes.

Der an der Columbia University lehrende Wirtschaftsprofessor betont, dass beide Seiten in dieser Wahl über Themen diskutiert hätten, die ihn nach eigenen Angaben tief beunruhigen: die lange Malaise, wo die Wirtschaft sich festfährt, und die wachsende Kluft zwischen dem 1% und dem Rest, eine Ungleichheit, nicht nur mit Bezug auf die Ergebnisse, sondern auch auf die Gelegenheiten.

Diese Probleme sind zwei Seiten derselben Medaille: mit der Ungleichheit auf dem höchsten Stand seit vor der Depression wird es schwer, eine robuste Erholung der Wirtschaft  auf kurze Sicht zu erreichen. Und der amerikanische Traum , ein gutes Leben im Austausch für harte Arbeit, schmilzt auch langsam dahin.

Politiker sprechen i.d.R. über steigende Ungleichheit und die schleppende Erholung der Wirtschaft als getrennte Phänomene, wenn sie tatsächlich miteinander verflochten sind. Ungleichheit erstickt, beschränkt und hält das Wachstum zurück, hält der Träger des Wirtschaftsnobelpreises fest.

Auch wenn the Economist, die free-market-orientierte Zeitschrift argumentiert, wie in einem speziellen Artikel im Oktober, dass  das Ausmass und die Art der Ungleichheit eine ernsthafte Bedrohung für Amerika darstelle, sollten wir wissen, dass etwas Schreckliches schief gelaufen ist. Und doch, nach vier Jahrzehnten der Ausweitung der Ungleichheit und dem schwersten Abschwung seit der Depression, wurde dagegen nichts unternommen.

Es gibt laut Stiglitz vier Hauptgründe, warum die Ungleichheit die Erholung der Wirtschaft zermalmt.

Der unmittelbarste Grund ist, dass die Mittelschicht zu schwach ist, um die Konsumausgaben zu fördern, was historisch gesehen das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Während die Top 1% 93% des Wachstums bei den Einkommen (2010) in Anspruch nimmt, verfügen die Haushalte in der Mitte über weniger Einkommen (inflationsbereinigt) als im Jahr 1996.

Der zweite Grund ist, dass die Mittelschicht seit den 1970er Jahren ausgehöhlt wird: ein Phänomen, welches in den 1990er Jahren nur kurz unterbrochen wurde, was bedeutet, dass die Mittelschicht nicht in der Lage ist, in ihre Zukunft zu investieren, z.B. durch die Bildung der Kinder und durch den Start oder die Verbesserung des Geschäftslebens.

Der dritte Grund ist, dass die Steuereinnahmen wegen der gebeutelten Mittelschicht zurückfallen, insbesondere weil die obere Schicht so geschickt ist, Steuern zu vermeiden, dass sie immer wieder in den Genuss von Steuererleichterungen von Washington kommt. Niedriges Steueraufkommen bedeutet, dass die öffentliche Hand keine Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung und Gesundheit tätigen kann, was für die Wiederbelebung der Stärke der Wirtschaft entscheidend ist.

Der vierte Grund ist, dass die Ungleichheit mit häufigeren und schwereren Boom-Bust-Zyklen zu tun hat, die die Wirtschaft anfällig und verwundbar machen. Obwohl die Ungleichheit die Krise nicht direkt verursacht hat, ist es kein Zufall, dass die 1920er Jahre (die letzte Zeit, wo die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in den USA so hoch war) in Great Crash und Depression mündeten. Der IWF hat zwar auf die systematische Beziehung zwischen wirtschaftlicher Instabilität und der wirtschaftlichen Ungleichheit hingewiesen. Aber die Politiker haben die Lehre nicht kapiert, fasst Stiglitz zusammen.

Es gibt viele Ausreden für die Ungleichheit. Einige sagen, dass es ausserhalb unserer Kontrolle geschieht: Marktkräfte wie Globalisierung, Liberalisierung des Handels, technologische Revolution usw. Andere wiederum behaupten, dass dagegen etwas zu unternehmen, uns schlechter stellen und den Wirtschaftsmotor erwürgen würde. Das sind alles selbstsüchtige, ignorante Unwahrheiten. Marktkräfte existieren nicht einfach in einem Vakuum. Sie werden von Menschen gestaltet.

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