Sonntag, 6. Januar 2013

Keine Liebesgrüsse aus Bosporus


In der Türkei ist gerade das neue Kapitalmarktgesetz durch die türkische Finanzmarktaufsichtsbehörde (SPK: Sermaye Piyasasi Kurulu) erlassen worden.

Die Societe General (SocGen) hat alle Mitarbeiter aufgefordert, alle Kommentare über die Türkei bis die Überprüfung der neuen Rechtsvorschriften abgeschlossen ist, sofort einzustellen.

Das neue Kapitalmarktgesetz sieht nämlich Gefängnisstrafen (von 2 bis 5 Jahren) für diejenigen vor, die unwahre, falsche oder irreführende Angaben machen, Gerüchte verbreiten oder Nachrichten, Kommentare oder Berichte bereitstellen, mit der Absicht, Einfluss auf die Preise oder Werte von Kapitalmarktinstrumenten zu nehmen oder Investment-Entscheide von Investoren zu beeinflussen.

Die Analysten im Ausland und im Inland sind insbesondere vom Inhalt des einschlägigen Abschnitts in Bezug auf Marktkommentare überrascht, ja sogar schockiert, da die Behörden sich seit geraumer Zeit um eine „investorenfreundliche Umgebung“ bemühen. Istanbul soll beispielsweise zum internationalen Financial Center werden. Im asiatischen Teil der bevölkerungsreichsten Stadt der Türkei wird eifrig am Aufbau eines Finanzdistriktes geackert, wo die staatlichen Banken wie Halkbank, Vakifbank und Ziraat Bank demnächst umziehen sollen.

Bank of America Merrill Lynch und Commerbank AG haben laut Bloomberg mitgeteilt, dass sie vorerst überprüfen wollen, wie das neue Gesetz ihre Geschäfte in der Türkei tangiert. Allem Anschein nach sind in erster Linie Analysten, Journalisten und Blogger von der neuen Finanzmarktregulierung betroffen.

Mark Mobius hat Interview-Anfragen aus der Türkei laut Medien mit dem Hinweis auf die neue Gesetzgebung abgelehnt. Der Managing Director von Templeton Emerging Markets Funds verfügt über ein Portfolio in Höhe von ca. 1 Mrd. $ in der Türkei.

Die neue Gesetzgebung soll angeblich die Marktmanipulation unterbinden. Aber es steht jetzt schon fest, dass dadurch auch die Qualität der Informationen im Hinblick auf den Finanzmarkt, die für Investoren zur Verfügung stehen, aufs Spiel gesetzt wird. Stichwort: Informationsasymmetrie zu Ungunsten von (Klein-) Investoren.

Die Definition von „Kriminalität“ im betreffenden Artikel scheint v.a. ziemlich subjektiv, nicht eindeutig in gesetzlicher Sicht formuliert. Die Aussage eines Analysten, dass am Aktienmarkt eine Spekulationsblase entsteht, kann demnach als Straftat geltend gemacht werden, wenn der Analyst z.B. von einem Politiker deswegen angeklagt wird. Aber auch ein Kommentar wie „die Zinsen dürften in den kommenden Quartalen kräftig steigen“ kann als Verstoss gegen das Gesetz interpretiert werden. Der Bericht eines Marktbeobachters, dass die Prognosen der Regierung im Hinblick auf die Inflation und das Wirtschaftswachstum „nicht zutreffen dürften“, kann als Vergehen zählen.

Gut informierte Journalisten vor Ort berichten, dass die religiös geprägte Regierung damit Ansichten, die von der offiziellen Ansicht abweichen, unterbinden will. Es kommt natürlich auf die Anwendung der neuen Vorschriften in der Praxis an. Wie werden z.B. die Staatsanwälte damit umgehen? Das neue Kapitalmarktgesetz dürfte aber auf alle Fälle wie ein Damoklesschwert über dem Finanzmarkt hängen. 

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